Der König der Kartoffeln

Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Sigmar „Fats“ Gabriel

Er war so schmächtig, dass man ihn zweimal auf die Waage legen musste, bis der Zeiger ausschlug

Die Politik in Zeiten des Wahlkampfs ist wie eine Sau, die man Tag für Tag durch ein anderes Dorf treiben muss. Vor drei Tagen Besuch bei der gemischten Hiphop-Häkelgruppe im Jugendraum des Kulturzentrums beim Gemeindehaus der kommunalen Begegnungsstätte Oldenburg-Gifhorn, vorgestern Auftritt im Spiegelsaal der Bahnhofstoiletten Oberniederdeich, gestern Rede auf der Zubehörkonferenz beim Ersatzteilsymposion der Zulieferindustrie auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums in Oststedt-West, abends ökumenisches Anfassen in der Johannes-der-Judas-Kirche in Kokelkakelsen. Heute Rundgang durch den Modellschlachthof des reformierten Kindergartens in Bergburgdorfhausen, morgen Eröffnung der Alten-Teestube „Schnabeltasse“ in Hüttenstätten, übermorgen Präsentation mit dem Shanty-Chor „Däi Kauhfickers“ an der Ausfallstraße in Leer Richtung Aurich – so sieht ein Terminkalender aus, der genauso prall gefüllt ist wie er selbst: Sigmar „Fats“ Gabriel.

Ran an den Speck, lautet sein Grundsatz in der Politik, die ihn seit langem gut ernährt. Fünfzehn Jahre futterte er sich bei den Zeltlagern der sozialistischen „Falken“ durch jede Grillfete. 1977 trat er mit Leib und Seele in die SPD ein, 1979 in die ÖTV (Öffentliche Dienste, Transport und Verzehr). Breiter bekannt wird der begeisterte Futterverwerter ab 1987, als er sich in den Kreistag Goslar zwängt und später auch in den Rat der Stadt Goslar quetscht, wo er sich den Vorsitz im Ausschuss für Wirtschaft, Stadtentwicklung und Ernährung unter die Gabel reißt.

1990 stemmt sich der überzeugte Bauchträger in den Niedersächsischen Landtag und kommt überall dick heraus: Bis 1994 unter anderem im Ausschuss für Umweltfragen und Kohlenhydrate und im Ausschuss für Wirtschaft und Schokolade, von 1994 bis 1998 im Innenausschuss für Kuchen und Kekse, im Pudding- und Pralinenausschuss für Kultur sowie im Ausschuss für Verfassungswurst und Agentenkäse. Gabriel wuchert weiter mit seinen Pfunden, wird 1997 süßwarenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, schiebt sich im März 1998 ins Amt des SPD-Fraktionsvorsitzenden. Im Dezember 1998 ist es so weit: Sigmar Gabriel drückt Gerhard Glogowski, der mit der TUI in den Honigmond geflogen war, aus dem Sessel des niedersächsischen Ministerpräsidenten und lebt fortan selbst im Speck des Landesvaters.

Dass er einmal der breiteste Politiker des nach Bayern dicksten Bundeslandes werden würde: Anfangs hatte er nicht danach ausgesehen. Als der kleine Sigmar am 12. September 1959 auf die Welt Goslars kam, war er so schmächtig, dass man ihn zweimal auf die Waage legen musste, bis der Zeiger ausschlug. Zum Glück zählt alles, wozu man den Mund aufmachen muss, zu seinen Steckenpferden. So lernt er viel reden und noch mehr essen, schafft es in wenigen Jahren von null auf hundert und stapelt die Kilos bis unter die Schädeldecke. Rund um die Uhr gibt es Mittagessen; zwischen den Mahlzeiten ernährt er sich von Marmeladebroten und Wurststullen, und wenn er dann noch immer keinen Hunger hat, haut er sich Bounties, Milky Way oder Zucker rein. Gegen Mitschüler, die ihn hänseln, zeigt er sich schlagfertig, hat aber auch ein flottes Mundwerk: „Lieber dick als dünn – äh, doof wollte ich sagen!“, lautet ein Bonmot aus dieser Zeit.

1979 schafft er mit Bestnoten in den Leistungskursen Essen, Essen und Essen das Abi. Hart wie Toblerone, zäh wie Mars und flink wie Treets ist Sigmar, und um Gabriel zu werden, geht er zur Bundeswehr, wo er zum Gulaschkanonier ausgebildet wird. 1982 moppelt er an die Universität Göttingen und studiert den Mensaplan. Viele junge Leute, die kein Talent zu einem Beruf verspüren, wollen damals Lehrer werden. Auch Gabriel bereitet sich auf den Schuldienst vor, doch in Wahrheit träumt er, der in der Kindheit keinen Märchenfilm verpasste, von der Rolle des ihm auf den Leib geschneiderten dicken Märchenkönigs. 1989 macht er den Traum zum Wunsch und wuppt in die Landespolitik, um nach der Krone Niedersachsens zu greifen. Und beißt sich durch bis oben: „Politik muss man wollen, ganz oder gar nicht“, verrät er das Geheimnis seines Erfolgs. Tochter Saskia (13) findet das auch, lebt deshalb bei der Mutter in Hessen.

Sigmar Gabriel steht mit beiden Beinen im Volk und ist ein Garant dafür, dass Niedersachsen auch künftig die größten Kartoffeln erntet. Doch ob er sich weiterhin auf die fünf Buchstaben seines Throns setzen darf, das entscheidet der Gang zur Waage des Wählers am 2. Februar. Aber selbst wenn sich die mageren Umfrageprozente bewahrheiten und er am Wahlabend entgegen dem Augenschein für zu leicht befunden wird, muss es mit Sigmar Gabriel kein dünnes Ende nehmen: Der umfangreichste Politiker der SPD steht bereits in der Kabinettsreserve für Berlin und kann noch viel dicker als jetzt herauskommen: „Wer Zeltlager mit 500 Kindern und Jugendlichen organisiert“, erinnert sich der große Gummibär an seine Zeit als Leitwolf bei den Falken, „kann später auch die Welt führen!“ PETER KÖHLER