Dogma, Salz und Dialektik

Der aussichtslose Kampf der Küchenkader mit der Tradition: Das Forum zeigt den Film „Aji“ des chinesischen Regisseurs Li Ying, in dem sich ein altes Ehepaar erfolgreich den Ideen der modernen Kochkunst widersetzt

Noch schwingen sie den Wok, die beiden Alten, noch wird gezaubert, wenn auch Arme und Beine zunehmend den Dienst verweigern. Was auf den Tisch kommt, sind die Wunderwerke aus der Provinz Shandong, im Mündungsgebiet des Gelben Flusses, wo mit der chinesischen Kultur auch die chinesische Küche geboren wurde.

Das Ehepaar Sato, von dem Li Yings Dokumentarfilm „Aji“ erzählt, lebt in Tokio und betreibt ein kleines, aber feines Spezialitätenrestaurant. Herr Sato ist in Tokio geboren, während seine Frau Hatsue, ein Kind Yinans in Shandong, dort in ihrer Jugend die Weihen der Kochkunst empfing. Auch dort hält das Ehepaar jährliche Kochkurse ab. Hatsue trägt den Ehrentitel „Meisterin der Shandonger Küche“.

Li Yings Film entwickelt den Kampf zwischen Tradition und Moderne ausschließlich und streng im Medium des Kampfs zweier Linien in der Kochkunst. Soll sich Shandong neuen Einflüssen öffnen, soll es mit der Zeit gehen oder festhalten am Erprobten? Die Küchenfunktionäre im Shandonger „Oriental Gourmet College“, wo die künftigen Küchenkader gedrillt werden, sind klare Modernisten. Sie verschanzen sich hinter der Parteilinie „das Alte mit dem Neuen verbinden“, verweisen tückisch auf den veränderten Geschmacksmarkt, um verderbliche Ingredienzen wie Salz und – horribile dictu – Zucker in den Produktionsprozess einzuschmuggeln. Schließlich sei früher auf Zucker nur deshalb verzichtet worden, weil er einfach zu teuer war. Dem widerspricht Hatsue mit den Mitteln der Dialektik. Gerade der Mangel habe zur höchsten Verfeinerung geführt. Zucker sei nicht nur ungesund. Er schmecke vor und vernichtet die feinen Geschmacksabstufungen.

Hatsue kämpft auf verlorenem Posten, gibt aber nicht auf. Die 81-jährige will, an der Seite ihres widerstrebenden Ehemanns, bis zum letzten Atemzug in Yinan dafür kämpfen, dass Shandongs Küche nicht ihre Seele verliert. Die Sympathien des Publikums wie des Regisseurs sind klar auf Seiten der beiden unbeugsamen Alten. Li Yings Kamera klebt liebevoll an seinen beiden Protagonisten, inszeniert ein dichtes Küchen-Kammerspiel, in dem nichts zählt außer der Liebe der beiden zueinander und zu ihrem gemeinsamen Gott: der Shandonger Kochkunst. Nach über zwei kurzweiligen Stunden verlassen wir das Kino als dogmatische Verfechter der Tradition. CHRISTIAN SEMLER

Heute, 16.30 Uhr, CineStar 8