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: Echt umkämpft: Der HipHop-Markt

Gewalt verkauft

Ein erstaunliches Plakat liegt der Februar-Ausgabe des New Yorker HipHop-Magazins The Source bei. Auf der einen Seite zeigt es einen etwas monströs wirkenden Comic-Superhelden in einem Source-T-Shirt, der einem kleinen, Akne-verpickelten Jungen das Genick bricht („krak!“ steht daneben). Der Junge soll Elliott Wilson sein, Herausgeber des Magazins XXL, Hauptkonkurrent von Source. Dreht man das Plakat um, sieht man den Rapper und Source-Mitherausgeber Benzino, der den abgeschlagenen Kopf von Eminem in die Höhe hält. Es signalisiert vor allem eines: Die Blink-Blink-Epoche des HipHop ist vorbei, jene Ära, in der es darum ging, den eigenen Reichtum abzufeiern, und deren zentrales Stück Puff Daddy’s „It’s all about the Benjamins“ war, das von 100-Dollar-Noten handelte, auf denen ein Porträt Benjamin Franklins zu sehen ist. Es geht wieder um Kampf: Mann gegen Mann, Gang gegen Gang – die mythosumkränzte Ursituation des HipHop.

Die Gefechtslage ist unübersichtlich. Alle möglichen Rapper haben aus allen möglichen Gründen ein Problem miteinander: Nas und Jay-Z streiten sich darüber, wer der König von New York ist. Ja Rule und DMX sind sich nicht grün, weil sie sich gegenseitig der Nachmacherei bezichtigen. Der Konflikt zwischen 50 Cent und Ja Rule begann mit ganz konventionellen Beleidigungen. Jermaine Dupri glaubt, er sei ein besserer Produzent als Dr Dre. Und Benzino attackiert Eminem wegen dessen Hautfarbe. Kompliziert wird das Ganze durch ein vielschichtiges Geflecht von Allianzen, Freundschaften und Labelverpflichtungen. Kurz: Wie in jedem Bürgerkrieg und auf jedem Schulhof kann sich niemand mehr genau erinnern, wer eigentlich angefangen hat. Nur in einem sind sich alle einig: darin, dass die Lage verdammt ernst ist.

Das heißt nun nicht, dass man all diese Streite gleich ernst nehmen müsste. Nach langen Jahren des Booms sind 2002 zum ersten Mal die Verkaufszahlen von HipHop-Platten zurückgegangen. In einer solchen Situation versucht jeder Rapper möglichst viel Wind zu machen, um seine Platte unter die Leute zu bringen – und was wäre da besser als ein zünftiger Streit. „Jeder will diese Sexiness“, wird etwa Nas in der New York Times zitiert, „es gibt im Augenblick nichts, was gangstermäßiger wäre.“ Doch zumindest die New Yorker Polizei ist da anderer Meinung. Denn gangstermäßiger als sich gangstermäßig gebende Rapper sind richtige Gangster, und zumindest das NYPD glaubt, dass es mitunter schwierig sei, eine Trennungslinie zu ziehen.

Da ist nicht nur der Mord an Jay Master Jay, dem DJ der HipHop-Pioniere RunDMC, der immer noch nicht aufgeklärt ist, um den sich aber Gerüchte ranken, er sei eine Botschaft an 50 Cent gewesen, der als Schützling von Jay Master Jay galt. 50 Cent wurde vor drei Jahren schon einmal bei einer Attacke durch Ja Rule und seine Gang mit einem Messer verletzt, wenig später wurden vor dem Haus seiner Großmutter Schüsse auf ihn abgegeben, einer traf ihn ins Gesicht. Vor drei Wochen bekam 50 Cent noch eine Botschaft: Unbekannte feuerten sechs Schüsse auf das Büro seiner Management-Agentur. Vor einigen Tagen gab das NYPD bekannt, dass es zusammen mit dem FBI gegen Ja Rules Plattenfirma Murder Inc. wegen Verbindungen zum organisierten Verbrechen ermittle.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass einige der Plattenlabels aus der Frühzeit des HipHop Waschanlagen für Gelder aus dem Crackgeschäft waren. Doch das war in den Achtzigern, und damals war HipHop noch keine Milliarden Dollar schwere Industrie. Auch das Kokettieren so gut wie aller Rapper mit dem Gangster-Image ist ungefähr ein so alter Hut wie die Godfather-Hats, die RunDMC in den mittleren Achtzigern trugen und die eine Respektsbekundung vor Marlon Brando waren, der im Film „Der Pate“ den gleichen Hut aufhatte.

Sollte sich allerdings bewahrheiten, dass Murder Inc. mit Geldern aus dem Drogengeschäft gestartet wurde, noch mehr Geld wusch und Geschäftsverbindungen mit dem Supreme Team unterhielt, einer der größten Gangs von Queens, wäre das dennoch eine mittlere Sensation. Schließlich ist Murder Inc. eine der erfolgreichsten Plattenfirmen der USA und ihr Sound in New Yorks Straßen so allgegenwärtig wie die Boutiquen, aus denen er dröhnt, und die riesigen Jeeps, aus deren Anlagen er wummert.

Die Verantwortlichen bei Murder Inc. bestreiten die Vorwürfe. Man unterhalte zwar Kontakte zu Kenneth McGriff, dem ehemaligen Chef des Supreme Teams, und dieser habe auch zehn Jahre wegen Crack-Dealerei im Gefängnis gesessen, doch das sei Vergangenheit. Heute arbeite er als Drehbuchautor und Filmproduzent für die Murder-Inc.-Filmabteilung, dafür sei er bezahlt worden, für sonst nichts.

50 Cent verkündete unlängst in der Village Voice, er sei bereit: „Wenn aufeinander geschossen werden muss, dann können wir das machen.“ Bei der Auswahl seiner Duettpartner bewies er auf jeden Fall Geschäftssinn: Im vergangenen Jahr brachte er ein posthumes Duett mit dem vor sechs Jahren im Zuge der letzten großen HipHop-Fehde erschossenen Rapper Notorious B.I.G heraus. Nun kündigte 50 Cent an, seine nächste Single werde ebenfalls ein Duett mit einem Toten: mit dem ebenfalls vor sechs Jahren erschossenen Tupac Shakur. TOBIAS RAPP