„Von uns kriegt ihr nichts“

Silvestergruß aus deutschen Landen: Mehrheit der Bundesbürger lehnt es ab, Lasten der Hauptstadt auf das ganze Land zu verteilen. 61 Prozent sind der Meinung, Berlin soll allein für Schulden einstehen

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Dass sich zum Jahreswechsel alle Pfeile auf Berlin richten, ist man beinahe schon gewohnt. Nun hat Elisabeth Noelle-Neumann (86) am Sonntag in der B.Z. auch ihren Pfeil auf die Hauptstadt angelegt. Nach einer Umfrage des konservativen Instituts für Demoskopie in Allensbach lehnt es die Mehrheit der Bundesbürger ab, für die marode Haushaltslage des Landes aufzukommen. 61 Prozent der Befragten sind danach der Meinung, Berlin solle allein für seine Schulden einstehen. Lediglich 27 Prozent sind dagegen der Ansicht, dass der Bund Berlin helfen müsse.

Das Land hat derzeit Schulden in Höhe von 46 Milliarden Euro. Der Senat will im Jahr 2003 eine Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen, um die rot-grüne Bundesregierung zur Übernahme eines Teils der Lasten zu bewegen.

Nach Auskunft der Meinungsforscherin seien sich zwar über 53 Prozent der Deutschen bewusst, dass Berlin teilungsbedingt in der Schuldenfalle sitze und „es der Stadt schlecht geht“. Dennoch bedeute dies nicht, in der Finanzkrise zu helfen, sondern die Mehrheit halte daran fest, dass „sich die Stadt selbst aus dem Sumpf ziehen muss“, sagte Noelle-Neumann. „Vor allen Dingen soll das Land Berlin radikal sparen“, so ihre Interpretation.

Ungeachtet dessen, dass der Regierende Bürgermeister Wowereit (SPD) das Land aus dem Würgegriff der ausufernden Personalkosten im öffentlichen Dienst und aus der Schulden-Zins-Spirale zu befreien sucht, sei das Image der Stadt in der Republik schlecht, so das Institut für Demoskopie. 53 Prozent der Befragten schätzten die akute wirtschaftliche Lage schlecht, nur 1 Prozent dagegen als gut ein. Noelle-Neumann: „Die Stadt steht nach Ansicht vieler vor dem Offenbarungseid, der Metropolentraum ist ausgeträumt.“

Gelitten hätten das Ansehen und die Perspektive Berlins auch dadurch, dass Wowereit „außerhalb weniger als Politiker denn als Lebemann und Partystar wahrgenommen wird“, betonte Noelle-Neumann. Auch sein Verhalten bei der Bundesratsabstimmung zum Zuwanderungsgesetz sei in der Republik „übel vermerkt“ worden.

Während Kultursenator Thomas Flierl (PDS) gestern an das „Selbstverständnis des Bundes“ appellierte und höhere Zuwendungen für die landeseigenen Kulturbetriebe einklagte, glauben laut dem Umfrageinstitut auch die jungen BerlinerInnen an die Zukunft der Stadt. Die Stadt sei für sie ein „Ort der Experimente“, so die Allensbach-Forscher. 84 Prozent der 16- bis 29-Jährigen fühlten sich wohl in der Stadt. Unter den über 60-Jährigen sei ebenfalls ein hoher Anteil Berlin-Fans (78 Prozent).

„Bei den Führungskräften der Wirtschaft sieht das anders aus“, analysierte Noelle-Neumann. Hier fühlten sich gerade einmal 62 Prozent wohl an der Spree, ein Drittel sage klipp und klar, dass sie lieber woanders leben wollten. Die Gründe liegen nach Meinung der Befragten in einer depressiven Stimmung, die von der Stadt ausgehe: Berlin zeige sich mutlos, nicht genug weltstädtisch, kleinbürgerlich und neidisch – „ein Klima, in dem sich Führungskräfte einfach nicht wohl fühlen“, glaubt Noelle-Neumann.

Schließlich kriegen in dem jahresendzeitlichen Anti-Berlin-Rundumschlag aus Allensbach auch die Einheitsbemühungen ihr Fett weg. Noelle-Neumann, jeglicher Sympathie für Rot-Rot unverdächtig, konstatiert, dass Berlin „unverändert eine geteilte Stadt“ sei. Ost- und Westberliner wollten augenscheinlich wenig voneinander wissen. So hätten 68 Prozent der Westberliner angegeben, sich ausschließlich mit Bürgern aus dem Westteil zu befassen. Nur 5 Prozent dagegen kontaktierten auch Ossis. Umgekehrt verhalte es sich spiegelbildlich, so die Umfrageergebnisse. 77 Prozent der Ostberliner verkehrten nur mit ihresgleichen und lediglich 2 Prozent unterhielten „Kontakte nach drüben“. Wo alles so recht komisch ist, nimmt es nicht wunder, dass laut Allensbach nur 5 Prozent der Deutschen meinen, mit dem Umzug der Regierung nach Berlin sei die Politik bürgernäher geworden. 23 Prozent glaubten stattdessen, alles sei schlechter geworden.