„Nicht denunzieren“

Andreas Dresen zeigt im Panorama seinen neuen Film „Herr Wichmann von der CDU“. Ein Gespräch über die Parteilichkeit der Kamera, das Leben in der ostdeutschen Provinz – und die Einsamkeit

Interview CRISTINA NORD

taz: Herr Dresen, Sie haben „Herr Wichmann von der CDU“ für die Dokumentarfilmreihe „Denk ich an Deutschland“ gedreht. Schwebte Ihnen Ihr Thema – Wahlkampf in der Uckermark – von Anfang an vor?

Andreas Dresen: Nein. Ich wollte in die Provinz gehen. Ich mag Orte, an denen das Leben scheinbar vorbeizieht. Ich habe nach etwas gesucht, was starke Vorgänge mit sich bringt, damit der Film möglichst unkommentiert daherkommt, möglichst ohne Interviews, puristisch, mit einer starken, zentralen Figur, die ich beobachten darf und die mich durch den Film führt. Es traf sich, dass gerade Wahlen waren. Ich fragte mich: Was macht ein kleiner Politiker, ein Direktkandidat in einer Region, wo es den Leuten nicht gut geht?

Warum haben Sie sich für einen Kandidaten der CDU entschieden?

Ich selber bin in keiner Partei und würde auch in keine eintreten. Das hat nichts damit zu tun, dass ich mich als unpolitisch begreifen würde. Ich glaube nur, dass unser Parteiensystem Leute funktionalisiert. Aber ich stehe anderen Parteien näher als der CDU, und ich empfand diese Distanz als Herausforderung. Zugleich war sie nötig, damit ich die Beobachterposition einnehmen konnte.

Aber neigt man nicht, sobald Distanz gegeben ist, dazu, die Hauptfigur vorzuführen?

Dieser Gefahr waren wir uns bewusst. Von Anfang an haben wir gesagt: Wir wollen den Protagonisten auf keinen Fall denunzieren. Man kann nicht anderthalb Stunden jemandem zugucken, den man schrecklich findet.

Wie lernten Sie Herrn Wichmann kennen?

Ich bin zum Pressechef der Brandenburger CDU gegangen, einem sehr netten, aufgeschlossenen Mann. In Brandenburg kämpfen fast alle CDU-Kandidaten auf verlorenem Posten. Ich glaube, es wurde noch nie ein Wahlkreis von der CDU gewonnen. Ich dachte mir: Dass die Figur so viel tut, obwohl sie weiß, es wird nichts, das könnte Sympathien wecken. Es gibt der Sache einen gewissen traurig-bitteren Unterton.

Den Charme von Don Quichotte?

Genau. Der Sonnenschirm, das sind die Windmühlenflügel. Der Pressesprecher sagte sofort: „Ich würde euch den Henryk Wichmann empfehlen, der ist in der Uckermark, wo Markus Meckel [der SPD-Kandidat] superdominant ist.“ Wichmann würde es nicht schaffen, das war klar, aber er war sehr aktiv. Dadurch, dass er massiv auf die Leute losgeht, war er genau die Figur, die ich gesucht habe: Jemand, der uns und die Kamera an die Hand nimmt. Als Erzählmodell war es interessant, weil der Protagonist ununterbrochen politische Situationen herstellt. Er ist ein Katalysator, durch ihn erfährt man etwas über die Region und das politische Gefühl der Leute.

Was manchmal befremdet, etwa wenn Ressentiments und Sozialneid sehr schnell zutage treten. Wichmann geht in solchen Situationen mit den Leuten mit, schließlich will er deren Stimmen. War ihm bewusst, dass das die Betrachter des Films gegen ihn einnehmen könnte?

Das weiß ich nicht. Er hat uns ja den Ton weitgehend selber geliefert, mit einem Ansteckmikrofon, darüber haben wir auch die Passanten gekriegt. Wir haben meistens aus einer Distanz von zwei bis zehn Metern gedreht. Ich habe ihm gesagt: „Pass auf, sobald wir dich verkabeln, bist du auf Sendung. Wenn du nicht willst, dass wir drehen, kannst du jederzeit abbrechen.“ Er hat uns als freundschaftliche Begleiter empfunden, und das waren wir von unserem Anspruch her auch. Trotzdem gab es Momente, wo wir Distanz hatten, etwa bei dem Populismus. Ob er das so wahrnimmt? Ich glaube, das hängt stark von seinen eigenen politischen Überzeugungen ab.

Sehr weit reichte die Szene im Altersheim. Plötzlich ging es nicht mehr um den jungen Kandidaten, sondern um Sterblichkeit und Hilflosigkeit. Henryk Wichmann findet keinen Weg, mit den Alten zu kommunizieren.

Das ist aber auch ganz schwer. Für mich war das Ausmaß der Einsamkeit erschreckend. Dass diese Menschen nicht mehr gefragt werden. Ich glaube, auch Henryk konnte sich dem nicht entziehen. Normalerweise hat er für alle Situationen ein Wort parat. Aber hier wusste er manchmal nicht mehr weiter. Man kann dann eigentlich nur noch Floskeln von sich geben: „Was gab es denn heute zum Mittagessen?“ Bei mir hat das vieles losgetreten: Wie gehen wir mit den Alten um? Die Gesellschaft produziert ein so hohes Tempo, dass man bestimmte menschliche Verpflichtungen nicht mehr wahrnehmen kann. Für viele Berufstätige ist es nicht möglich, sich um die Eltern zu sorgen. Ich merke es ja an mir selbst: Wie selten kann ich meine Freunde treffen? Wie sehr zwingt mich der Beruf in eine Mühle?

Waren Sie überrascht von der Tragweite dessen, was in dem Heim stattfand? Oder hatten Sie es geahnt?

Wir haben es während des Drehens gemerkt. Es begann ja ganz alert. Doch dann fingen die alten Leute an, ihre Geschichten zu erzählen. Sie redeten mit Henryk Wichmann nicht über dessen Politik, sondern konfrontierten ihn mit ihren Problemen. Dadurch entstanden Momente von Wortlosigkeit. Uns allen hat es beim Drehen den Hals zugeschnürt. Man spürt, wenn etwas Besonders passiert, und entsprechend verhält man sich mit der Kamera, man zieht sich zurück, will nicht zu sehr stören. Aber nachdem wir die Szene abgedreht hatten, wusste ich: Das wird ein starker Augenblick im Film.

Ein glücklicher Augenblick für den Filmemacher?

Ja. Denn man bekommt etwasvon den Menschen. Es geht ein Horizont auf, man muss ihn nur wahrnehmen, statt daran vorbeizufilmen. Hätten wir in den Pausen ausgeschaltet, wäre es ganz uninteressant geworden. Oft haben wir scheinbar neben den Ereignissen gedreht, die Momente, in denen es zäh wird. Etwa wenn Henryk Wichmann am Schirm stand und nur der Wind wehte, der frische.

Heute, 17 Uhr, morgen 20 Uhr, übermorgen 14.30 Uhr, CineStar 7. 15. Februar, 14.30 Uhr International