Dosen, die keiner mehr will

1,8 Milliarden Getränkedosen wurden in Weißenthurm jährlich produziert. Jetzt sind alle Aufträge storniert – die Wut auf den Umweltminister ist groß

aus Weißenthurm HEIKE HAARHOFF

Das Reizwort ist sieben Buchstaben lang. Die erste Silbe, „Trit-“ , ist kaum ausgesprochen, da entfährt Wolfgang Hinkel ein Grollen, so als mache er sich bereit, Umweltminister Trittin persönlich in die Knie zu zwingen. Wenn sich „unser Gegner“, wie Hinkel Trittin nennt, denn einmal vor Ort bei der Schmalbach-Lubeca AG zeigte. Wenn er sich „die Misere“, wahlweise auch „die Unverschämtheit“ oder schlicht „das Chaos“ ansähe, das er angerichtet habe bei Deutschlands größtem Getränkedosenhersteller mit seinem „Zwangspfand“. Wenn er den 300 Beschäftigten im rheinischen Weißenthurm denn in die Augen schaute, die jetzt um ihren Job bangen: Bereits seit dem 20. Dezember stehen die Bänder still.

Seit Getränkehandel und -industrie, Verpackungshersteller und Blechproduzenten wenige Tage vor Weihnachten erfahren mussten, dass Deutschlands höchste Gerichte ihren Klagen gegen das Pflichtpfand nicht stattgaben, wird ihnen allmählich das Dilemma, in das sie sich hineinmanövriert haben, deutlich: Weil sie alle sich nicht frühzeitig um ein bundesweit einheitliches Rücknahmesystem gekümmert hatten, nehmen die meisten Geschäfte seit vorgestern nur die Dosen zurück, die auch bei ihnen gekauft wurden. Kein eben attraktives Angebot für Verbraucher, die an Mobilität gewöhnt sind – folglich sinkt die Nachfrage nach Dosen empfindlich.

1,8 Milliarden Getränkedosen wurden bislang in Weißenthurm jährlich produziert, zusammen mit den drei anderen Schmalbach-Lubeca-Werken waren es deutschlandweit 4 Milliarden. „Heute sind praktisch alle Aufträge storniert“, sagt Wolfgang Hinkel, „das müsste der Trittin mal begreifen.“ Aber der Minister ist ja bestenfalls virtuell greifbar.

Wütend hämmert Wolfgang Hinkel auf seine Tastatur. Laut Visitenkarte ist er „Leiter Controlling Getränkedosen Deutschland“ und damit derjenige, der ausrechnet, ab wie viel Unterbeschäftigung ein Werk besser schließt. 50 Jahre ist er alt, die letzten 27 davon in Weißenthurm bei Schmalbach-Lubeca, „immer waren die Arbeitsplätze sicher“.

Bis jetzt. Jetzt erscheint auf dem Bildschirm die Webseite des Bundesumweltministeriums: Es hüpft fröhlich eine rote Dose, es blinken die Wörter „Dosenpfand“ und „Hotline“, es lächelt freundlich Jürgen Trittin: „Dieser Grinsheini“, sagt Hinkel verächtlich. Nur in Ermangelung anderer politischer Erfolge habe sich der Grüne auf das Dosenpfand gestürzt, „für den ist Dose doch gleich Umweltschmutz“, sagt der Controller. Und er, Hinkel, könne jetzt sehen, wie er den Kollegen die drohende Kurzarbeit möglichst schonend beibringe. Ihn und die Konzernleitung jedenfalls treffe keinerlei Mitschuld: Warum hätte man denn Kosten und Gedanken an ein kostenspieliges Rücknahmesystem verschwenden sollen, wo es sich in der Vergangenheit noch mit jedem Umweltminister vernünftig reden ließ? Wolfgang Hinkel seufzt. Das neue Jahr ist gerade zwei Tage jung, und der Controller klingt plötzlich, als sei es bereits gelaufen. Zu verlieren, sagt er dann, habe seine Firma jedenfalls nichts mehr.

Er führt in die Produktionshalle. Die Schicht, knapp 25 Mann, ist um sechs Uhr morgens pünktlich erschienen. Zu tun freilich gibt es wenig. Alle Maschinen und Bänder, an denen normalerweise an 350 Produktionstagen jährlich rund um die Uhr Dosen für Coca-Cola, Pepsi und diverse Biersorten gestanzt, gezogen, lackiert und bedruckt werden, stehen still. Jörg Rünz, Produktionsmeister und stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender, sagt, im Gespräch seien jetzt Kurzarbeit ab Monatsmitte und möglicherweise eine Fünf- statt der bisherigen Sieben-Tage-Woche. Doch kurz vor Weihnachten habe die Konzernleitung diese Hiobsbotschaft ihren deutschlandweit 1.000 Beschäftigten nicht übermitteln mögen. Wo doch die Schmalbach-Lubeca erst kürzlich an den US-amerikanischen Konzern Ball verkauft worden und die Unsicherheit unter den Beschäftigten entsprechend sei.

Und so sind sie alle gestern Morgen pünktlich zur Arbeit erschienen, ohne wirklich etwas zu tun zu haben: Thomas Jung, der 39-jährige Vorarbeiter, der jetzt in der Lagerhalle missmutig auf leere Dosen im Wert von 12 Millionen Euro starrt, die niemand mehr haben will, weil ihnen der Aufdruck „Pfand“ fehlt, und der statt an die Organisation ihres Verschrottens an sein Haus denkt, das er vor zwei Jahren gekauft und längst nicht abbezahlt hat.

Oder Michael Thilmann, der 37-jährige Schichtmeister, der jetzt mit Hingabe ein paar Maschinen reinigt, wozu sonst niemand im ganzen Jahr kommt. Lange, das wissen alle, geht es so nicht weiter.

Die Frage ist, wie weit es tatsächlich geht. Denn die Bedrohung für Weißenthurm und alle anderen Dosenproduktions-Standorte ist nicht das Pfand an sich, das haben sowohl der Betriebsrat als auch Controller Hinkel erkannt: Es geht darum, die neun Monate bis Oktober zu überbrücken, bis das einheitliche Rücknahmesystem funktionieren soll. Neun Monate, sagt Hinkel, die verdammt lang werden könnten, um genervte Verbraucher, die penibel Kassenbons und Pfandscheine sammeln müssen, um ihre leeren Verpackungen wieder loszuwerden, bei der Dose zu halten. „Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Leute sich umentscheiden“, sagt Hinkel. Dass sie der Dose ganz den Rücken kehren. Mehrweg kaufen. Oder, um es mit Wolfgang Hinkels Albtraum zu sagen: für immer an Jürgen Trittin verloren sind.