Konkurrenz der Kampfmönche

Shaolin ist die Wiege des chinesischen Buddhismus und des Kung-Fu. Doch außer um Qi, Charakterfestigkeit und Kraft ringen die durchtrainierten Mönche heute mehr noch um Marktanteile und Markenschutz. Die Geschichte, wie Bodhidharma in den Westen kommt

von ADRIENNE WOLTERSDORF (Text) und ROLF SCHULTEN (Fotos)

Der Mönch verstand gleich am ersten Tag seiner Mission in Deutschland, was zu tun sei. Es war Sommer in Berlin. Der Buddhist aus dem chinesischen Shaolinkloster bei den Songshan-Bergen war am Morgen in Tegel gelandet. Am Abend verteilte er Werbeflyer auf dem Kurfürstendamm. Es war Love Parade in Berlin, und der Mönch sagte später am Abend: „Offenbar ist es gut, dass ich gekommen bin. Die Menschen hier scheinen mich zu brauchen.“

Das ist anderthalb Jahre her und Shi Yongchuan bildet heute mit fünf anderen buddhistischen Mönchen das Rückgrat des Unternehmens Shaolin-Tempel Deutschland. Tief im Berliner Westen, dort wo der Ku’damm seiner selbst überdrüssig wird und sich in Belanglosigkeiten verliert, hocken vor einer schmalen Glasfassade zwei chinesische Steinlöwen. Es ist die erste Deutschlandfiliale des legendären Klosters der Kampfmöche.

Das jüngste von insgesamt drei Berliner Buddhahäusern verdankt die Hauptstadt Rainer Deyhle, dem Sohn des einstigen „Stella“-Musicaltycoons, Rolf Deyhle. Deyhle junior, 38, Jurist und Buddhist, ist schon lange fasziniert von der Mischung aus Weltentsagung, Friedfertigkeit und der Kunst, mit dem Finger ein Loch in die Wand zu rammen. Meditation und Kung-Fu, eine Männertraumwelt, die durch Exegeten wie Bruce und Ang Lee ein ganzes Filmgenre bevölkert. Für Deyhle das Versprechen, der westlichen Welt etwas Gutes zu bringen.

Jeden Tag unterrichten die chinesischen Importmönche Kinder und Erwachsene mit wenigen Worten Deutsch in Tai-Chi, Meditation, buddhistischem Ritus und Shaolin-Kung-Fu. Rund 350 Schüler hat der Tempel schon, davon ein Drittel Frauen. In der Souterrainhalle mit Sichtbeton übten früher Tanzschüler. Heute glaubt man sich im Parkhaus einer chinesischen Luxusherberge. Palastrote Säulen stemmen die niedrige Decke. Ein blau-weißer Fries, wie er in jedem chinesischen Tempel zu finden ist, säumt den Plafond. Auf einem Holztischchen ruht der ewig lächelnde Buddha, die Augen fast geschlossen, eine Orange in der Hand. Während die Ärztinnen, Studenten und Büroangestellten zu chinesischen Klängen aus einem Ghettoblaster tief durchatmen und die Augen schließen, klappern Pumps und Stiefel eilig am Oberlicht der Straßenfront entlang. Unten, im Tempel, hilft Shi Yongchuan den Westlern, ihren Alltag für zehn Euro die Stunde wegzumeditieren.

„Fünf Minuten hab ich darüber nachgedacht“, erzählt Rainer Deyhle. So lange dauerte 1999 die Entscheidung, nicht Jurist bei einem Großunternehmen zu werden, sondern sich bedingungslos den Anweisungen eines beleibten Abtes aus der chinesischen Provinz zu fügen. Deyhle, Cordsakko, zurückgekämmtes Haar, lässt sich genüsslich durch Fragen den Gründungsmythos seines Tempelbetriebs entlocken: 1989 besucht Deyhle, der Jurastudent und Hobby-Kampfsportler, das Kloster Shaolin in der Volksrepublik China. Bleibt ein halbes Jahr, trainiert hart und bei Minusgraden mit den Mönchen. Reist heim und kommt immer wieder, bis ihn 1999 der Abt, damals 32, zum Abendessen bittet. Dabei eröffnet ihm der Großmeister, dass er, Rainer, doch bitte Shaolin nach Europa exportieren möge.

„Hätte ich Nein gesagt, hätte ich mein Gesicht verloren“, sagt demütig der schwäbische Unternehmersohn. Die daraus entstandene Symbiose aus chinesischer Tradition und westlichem Management floriert: Der Abt kann seine Klosterkunst vermarkten, und Rainer Deyhle tritt doch noch in die Fußstapfen seines Vaters, wenn auch mit einer anderen Geschäftsidee: Deyhle junior und der Abt wollen der Welt zeigen, was China jenseits von Essstäbchen und Akupunkturnadeln zu bieten hat. Und alle verdienen Geld.

Zur Eröffnung des Berliner Tempels im Juli 2001 reiste der Abt first class an, wohnte im Fünf-Sterne-Hotel und ließ sich von Bodyguards schützen. „Der Dalai Lama kommt ja auch nicht mit dem Fahrrad“, kontert Deyhle die Nachfrage, ob das für ein buddhistisches Oberhaupt nicht ungewöhnlich sei. Tatsächlich lebe der Abt durchaus bescheiden. Das Kloster benötige dringend Geld, um seine Gebäude zu erhalten. Und das, obwohl täglich fünfzig- bis einhunderttausend Besucher zum Songshan-Massiv in der Provinz Henan pilgern, um die berühmte Klosteranlage zu besichtigen. Sie alle bezahlen zwar Eintritt, umgerechnet fünf Euro, doch darf das Kloster davon nur einen kleinen Teil behalten. Der Rest wandere in die Kassen der Provinzregierung. Als die Mönche mit der Öffnung Chinas Anfang der Neunzigerjahre gegen solcherlei staatliche Bevormundung aufbegehrten, fackelte die Regierung nicht lange. Ein paar Meter vor dem Kloster errichtete die Provinzbehörde ein neues Portal und kassierte nun selbst. Jede Aufmüpfigkeit der Mönche wurde mit Reiseverbot, Passentzug und sonstigen Schikanen gegenüber der Kung-Fu-Showtruppe bestraft.

„Solange es ein innerchinesisches Problem war, lief das so“, sagt Deyhle. Mittlerweile habe sich die Lage gebessert, die Mönche dürfen zu Tourneen aus- und einreisen. Da das Kampfkloster, das verwaltungstechnisch dem Pekinger Amt für religiöse Angelegenheiten untersteht, nicht offen für seine Interessen eintreten kann, so Deyhle unverblümt, „hat der Abt den Kriegsschauplatz geschickt nach Europa verlegt“. Noch hat das zuständige Ministerium die Filialgründung in Berlin nicht anerkannt. Doch langsam dämmere es den Funktionären, dass Kung-Fu, nach der traditionellen chinesischen Medizin, einer der vielversprechendsten Exportschlager sein könnte.

Außer mit innerer Charakterfestigkeit wird nun auch mit harten Bandagen um das Label „Shaolin“ gekämpft. Denn außer Deyhle wirbt auch ein Österreicher mit Shaolin-Kultur. Während Rainer Deyhle den Segen und ein Zertifikat des Shaolin-Abtes in der Tasche hat, tourt Herbert Fechter mit staatlicher Genehmigung und sechzig Mönchen über die Bühnen der Welt. „Die Mönche des Shaolin“ und „Die mystischen Kräfte der Mönche des Shaolin-Kung-Fu“. So bewirbt Fechter, der seit Mitte der Neunzigerjahre gute Kontakte zu Provinzregierung und Funktionären pflegt, seine asiatischen Kampf- und Kostümshows.

Zunächst hatte er, sagt Fechter, eine Genehmigung des alten Vorgängerabtes; spätere Arrangements traf er mit der zuständigen Provinzbehörde. Und die, so Deyhle, verdiene an der Zusammenarbeit prächtig: Shaolin-Video und Marketingprodukte spielen rund 25 Millionen Euro ein, hinzu kommen knapp 1,5 Millionen Euro für die jährlich rund dreihundert Shows der beiden Fechter’schen Kung-Fu-Ensembles.

Aber Fechters Mönche sind gar keine Mönche, seine Shows damit nicht legal. Zu dieser Auffassung kam in diesem Jahr das Landgericht Berlin, vor das Deyhle den Konkurrenten zerrte. Natürlich seien sie „echt“, hält Fechter dagegen. Eine Show sei ja auch kein Tempel. Seine Kämpfer seien Kung-Fu-Kämpen des anderen, des „südlichen Shaolinklosters“. Die Berliner Richter folgten schließlich den beiden wissenschaftlichen Gutachten, die die Existenz eines „südlichen Klosters“ zwar nicht völlig bestreiten, es aber eher im Reich der Legenden verorten. Kai Filipiak, ein Leipziger Sinologe, legte erst jüngst seine Doktorarbeit zur Geschichte des Kampfsports in China vor. Darin kommt er zu dem Schluss, dass ein südliches Shaolinkloster schlechterdings unbeweisbar ist.

Damit ist für Deyhle, selbst Kung-Fu-Meister, der Feldzug durch die Gerichtssäle eröffnet. „Wir werden“, sagt er, „den Namen Shaolin von allen Trittbrettfahrern befreien.“ Selbst vor Dr. Oetker will er nicht Halt machen. Der Lebensmittelkonzern habe sich für eine noch zu kreierende Nudelsuppe den Namen „Shaolin“ eintragen lassen. Das will Deyhle, Alleininhaber des europäischen Markenschutzes für das Label „Shaolin“, nicht dulden.

Aikido, Taekwondo, Jiu-Jitsu, Eskrima – die Konkurrenz der Kampfsportschulen und ihrer Gimmicks ist hart. Da kann die Aura eines 1.500 Jahre alten Klosters nur nützen. Fechters Kampfkünstler seien fachlich sehr, sehr gut, „aber eben keine Mönche“, betont Deyhle denn auch immer wieder. Sie seien eben nur Zöglinge der staatlichen Schule für Shaolin-Kung-Fu, dem nahe des Klosters gelegenen Wushu guan. „Wenn Sie zu den Philharmonikern gehen, wollen sie doch auch nur echte Philharmoniker hören, oder?“

Echt, echt, echt. Mit diesem Knock-out-Kriterium überzieht Deyhle seine Konkurrenten und unerwünschten Mitspieler auch in Köln, Wien, London und Paris mit Prozessen. Geht alles gut, sollen bald in jedem europäischen Land Shaolin-Tempel entstehen. In London, der ersten Europaniederlassung, unterrichtet bereits ein Exmönch im Auftrag des Abtes. In Wien eröffnete Deyhle erst im September einen Tempel.

Um zu dokumentieren, dass die MacDonaldisierung des Kung-Fu nicht nur dazu dient, die Kasse klingeln zu lassen, besteht der Kung-Fu-Manager auf dem Hinweis, seine chinesischen Angestellten arbeiteten nicht als Sporttrainer, sondern seien hier in „geistlicher Mission“. Bei der Ausländerbehörde beantragt Deyhle daher für seine fünf Exportmönche stets ein „Seelsorger“-Visum. Schließlich heiße die GmbH ja auch „Tempel“. Zusätzlich bereitet er einen Antrag vor, durch den sein Haus den Status einer Kirche erhalten soll.

Anders als vor den zielsicheren Tritten der Buddhisten muss sich Europa allerdings kaum vor einer Sektenmissionierung fürchten. Bei den buddhistischen Gottesdiensten am Kurfürstendamm wird außer Weihrauchgerüchen und meditativen Klängen wenig mehr als gute Stimmung verbreitet. Geifernde Missionare waren Buddhas Jünger in Shaolin noch nie.

Shi Yongxin, Abt und geistiges Oberhaupt des Mutterklosters, sitzt als einziger buddhistischer Abgeordneter in Pekings Volkskongress. Der einem Buddha an Leibesumfang schon recht ähnliche Mann, Jahrgang 1967, hat zudem als Vizepräsident der Nationalen buddhistischen Vereinigung Chinas einen zunehmenden Einfluss in der Öffentlichkeit. Dennoch verfolgt das Amt für religiöse Angelegenheiten seine Expansionspolitik mit Misstrauen. Das chinesische Botschaftspersonal in Deutschland nimmt daher von den Einladungen in den Tempel am Ku’damm offiziell keine Notiz. „Man kommt aber schon mal neugierig vorbei“, heißt es dort fröhlich.

Die Zeit scheint also noch nicht reif, da der Abt den Namen seines legendären Ordens auch gegen Missbrauch durch den chinesischen Staat und einzelne korrupte Provinzbeamte verteidigen könnte. Egal, erst jüngst gründete er eine Dependance in Hongkong, mit Südkorea beendete er gerade erfolgreiche Vertragsverhandlungen. Gespräche in anderen asiatischen Ländern sind geplant. Shaolin boomt.

Dabei hatte zunächst alles gar nicht gut angefangen. 1992, als sich Chinas Türen öffneten, reiste eine kleine Shaolin-Showtruppe von vier Kampfmönchen in die USA. Zurück kam nur einer, der Abt. Die anderen drei hatten sich aus dem Staub gemacht. Sie heirateten, bekamen Kinder, aßen Hamburger und eröffneten einer nach dem anderen Kampfsportschulen mit Namen wie Shaolin Martial Arts. Wirklich übel nahm ihnen der Abt, dass sie sich nach wie vor als Mönche ausgaben. Einer von ihnen, der heute einen Shaolin-Tempel am New Yorker Broadway führt, nannte sich bald reumütig nur noch Jünger. Prompt erhielt er eine mündliche Lizenz des Mutterklosters. Auf Widerruf.

Ein anderer Renegat ist nicht so einsichtig. Durch einen seiner Gefolgsleute eröffnete er just zur gleichen Zeit wie Rainer Deyhle einen Shaolin-Tempel in Wien. Beide ringen nun dort vor Gericht. Der abtrünnige Mönch aber hoffte eines Tages, der Abt habe ihm verziehen, und reiste mit einer Schar seiner amerikanischen Schüler heim nach Shaolin. Dort soll er sich in Mönchshabit und im Beisein seiner Schüler dem Abt ehrerbietig vor die Füße geworfen haben. Doch der stieg einfach über ihn hinweg und marschierte davon.

ADRIENNE WOLTERSDORF, 35, ist Ressortleiterin der taz-Berlin ROLF SCHULTEN, 42, ist freier Fotograf in Berlin. Schwerpunkte: Reportage, Portrait, Reise