Hüpfburg in Kunstlederrot

Als Comic verspielt: „Peanuts“ von Fausto Paravidino im Münchner Theater Haus der Kunst

Was beim Lesen noch komisch wirkt, ist es beim Sehen längst nicht mehr. Selbst der ärgste Zynismus im Polizeirevier erntet beim Publikum kein einziges Geräusch. Und das, obwohl die Regisseurin Tina Lanik den ohnehin bunten Setzkasten des Antiglobalisierungskampfes in Fausto Paravidinos Stück „Peanuts“ besonders grell ausleuchtet und etliche Comic-Klischees noch auf der Eilspur überholt: Wattierte Schlaghosen und lustig wippende Rocksäume der Kostümbildnerin Su Sigmund und vor allem riesiges Grinsen und noch riesigeres Wedeln und Kreischen von den jüngeren Staatsschauspiel-Diven Barbara Melzl und Christine Schönfeld tragen viel dazu bei.

Der Rest ist Regie und als solche ein klarer Fall: Die deutschsprachige Erstaufführung von „Peanuts“ im Münchner Theater im Haus der Kunst ist weitaus mehr Comic, als dem 26-jährigen Pinter-Verehrer und Shootingstar der italienischen Dramatik je vorgeschwebt haben mag. Charles M. Schulz schätzt Paravidino laut Programmheft als Erfinder von wahren Beckettfiguren. Die hat er sich von dessen „Peanuts“-Comics geliehen, „älter gemacht und in die Kaserne von Bolzaneto gesteckt, wo die von der Polizei beim Sturm auf die Diaz-Schule verhafteten G-8-Gegner in jeder Weise bedroht und misshandelt wurden“.

Ja, hier muss man tatsächlich erst einmal innehalten, denn was da aus Berlusconis schwer bewaffnetem Intrigenstadel herüberkommt nach Deutschland, ist ein hierzulande seltenes Juwel: ein gutes Stück Gegenwartsdrama, engagiert und an der Tagespolitik entflammt, ohne dass dabei auf dem Papier schon wieder knisterndes Thesentheater entstehen würde. Diesem lauernden Vorwurf nimmt der junge Schauspieler und (Drehbuch-)Autor den Wind aus den Segeln, indem er pfiffigerweise die ersten 11 Szenen mit Schlagworten aus dem Handbuch der Globalisierung überschreibt, die er in naiven Spielszenen erläutert, ironisiert, verfremdet: „Respekt vor dem Eigentum“, „Revolution und neue Techniken des Kampfes“ heißen die Titel – und gezeigt werden Kinderhändel. Dabei gelingt es Paravidino, die Themen von ihrem Gewicht zu befreien, ohne sie zu banalisieren oder zum persönlichen (oder gar italienischen!) Problem zu verkleinern.

Umgekehrt verfährt er im zweiten Akt: Die neun Jugendlichen, die zuvor jene Luxuswohnung verwüsteten, in der Charlie Browns Alias „Buddy“ den Aufpasser spielt, treten hier wieder auf: die Hälfte von ihnen als Prügelknaben eines autoritären Staates, der Bürgerrechte wie Peanuts in die Tonne tritt, der Rest als halb lustvolle, halb nur willige Instrumente der Macht. Die brutalsten Folterszenen tragen jetzt leichte Namen wie „Heiteres Zwischenspiel“ oder „Nettigkeiten“, und es ist so notwendig wie einfallslos, diese Zwischentitel stets wortwörtlich einzublenden.

Als Laniks (leider einziger) Coup aber darf gelten, dass sie dem ganzen zweiten Akt die Leidenschaft entzieht, wodurch der laptopklimpernde Oberbulle Schkreker (Alter Ego des Beethovenfans Schröder) zum sanft wirkenden Märchenonkel wird und der gezeigte Horror gleichsam blank liegt wie im Anschauungsunterricht für die Kleinsten: „Schaut einmal gut her!“

Die Bühne von Magdalena Gut ist dieselbe wie in Teil eins – eine Hüpfburg aus roten Kunstlederquadern und -würfeln: die Farbe einer Coca-Cola-süchtigen Fun- und TV-Generation. Die Farbe aber auch des Blutes und des linken Widerstands. Der mit diesem zunehmend liierte Paravidino hat sein siebtes Stück im Auftrag des Londoner Royal National Theatre geschrieben und unter dem Eindruck des Weltwirtschaftsgipfels in seiner Heimatstadt Genua 2001 vollständig überarbeitet: Als die Stadt sich fein machte für die mächtigen acht und der 23-jährige Demonstrant Carlo Giuliani von einem Carabinieri erschossen wurde, schien ihm jedes andere Thema irrelevant.

„Weißt du, was der Unterschied ist zwischen denen wie mir, denen wie ihm und denen wie dir?“, fragt die prügelnde Cindy ihr Opfer Snappy und beschwört damit nicht zum erstenmal eine neue Klassengesellschaft herauf, bei der die oben die Mädchen abbekommen und die unten die Hiebe, während jenen in der Mitte nur Minderwertigkeitsgefühle bleiben. Solchen wie Buddy, der mit Robert Joseph Bartls trägem Charme vom zahnlosen Wachhund der Reichen zum fast putzigen Handlanger des Polizeistaats mutiert, aber stets reinen Herzens bleibt. Bis es am Ende Tote gibt. Hätte Buddy das verhindern können?

„Sind das deine Freunde?“, fragte ihn Schkreker als Wohnungsbesitzer im ersten Akt, und Buddys leises „Nein“ ist in München nur die traurige Wahrheit. Schulz’ allzumenschliche Comicmonster, Paravidinos wenigstens ansatzweise liebenswerte Menschparabeln atmen und verdienen Mitleid. Die 28-jährige Lanik aber hat Abziehbilder ätzender Jung-Egos auf die Bühne gestellt, die nur Spaß wollen, „ganz und sofort“. Sie nicht ganz und sofort aus seinem Herzen zu schmeißen, wie es im sehr kurzen Schlussakt als Alternative erwogen wird, wäre nachgerade übermenschlich.

SABINE LEUCHT