Er wollte Balletttänzer werden

Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Herr Saddam Hussein

Wird Saddam Hussein endlich abtreten oder gedenkt er, bis ans Ende seiner Tage zu leben?

Er ist „der unbesiegbare Anker der arabischen Welt, der mit tausend Händen den Erdkreis zum Gehorsam zwingt“, und „der leuchtende Krummsäbel der Hoffnung, der allen Irakern voranreitet“. Er ist „der wieder geborene Nebukadnezar, der nachts heller als die Sonne strahlt“, und „der Vater aller Mütter“. Sein Lieblingsfilm ist „Terminator 3 – Gottes großer Bruder räumt auf“. Seine Vorbilder sind Hitler, Stalin, Honecker. Oppositionelle betrachtet er als Nahrung, doch wer ihn ehrt, wird gekleidet und gespeist und bekommt sogar seinen Abfall vergoldet. Allerdings nur seinen: den Saddam Husseins.

Wer ist dieser Mann, der der einzig verbliebenen Weltmacht George W. Bush die nackte Stirn bietet? Ist er eine Pestbeule am Aussatz der Menschheit oder bloß ein einsamer, unverstandener Eigenbrötler und Unglücksrabe, gegen den sich alles verschworen hat? „Der Tag naht, an dem wir Mister Hussein mit Holzwolle ausstopfen und im Empfangssalon des Weißen Hauses ausstellen werden“, tönt Mister Bush, und „Iraks Sonnenschein, dessen Weisheit tiefer ist als der tiefste Brunnen im Ozean“, erwidert schlagfertig: „Ach was!“ Noch bewerfen sich die beiden Intimfeinde mit Worten, doch von Tag zu Tag wedeln die USA drohender mit den Daumenschrauben des Krieges. Vergeblich reicht der „Kalif der Gerechtigkeit, dessen Odem so süß ist wie der Tee im Beduinenzelt“, seinem Gegenspieler die Friedenstaube. Doch George W. Bush weiß, dass Saddam die ganze Welt vernichten will und dies – das haben ihm jedenfalls seine Berater gesagt – auch die USA zerstören würde.

Woher dieser kranke Wahn eines irren, durchgedrehten und übergeschnappten Präsidenten, der seit Jahrzehnten auf Lebenszeit amtiert und sich verherrlichen lässt als „der neue Saladin, der den amerikanischen Teufeln die Nasen abbeißen wird“? Warum gebärdet er, dessen „Saddam“ bekanntlich „der Unkaputtbare“ bedeutet, sich wie ein Bundeskanzler des Irak, der mit allen Mitteln an der Macht bleiben will?

Wie immer liegen die Wurzeln eines Lebens im Kaffeesatz der Kindheit. Am 28. April 1937 in al-Kaffja bei Tikrit nördlich von Bagdad zur ärmsten aller möglichen Welten gekommen, muss Saddam vom ersten Hahnenschrei seines Daseins an auf dem bloßen Erdboden schlafen, deckt sich im Winter mit Kuhfladen zu. Einmal in der Woche darf er sich mit Ziegenharn waschen, weil die Familie sich kein Wasser leisten kann. Manchmal gibt es Lehm zu essen, aber nur an hohen Feiertagen.

Eigentlich ist Klein Saddam eine zarte Seele. Er möchte Balletttänzer werden, träumt von einer Medaille in der rhythmischen Sportgymnastik, häkelt und stickt. Doch sein Stiefvater nötigt ihn, mit Skorpionen zu spielen, prügelt ihn mit Schlangen, bis Saddam hart wie Backstein wird. Mit acht hat er seinen weichen, flaumigen Kinderpelz verloren. Als eines Morgens sein Lieblingsschaf verendet ist, sagt er den ganzen Tag keinen Mucks. Doch am nächsten Tag steinigt er in kalter Wut alle Lämmer, ohne eine Träne zu verziehen – er ist erwachsen geworden.

Der banale Rest dieses Lebens ist bekannt. In Bagdad erschießt Saddam mit neunzehn bei einem Straßenraub seinen Komplizen, der nicht mit ihm teilen will, sondern eine Hälfte für sich reklamiert. 1959 beteiligt er sich an einem Attentat auf General Qassim und wird am Herzen verwundet, d. h. an der Seite, also weiter unten, am Bein; ein Kamerad popelt ihm die Kugel aus der kleinen Zehe. 1968 sprengt Saddam sich an die Macht und vertilgt seit 1979 als „glorreicher Führer der irakischen Volksmassen, vor dem die Naturgesetze den Nacken in den Sand beugen“, alle Feinde des Irak im Irak.

Jeder, der die Biografie dieses Lebens studiert, kennt Saddams Gesetz, wonach Härte für Stärke sorgt, Macht für Treue bürgt und der Kampf zum Krieg um die Palme der Herrschaft die Blätter der Geschichte sichert. Wer aber ohne Not zurückweicht, wird von der Nachwelt gegrillt. Wenn also heute alle auf dem weltweiten Globus sich und vielleicht auch andere fragen: Wird Saddam Hussein endlich abtreten oder gedenkt er, bis ans Ende seiner Tage zu leben? So kann die Antwort nur lauten: Ja.

Bzw. nein. Denn so gewaltig „der unbezwingbare Fels, unter dessen Fußtritt sich Raum und Zeit krümmen“, verkündet: „Die Amerikaner sind es nicht wert, die Scheiße von meinem Angesicht zu lecken!“ – so sicher ist andererseits sein Gespür, dass in der bitteren Realität allein die Wirklichkeit zählt.

Der „Hammurabi von heute, der seine Feinde zwingt, ihr Ausgespienes wieder zu essen“, kann auch anders als sein Klischee; sogar barmherzig sein. So ließ er am 28. März 2002 zur Feier seines 65. Geburtstags 65 politische Gefangene unter die Guillotine schnallen – und verlas jedem von ihnen im letzten Augenblick feierlich die Begnadigung. Dann sauste das Fallbeil herunter.

Und vielleicht hat Saddam auch mit George W. Bush im letzten Moment ein Einsehen.

PETER KÖHLER