Zwei heilige Monster

Der jugendliche Liebhaber als männliche Muse und unbeschriebenes Blatt Papier: Jeanne Moreau spielt die große alte Marguerite Duras in dem Film „Diese Liebe“

Geradezu sadistisch lange ließ sie das Publikum im Berlinale-Palast warten. Es folgte ein kurzer Auftritt in Leggings und Strickpulli, skurril und doch irgendwie erhaben. Ihr abschätzender Blick, der keine Gnade kennt, ihre schräge Schnute, deren simples Zucken auf der Leinwand wahre Beben auslösten, forderten die Standing Ovations regelrecht heraus – mit wunderbarer Arroganz nahm Jeanne Moreau vor drei Jahren den Ehrenbären der Berliner Filmfestspiele entgegen.

Auch in ihrem neuen Film verkündet sie irgendwann: „Le sujet, c’est moi – das Thema bin ich.“ In dieser Szene liegt Jeanne Moreaus Kopf im Schoß des deutlich jüngeren Liebhabers, und wieder sind es die herrischen Züge ihrer Lippen, die jeden Widerspruch im Keim zu ersticken scheinen. Gerne hat sie die markante Ausprägung ihrer Mundpartie dazu genutzt, um Dominanz und Stärke zu zeigen, dennoch liegt hier auch all ihre Verletzlichkeit. So bleibt ihr Lachen auch in „Diese Liebe“ traurig. Wenn sie ausgelassen mit ihrem Geliebten singt und tanzt, sind die Mundwinkel immer ein klein wenig nach unten gezogen. Eine absteigende Linie, die schon in Truffauts „Die Braut trug Schwarz“ oder „Jules und Jim“ den tragischen Werdegang ihrer Figuren vorwegnahm.

Diese typisch Moreau’sche Tragik wird von Josée Dayan in ihrem Film über Marguerite Duras’ Beziehung zu dem Literaturstudenten Yann Andrea (Aymeric Demarigny) offensiv in Szene gesetzt. Von Anfang an spricht alles gegen die beiden: Altersunterschied, Schreibblockaden, Alkoholismus. In verknappter Ein-Satz-Manier à la Duras formuliert Moreau die Problembereiche dieser Liebe, um sich sogleich handfesteren Tätigkeiten wie dem Stopfen von Socken und der Zubereitung von Hühnersuppe zu widmen – und kennt mit dicker Brille keine Scheu vor Hässlichkeit. Man hört und sieht ihr gern zu und würde doch lieber Moreau sehen, die Duras liest. Den „Liebhaber“ etwa – mit ihrer Stimme, die das Leben aufgesogen hat, entstünde vielleicht eine neue Lesart: Moreau, die sich für Duras sehnsüchtig an die körperliche Liebe der Jugend erinnert, an einen schönen, unbehaarten Männerkörper.

Vielleicht war Yann Andrea für die alternde Marguerite Duras tatsächlich nur männliche Muse. Ein junges Stück Fleisch, das man nach Belieben betrachten konnte, ein Geruch, der an frühere Abenteuer erinnerte, ein Literaturstudent, der sich nach ihren Worten verzehrte. Diese Sehnsucht bleibt in Dayans Film leider nur Behauptung, obwohl es nicht einmal an den nötigen Regieeinfällen mangelt. Wenn Yann mit Loch im Strumpf durch die Wohnung läuft, fordert Madame ihn auf, das Objekt des Anstoßes auszuziehen, und lächelt herausfordernd. Doch alle Koketterie scheint an diesem Schauspielerjüngelchen abzuprallen. Aymeric Demarignys ewiggleich dreinschauendes Milchgesicht eignet sich nicht einmal als unbeschriebenes Stück Papier. So bleibt sie ganz für sich, eine Schauspielerin, deren Egozentrik bis zur Ununterscheidbarkeit mit der immer leicht schildkrötigen Duras verschmilzt. Jeanne und Marguerite, zwei heilige Monster. ANKE LEWEKE

„Diese Liebe“. Regie: Josée Dayan. Mit Jeanne Moreau, Aymeric Demarigny, Frankreich 2001, 100 Minuten