„Kataloge als Kopiervorlage“

Gespräch mit Klaus Biesenbach, Kurator der Schanghai Biennale, über Chinas Bild von Europa und Übersetzungsfehler

taz: Sie gehörten zum sechsköpfigen Kuratorenteam der Schanghai Biennale 2002, über die wir letzte Woche berichteten. Wie muss man sich diese Zusammenarbeit vorstellen?

Klaus Biesenbach: Alanna Heiss, Yuko Hasegawa und ich haben zunächst eine einstimmige Auswahl getroffen, das war aber eine Vorschlagsliste. Das akademische Komitee in Schanghai hat sich dann alle Abbildungen und Videos angeschaut. Ich hätte zum Beispiel gerne Robert Smithsons „Spiral Jetty“ dabeigehabt, die Spiegelpavillons von Dan Graham, Gordon Matta-Clark oder die Prozession von Francis Alys. Das wurde vom Komitee letztendlich nicht befürwortet. Die drei chinesischen Kuratoren auf der anderen Seite haben uns ihre chinesischen Künstler vorgestellt, und wir haben dann auch sehr ehrlich gesagt, was wir wollen und was nicht.

Was bedeutet eigentlich „Urban Creation“, das Motto, unter dem die Biennale steht?

Ich weiß es bis heute nicht genau. Wir haben versucht, diesen Slogan, der auf einem chinesischen Begriff basiert, nach vielen Diskussionen besser ins Englische zu übersetzen. Er meint Dekonstruktion und Konstruktion gleichzeitig. Aber unsere Vorschläge kamen nicht an. Ich denke, er bedeutet etwas zwischen Explosion und Evolution des städtischen Raums. Deshalb hätte ich auch so gerne Francis Alys mit seiner Prozession dringehabt. Du gehst durch die rasant sich verändernde Stadt und trägst all die alten Werte und Erinnerungen mit dir – wie eben diese Dinge, die er hinter sich herzieht. „Urban Creation“ ist für mich inzwischen Ausdruck eines Übersetzungsproblems.

Zu den Übersetzungsschwierigkeiten gehört auch die Frage: Was darf die Biennale an fremdem Material ungefragt für sich übernehmen? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Als ich ankam, sah ich beim Museum ein riesengroßes Banner, auf dem die Dankesliste der Kunstwerke aus dem Mexikokatalog und dem KW-Magazin stand. Zuerst hab’ ich spontan gelacht. Ich hatte die Kataloge nach Schanghai geschickt als Beispiel für das Lay-out. Und sie haben viele Designideen, aber eben auch die ganze Förderliste eins zu eins übernommen. Dabei habe ich gar kein Sponsorship nach China gebracht. Für sie sah das eben gut aus. Ich hatte ihnen angeboten, den Katalog zu gestalten, Korrektur zu lesen, die Texte zu redigieren. Aber ihnen reichten die Kataloge als Kopiervorlage, die sie noch verbessern wollten.

Aber wie war das mit den drei vorangegangenen Biennalen?

Die beiden ersten Biennalen waren eine rein nationale Angelegenheit. Die dritte war international. Sie wurde von Hou Hanru kuratiert. Ich denke, für ihn war es ohne das Übersetzungsproblem noch schwieriger als für uns. Einfach weil wir vieles nicht verstanden haben, was gerne kritisiert worden wäre. An uns prallte zwangsläufig sehr viel von dem ab, was ihn damals sicher tangiert hat. Insofern hieß es immer, es wäre dieses Mal viel besser gelaufen.

Aber es läuft auch gut, jedenfalls was die Resonanz angeht?

Ja. Wenn ich nach der Eröffnung ins Museum ging, war es immer brechend voll. Vor dem Raum von Katharina Sieverding mit dem Film von ihrer Chinareise in den 70er-Jahren gab es immer eine Riesenschlange. Die Arbeit ist sehr gut, beobachtend und dazu von ungeheurer Schönheit. Die Museumswärter haben sich immer gestritten, wer den Raum betreuen darf. Mir wurde deutlich, dass es ganz offensichtlich ein Publikum mit einem großen Interesse an Kunst gibt.

Mit Katharina Sieverding, mit Monica Bonvicini und ihrer Arbeit „Stonewall“, mit Pipilotti Rist, Angela Bulloch, mit Gursky oder Gelatin waren viele weibliche und vor allem europäische Positionen vertreten. Was bedeutet Europa in China?

In Gesprächen wurde mir zum Beispiel versichert, dass Deutschland und Berlin sicher eine große Wichtigkeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besessen hätten. Mir kam das so vor, als würde von etwas so Fernem wie der Französischen Revolution gesprochen. Ich hatte den Eindruck, Europa wird in China weder als politische noch als wirtschaftliche Macht wirklich ernst genommen, noch ist es eine Perspektive oder eine Bedrohung. Das hat mich als Perspektive sehr verstört.

Was ist das Resümee, das Sie über Ihre Erfahrung in Schanghai ziehen?

Vielleicht „eine Frage der Übersetzung“ oder auch „ein Übersetzungsfehler“. Wobei ich mich frage: Ist ein Übersetzungsfehler ein Übersetzungsfehler oder nicht schon wieder eine Übersetzung? Ich denke, Letzteres stimmt.

INTERVIEW: BRIGITTE WERNEBURG