Die Stimme der Widersprüche

Punk-heaven calling: Joe Strummer ist tot. Als Frontmann von The Clash spuckte der Gitarrist und Sänger in den späten Siebzigern den Soundtrack zur Revolte heraus und lieferte die Beschallung für unzählige Tequila-Besäufnisse

Sohn eines britischen Diplomaten, negierte Strummer zu Zeiten des Punk alle Werte

Wer ihn zuletzt traf, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Joe Strummer gesünder wirkte als noch zu den Zeiten, als er mit The Clash vorgab, Punk könne die Welt verändern. Er hatte ein kleines Bäuchlein angesetzt und seiner Rolle als alternder Ikone begegnete er mit Ironie: „Es ist ziemlich lächerlich, auf einer Bühne herumzuspringen, während Leute davor stehen und Bier trinken. Nur ein Wahnsinniger verdient so seinen Lebensunterhalt.“

Nun ist der Wahnsinnige tot, am Sonntag gestorben an einer Herzattacke im Alter von 50 Jahren zu Hause in englischen Somerset, wo er mit seiner Familie lebte. Der allerletzte Song auf „Global à Go-Go“, Strummers Album von 2001, seinem letztem längerem Lebenszeichen, heißt „Minstrel Boy“ und ist ein Instrumental mit einem keltischen Einschlag. Die Violine jammert, das Schlagzeug rollt einen vorsichtigen Trauermarsch daher, und wie aus weiter Ferne hört man Strummer mal summen, mal verloren vor sich hin klagen. Jetzt klingt „Minstrel Boy“ wie die Ankündigung des eigenen Verstummens.

So hat Joe Strummer zuletzt nun wohl sogar die Musik zu seiner Beerdigung gespielt, nachdem er zuvor den Soundtrack zur Revolution herausspuckte, die Musik zur multikulturellen Wirklichkeit schrieb, die Beschallung lieferte für Tequila-Besäufnisse und immer wieder die unvermeidlichen Widersprüche zwischen Anspruch und Realität in Töne fasste.

Strummer konnte das, weil er selbst ein wandelnder Widerspruch war. Sohn eines britischen Diplomaten, gesegnet mit einer guten Ausbildung, negierte er als Punk Ende der 70er alle Werte. Während der Rest der Bewegung im Nihilismus erstarrte, entdeckten The Clash griffige Politslogans, die sie – wie Strummer später behauptet – vor allem als coole Pose verstanden hätten. Man posierte in Militärklamotten und prügelte Antikriegssongs durch den Gitarrenverstärker. Zuletzt komponierte Strummer frustrierende Songs über den Zustand der Welt, aber sagte: „Man muss sich dazu zwingen, Hoffnung zu haben. Optimist zu sein ist ein Sport, ein anstrengender Sport.“

So hat er zur Kenntnis genommen, dass The Clash hunderte von nachfolgenden Bands beeinflussten, selbst aber kaum Geld einbrachten, weil ihr Crossover aus Rock, Funk, Folk und HipHop der Zeit weit voraus war. Ihr drittes Album „London Calling“ wurde vom Rolling Stone zur besten Platte der 80er gekürt, obwohl es bereits 1979 erschienen war. Die Welt war nicht ganz gerecht zu ihm. Trotzdem hat Strummer immer nach vorn geblickt, niemals zurück. Lukrative Angebote, The Clash wieder aufleben zu lassen, hat er stets abgelehnt. Zehn Millionen Pfund standen angeblich im Raum, aber Strummer hat mit seiner letzten Band The Mescaleros lieber Platten am Rande des Existenzminimums gemacht, die in ihrer vorsichtigen Adaption von britischer Folklore und World Music die veränderte Realität im Reiche ihrer Majestät, der Königin, spiegelten. Die politische Botschaft, die Strummer all die Jahre hinausgespieen hat mit dieser Stimme, die man immer und jederzeit heraushörte aus tausenden anderen, diese Botschaft hatte sich vom Text zunehmend in den Sound verlagert. So also kann Joe Strummers Stimme niemals verstummen. THOMAS WINKLER