Die Form der Frauen

Mela Hartwigs umstrittener Roman „Das Weib ist ein Nichts“ erscheint nach siebzig Jahren neu

von DOROTHEE WENNER

Dieses Buch ist wirklich etwas komisch. Das fängt schon damit an, dass der blonde Puppenkopf auf dem Umschlagbild einen so provozierend dumpf ansieht. Dann der Titel – ein Zitat aus Friedrich Hebbels Tagebüchern, das die Autorin Mela Hartwig ihrem Roman 1929 auch als Motto vorausschickt: „Ein Weib ist ein Nichts; nur durch den Mann kann sie etwas werden …“

In einem mutmaßlich feministischen Kontext beginnt man unweigerlich, über den Sinn dieser Worte zu rätseln, und das hört auch nach der Lektüre nicht auf. Denn dieses Motto ist wie die Handlungsvorgabe – ein roter Faden, der am Schluss jäh abreißt. „Das Weib ist ein Nichts“ ist ein schnell gelesener Roman, im atemlosen Stil der damaligen Zeit verfasst. Es geht um eine junge Frau namens Bibiana, die sich eines Abends aufmacht, um nicht wieder zu ihrer Mutter zurückzukehren. Wenig später lernt sie einen „Abenteurer“ kennen, der sie in die große Stadt bringt – und aus ihr eine russische Spionin machen möchte. Er verlangt von der Geliebten Ungewöhnliches, beispielsweise einen gefakten Selbstmordversuch: „Wir sind der Gesellschaft lange schon eine kleine Sensation schuldig.“

Als diese wilde Beziehung durch einen tödlichen Schuss beendet wird, schlittert die Überlebende fast von selbst in eine Liaison mit ihrem vormaligen Klavierlehrer, einem fanatischen Musiker. Genau wie die anderen drei Romanmänner verliebt sich der Pianist aber nur in eine Facette der Persönlichkeit Bibianas, die – kaum geht das Beziehungskarussell rund – ganz und gar so zu werden versucht, wie er es verlangt. In diesem Fall muss sie die ideale Zuhörerin geben, die inspirierende Muse, die seiner Kunst alles zu opfern bereit ist. Schließlich verlässt Bibiana ihn: „Sie erriet die unnachweisbare Treulosigkeit, die zwischen Menschen besteht, die in verschiedenen Wirklichkeiten wohnen.“

Bibiana sucht sich eine Anstellung als Sekretärin in einer Bank. Durch Hartnäckigkeit gelingt es ihr dort, den Direktor zu verführen. Sie hätte nach dessen Autounfall eigentlich unbeschwert, unabhängig und in Luxus weiterleben könne – aber es kommt anders, als sie einen sozialistischen Arbeiterführer kennen lernt. Erst als sie ihre gepflegten Hände rot und rissig gearbeitet hat, lässt er sich dazu herab, sie zu küssen. „Diese Huldigung, die nicht ihrem Körper, die ausschließlich tapfer erfüllten Pflichten galt, erschreckte sie beinahe.“

Bedingt durch den flotten und dichten Handlungsverlauf, ist für Ausschmückungen atmosphärischer Natur oder psychologischer Befindlichkeiten auf den knapp 200 Seiten nur wenig Platz. Aber in dieser Reduktion kommt die abgründige Begabung der Autorin zum Vorschein, die in ihrem Roman weniger unverwechselbare Charaktere als vielmehr Typen geschaffen hat, in deren Verhalten man eigenes, vertrautes und sehr intimes Wissen gespiegelt findet. Und zwar auch als heutiger Leser, zumal das Buch wieder einmal nahe legt, dass die Menschen im Berlin Ende der 20er-Jahre in vielerlei Hinsicht radikaler und vielleicht sogar „moderner“ gelebt haben als derzeit.

Jedenfalls hatte die 1893 in Wien geborene Mela Hartwig für Liebesangelegenheiten zwischen Frauen und Männern einen Röntgenblick, der weit unter die gefällige Oberfläche des bürgerlichen Ideals reicht. In „Das Weib ist ein Nichts“ beschreibt sie die fatale Dynamik zwischen einer weiblichen Tendenz zur lustvollen Selbstaufgabe in Liebesbeziehungen und einer komplementären Neigung zur Tyrannei bei Männern, Frauen nach ihren Vorstellungen zu „formen“ – ein Phänomen, dem man völlig unabhängig von Intelligenz, Schicht, Beruf oder Status immer wieder begegnet.

Das war damals schon vor allem aus feministischer Sicht beunruhigend. Das Buch sei eine „Bloßstellung ihres Geschlechts“, befand zum Beispiel das im Nachwort zitierte Neue Wiener Journal, ein „Frauenroman gegen die Frau“. Andererseits wurde das Buch auch als „sehr klug“ gelobt und war unmittelbar nach seinem Erscheinen zur Verfilmung mit Greta Garbo in der Titelrolle vorgesehen.

Der österreichische Literaturverlag Droschl hat sich auch wegen dieser schillernden, kontroversen Rezeption zur Wiederauflage des Romans entschieden, nachdem im letzten Jahr bereits „Bin ich ein überflüssiger Mensch?“ aus dem Nachlass der Schriftstellerin erschienen war. Mela Hartwig, die in Wien und Berlin auch als Schauspielerin gearbeitet hat, emigrierte 1938 mit ihrem jüdischen Ehemann nach London, konnte dort jedoch bis zu ihrem Tod 1967 keinen Verlag mehr finden und arbeitete – auf Vermittlung von Virginia Woolf – in einer Anstellung als Sprachlehrerin. Anders als ihre berühmte Kollegin wird es Mela Hartwig wohl nie in die Sphäre irgendwie unantastbarer „Frauenliteratur“ schaffen: Sie hat eher Bücher geschrieben, über die man sich auch mit der besten Freundin trefflich streiten kann.

Mela Hartwig: „Das Weib ist ein Nichts“. Literaturverlag Droschl, Graz 2002, 192 S., 19 €