robin alexander über Schicksal
: Die Lieblingsjournalistin

Hat eine Generation, in der Leute wie Carmen zu den Verlierern gehören, eigentlich ein Problem?

Im Café, in dem ich Carmen heute treffe, haben wir früher immer gelacht – über ihre Arbeit. „Schlimme Jungs kommen in jedes Bett“, hatte sie einmal auf Bestellung eines Frauenmagazins getextet und eine Doppelseite damit gefüllt. Ein anderes Mal veröffentlichte sie „Fit for Sex: Gemüse, Jogging und Wein“ und einmal sogar „Welcher Liebhaber passt zu meinem Job?“ Carmen, 28, das Outfit mehr lässig als Business, war ein halbes Jahr nach der Uni schon Sexexpertin einer Frauenzeitschrift. Für alle, die von Sex und/oder Frauenzeitschriften keine Ahnung haben: Eigentlich werden Berufsanfängerin dort eher Bulimieexpertinnen. „Die hätten von mir auch ‚Welcher Mann passt zu meinem Hund‘ genommen“, scherzt sie. Aber sie hat natürlich nur Qualität angeboten.

Nach der Zeit bei der Illustrierten arbeitet Carmen als Freie. Die Sexexpertin a. D. analysiert für regionale Tageszeitungen die Finanznot ostdeutscher Kommunen – in Stundenfrist, wenn dies ein Auftraggeber wünscht. Sie schreibt ein Buch darüber, warum ausgerechnet Cottbus die einzige deutsche Stadt ist, die es verdient, das Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft austragen zu dürfen. Bei Carmen kann man komplette Magazinseiten bestellen – sie weiß die Mailaccounts der besten Fotografen von München und Berlin. Carmen besitzt die Handynummer des russischen Dichters Victor Pelewin in Moskau und die Adressen von HipHopern aus Amsterdam. In der linkshedonistischen Jungle World hat sie veröffentlicht und beim Handelsblatt kassiert. Carmen ist meine absolute Lieblingsjournalistin. Man kann ihre Geschichte aber auch ganz anders erzählen. Dann ist Carmen die Verliererin. Eine vielfach gescheiterte. Sie ist in den vergangenen zweieinhalb Jahren viermal entlassen worden. Entlassen. Nicht gefeuert. Der Verlag fand, die Etablierung einer Frauenzeitschrift für eine Klientel, die älter als Bravo aber dümmer als Brigitte ist, sei gescheitert. Alle mussten gehen. Die kleine, feine politische Zeitung, für die sie so sogar ins Badische zog, hat dichtgemacht. Ihr nächster Arbeitgeber nannte sich Provider, und natürlich gibt es ihn heute nicht mehr. Zwischendurch scheiterte Carmen auch mit ich-weiß-nicht-mehr-was in Berlin.

Jetzt ist sie wieder hier. Zu lachen gibt es weniger. Auf jeden Fall keine bescheuerten Aufträge mehr. Genau genommen gibt es gar keine Aufträge mehr. Keine Pauschalen. Keine Redakteursstellen. Keine Volontariate. Nicht einmal bezahlte Praktika. Ich werde Carmens Kaffee bezahlen. Der Markt ist selbst für sie zur Zeit so tot, dass sie nicht einmal weiß, woher sie ihre nächsten Mieten nimmt. Hat eine Generation, in der Leute wie Carmen zu den Verlierern gehören, nicht ein Problem?

„Der Diskurs über die Verlierer der Medienkrise ist eigentlich durch“, meint Carmen skeptisch: „Sonst würde ich mein Scheitern schon selbst vermarkten.“ Aber die Feuilletonaufmacher über verelendete Edelfedern sind schon erschienen. Eine neue Demut vor den Verhältnissen als Haltung ist schon postuliert. „Ein Kollege“, erzählt Carmen, „bekam neulich den Auftrag, junge, gut ausgebildete Menschen, die am Existenzminium leben, zu porträtieren – einzige Vorgabe der Redaktion: diesmal dürfen keine freie Journalisten darunter sein.“ Carmen hat nicht nur den Frontsoldatenfatalismus junger Journalisten dieses Jahrzehnts. Carmen hat noch etwas anderes: „Ich kannte Arbeitslosigkeit schon, als ich noch keine Journalistin war“, sagt sie, als berichte sie etwas eigentlich Selbstverständliches. Carmen kommt aus Mecklenburg. „Meine Mutter und meine Tante wurden 1991 arbeitslos. Aber ich habe doch nicht den Respekt vor ihnen verloren.“ Sondern vor der Arbeitslosigkeit. Wo Carmen herkommt, gingen die Kombinate so schnell ein, dass sich die Leute nicht einreden konnten, sie seien selbst schuld am Verlust ihrer Arbeit. „Die Leute von dort gelten ja nicht gerade als Avantgarde. Aber sie haben kapiert: Wer heute arbeitslos wird, ist nicht dafür verantwortlich.“ Aber auch keine finsteren Mächte. Wie Carmen immer über die PDS-Mär von absichtlich plattmachenden Treuhand gelacht hat, nimmt sie nun die konservative Legende nicht ernst, der Wohlfahrtsstaat zerstöre das Wachstum und damit die Karrierechancen der jungen Leute. Carmen treffen stimmt auch in der Krise fröhlich: Eine Generation, in der die Verlierer so wie Carmen sind, hat kein Problem.

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