Rauchen für den Wohlstand

Nach Meinung der Verleger ist das Tabakwerbeverbot der EU nur der Einstieg in weitreichende Reklame-Beschränkungen. Während für Stadtmagazine schwere Zeiten anbrechen, sorgen sich die Lobbyisten um die Gesundheit der Volkswirtschaft

von STEFFEN GRIMBERG

Vergessen Sie alles, was Sie bisher über die Medienkrise gelesen haben. Denn jetzt kommt es noch viel, viel schlimmer: Ein „Titelsterben“ im Pressebereich malt der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) an die Wand – jedenfalls wenn das am Montag beschlossene EU-Tabakwerbeverbot für einen Dominoeffekt sorgt und „bald Alkohol, Autos und Pharmazeutika-Werbung verboten wird, weil Gesundheitsschützer den übermäßigen Gebrauch als schädlich erachten“, sagt VDZ-Geschäftsführer Wolfgang Fürstner. „Sollte dieser Beschluss Wirklichkeit werden, wird es in Deutschland viele Arbeitsplätze in der Werbe- und Medienbranche kosten“. Der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft setzt gleich noch Spielzeug und Süßigkeiten mit auf die rote Liste – und kommt auf drohende Einnahmeverluste von 3,6 Milliarden Euro.

Und wo es um so viel Geld geht, sind große Worte schnell bei der Hand: „Die Freiheit der Presse ist ohne Werbung nicht denkbar“, weist Fürstner auf den vom VDZ erspähten Zusammenhang von freier Presse und freier Werbung hin. Mehr noch: „Medien liefern die Rohstoffe für den Kopf. Sie sind eine Schlüsselbranche auf dem Weg in die Informationsgesellschaft. Wer den Medien ihre Erlöse so massiv beschneidet, der gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft.“ Etwas differenziertere Aussagen sind schwer zu bekommen – der Axel Springer Verlag (Zeitschriftenanteil am Gesamtumsatz rund 25 Prozent) beispielsweise lässt mitteilen, man äußere sich nicht separat – und verweist auf den VDZ.

Beschlossen ist nun zunächst einmal nur das Verbot der Tabakreklame, Zigaretten-Werbung im Kino und mittels Plakat bleiben unverständlicherweise sogar weiter erlaubt. Großbritannien hatte übrigens deswegen wie Deutschland – aber keinefalls mit Deutschland – im EU-Ministerrat gegen die Vorlage gestimmt. Anders als der von der Tabaklobby bedrängten Bundesregierung geht Gesundheitsminister Alan Milburn das Verbot nämlich nicht weit genug.

„In deutschen Zeitschriften gibt es viel mehr Anzeigen für Tabak und Alkohol als in anderen Ländern wie eben Großbritannien, den USA und selbst Frankreich“, sagt Wolfram Fischer von der Megakombi, die vor allem Stadtmagazine vermarktet. Wird die Tabak-Richtlinie wie geplant bis 2005 umgesetzt, drohen hier tatsächlich empfindliche Einbußen. Denn vor allem bei den Gratismagazinen, so Fischer, sei der Anteil der Tabakreklame am überregionalen Anzeigengeschäft hoch. Kostenpflichtige Titel wie die Stadtrevue (Köln), oder Zitty (Berlin) seien dagegen breiter im Werbemarkt aufgestellt. Vom „Tod einer Gattung“ will Fischer nichts wissen, es träfe eher die Titel, die „ihre regionalen Hausaufgaben nicht gemacht“ und sich nicht um eine breitere Streuung ihrer Werbekundschaft gekümmert hätten.

Für Gerd Thomas vom Konkurrenzvermarkter Berlin Connection kommt es dagegen nicht so sehr auf die Frage „umsonst oder bezahlt“ an, sondern „ob ein Titel vor Ort gut geht oder eben nicht“. Bei manchem Titel, so Thomas, hänge das Überleben schon heute nur noch an „Tabakwerbung – und der einen oder anderen Bieranzeige“.

Die vom VDZ beschworene Ausweitung der EU-Beschränkungen auf andere Produkte sieht Megakombi-Mann Fischer „in den nächsten fünf Jahren nicht“. Dafür dürfte bis zum endgültigen Aus für Reklame mit dem blauen Dunst der Werbedruck an anderer Stelle sogar noch zunehmen: Nach einem Gentlemen’s Agreement wollen Tabakwirtschaft und Verlage bei einem großen Anteil jüngerer LeserInnen unter 20 bereits bis 2003 die Zigarettenwerbung herunterfahren. „Betroffen sind in erster Linie Programmies wie TV Spielfilm, sagt Fischer. „Was wir dort verlieren, wird in andere Publikumszeitschriften wie Stern, Spiegel oder Focus gehen.“

Bis dahin gehört das Feld weiter den Lobbyisten. „Werbeverbot macht Medien krank“, durfte gestern Christiane zu Salm im Handelsblatt kommentieren. Obwohl sich die Chefin des „Mitmachsenders“ Neun Live eigentlich erst bei einer EU-Direktive gegen unsinnige Telefonaktionen ernstlich Sorgen machen müsste.