Ein Persilschein für Angriffskriege der USA

Die Bush-Doktrin schreibt das Ziel fest, jede künftige militärische Gleichstellung anderer Mächte zu verhindern

„Bush-Doktrin“ wird sie genannt, die am 17. September 2002 vom US-Präsidenten unterzeichnete neue „Nationale Sicherheitsstrategie“ der Vereinigten Staaten. In ihr erhebt die US-Regierung ausdrücklich den Anspruch auf so genannte Präemptivkriege: Wer sich gegen den Willen der US-Regierung atomare, biologische und chemische Rüstung (ABC-Waffen) oder Raketen beschaffen will, so die neue Linie, kann zum Ziel einer „Präemption“ werden – eines „vorgreifenden“ Angriffs.

Die Doktrin schreibt weiter das Ziel fest, den militärtechnolgischen Vorsprung der US-Streitkräfte zu erhalten und jede künftige militärische Gleichstellung anderer Mächte zu verhindern. Im Zweifelsfall, so das Dokument ausdrücklich, werden die USA auch ohne die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats und ohne die Beteiligung Verbündeter Präemptivkriege führen. In einer am 11. Dezember zusätzlich veröffentlichten „Nationalen Strategie zur Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen“ wird zudem mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen gedroht, im Zweifelsfall auch gegen Staaten, die selbst keine Atomwaffen besitzen (siehe Kasten).

Den Namen George W. Bushs trägt die Präemptivdoktrin nicht ganz zu Recht, denn vorbereitet wurde diese Politik schon von seinem Vorgänger Clinton: Unter dem Begriff „Counterproliferation“ wird im Pentagon seit 1993 an Richtlinien für das militärische Vorgehen gegen Besitzer von ABC-Waffen und Raketen gearbeitet: Planungen für Präemptivkriege – inklusive eines Atomwaffeneinsatzes durch die USA – sind seit Anfang der 90er–Jahre Teil dieser Überlegungen. Ebenso lange kultiviert wurde das in dem Strategiepapier genutzte Feindbild von den „Schurkenstaaten“, einer nie definierten Gruppe vergleichsweise kleiner Militärmächte, die angeblich die USA bedrohen.

Nachdem Bush die Drohung mit Präemptivkriegen zur offiziellen Politik der USA erklärt hat, könnten Angriffskriege wieder ein Mittel in den internationalen Beziehungen werden – auch wenn das Dokument darauf verweist, dass andere Staaten die neue Politik der USA selbstverständlich „nicht als Vorwand für Aggressionen benutzen“ dürften. Auf den Präzendenzfall muss wohl nicht lange gewartet werden. Denn auch wenn die Doktrin der Präemtivkriege nicht speziell für den Irakkrieg geschrieben wurde: Mit einem Krieg am Golf könnte die US-Regierung demonstrieren, dass ihre neue militärpolitische Richtlinie nicht nur auf dem Papier steht. ERIC CHAUVISTRÉ