stefan kuzmany über Alltag
: Komm, Bruder, dann mal ran an die Roboter!

Wie der Krieg immer näher kam und schließlich überhaupt nicht mehr aufzuhalten war, beim besten Willen nicht

Es war mal wieder Zeit für einen ordentlichen Krieg. Mein Bruder war in letzter Zeit ziemlich frech geworden. Zu frech, für meinen Geschmack.

Anfang der Neunzigerjahre hatten wir gerne und oft Krieg gegeneinander geführt. 1991, da hatte keiner eine Freundin, aber dafür hatten alle einen „Amiga“ – einen schicken Computer, der einiges mehr konnte als der gute alte C64, aber natürlich viel weniger als die heutigen Modelle. Man konnte damit wunderbare Grafiken erstellen, Rechenaufgaben lösen und Musik machen. Wir spielten Krieg.

Es gab da ein Spiel, das wir besonders schätzten: Die beiden Spieler hatten jeweils eine Armee von Robotern unter ihrem Kommando. Es war ein fairer Krieg unter Brüdern. Irgendwie sympathisch: Wenn man schon Krieg führte, dann mussten dabei ja keine Menschen dran glauben, Roboter taten es doch auch.

Jetzt, zwölf Jahre später, war es wieder so weit: Wir wollten Krieg führen. Mittlerweile ist die Computertechnik so weit vorangeschritten, dass es Programme gibt, die es einem erlauben, die eigene digitale Nostalgie voll auszuleben. Es gibt ein Programm, das den modernsten Computer glauben macht, er sei ein lahmer C64, und es gibt auch eines, das den „Amiga“ simuliert. Im Internet sind ganz einfach und kostenlos all die Spiele und Programme für diese Rechner aufzutreiben, die damals so teuer waren. Man muss sich nur mit einer Datenbank verbinden, die sich auf die digitale Nostalgie spezialisiert hat, und flugs ist das gesuchte Programm auf dem Rechner und alles wie früher.

Leider konnten sich weder mein Bruder noch ich an den Namen unseres Kriegsspiels erinnern. Robot Games? CyberCommand? RoboBattle? Keine Ahnung. Wir surften stundenlang im Netz. Frequentierten Diskussionsforen von ebenfalls in den Neunzigern hängen gebliebenen Spielverrückten. Das Ergebnis: nichts. Niemand erinnerte sich.

Ich hatte mich schon fast damit abgefunden, dass es nicht mehr würde möglich sein, meinen Bruder auf gewohnte Art und Weise in seine Schranken zu verweisen. Da stolperte ich in einer Datenbank über eine uralte Rezension: „Robot General“ hieß das Spiel. Das war es, endlich. Leider fehlte das Programm selbst, erhalten war nur seine Beschreibung. Immerhin, der Name des Programmierers stand da: Bernd Mertung.

„Was meinst du, Bruder, soll ich dem nicht mal schreiben? Vielleicht gibt er es uns.“

„Klar“, schrieb mein Bruder zurück. Also suchte ich Bernd Mertung im Netz und fand heraus, dass er inzwischen Doktor der Physik ist und für die Universität Bielefeld arbeitet.

„Sehr geehrter Herr Doktor Mertung“, schrieb ich. „Verzeihen Sie bitte die Störung, doch Sie sind meine letzte Hoffnung bezüglich einer nun schon recht lange anhaltenden Suche: Sind Sie der Bernd Mertung, der das Spiel „Robot General“ geschrieben hat? Wenn ja: Wissen Sie zufällig, wo ich das Spiel noch finden könnte? Vielen Dank.“

Vielleicht würde er ja zurückschreiben, im Laufe der Woche, dachte ich. Vielleicht. Fünf Minuten später hatte ich die Antwort. „Tja, Stefan, da scheinst du wohl den Autor festgenagelt zu haben. Freut mich ja irgendwie, das nach einer so langen Zeit noch jemand über diese Software nachdenkt … Also dann mal ran an die Roboter!“ Angehängt an seine Mail: das ersehnte Programm. Ich war begeistert.

Mein Bruder schrieb: „Toll. Du solltest dich vielleicht erkenntlich zeigen.“ Er hatte Recht. Ich schrieb an meinen neuen Freund: „Lieber Bernd! Besten Dank. Solltest du mal eine Übernachtungsmöglichkeit in Berlin brauchen – melde dich einfach.“

Am Abend probierte ich „Robot General“ aus. Es war nicht, was wir gesucht hatten. Es war kompliziert. Es machte keinerlei Spaß. Es war schlecht. „Tja, Pech gehabt“, schrieb mein Bruder.

Am nächsten Tag hatte ich außerhalb zu tun. Am Tag darauf hatte ich bereits drei neue Mails von meinem neuen Freund Bernd auf dem Rechner. „Wie war es denn? Hat es so viel Spaß gemacht wie früher?“, schrieb er. „Haaaallloooo!?!“, schrieb er. „Ich komme nächste Woche nach Berlin, dann können wir ja mal die ganze Nacht durchzocken“, schrieb er. Oh Gott.

Ich rief meinen Bruder an.

„Hallo.“

„Hallo.“

„Geht’s gut?“

„Ja.“

„Ja.“

„Ja.“

„Ja.“

„Ja?“

„Ja.“

„Hast du was zum Schreiben?“

„Ja.“

„Dann notiere: Robot.“

„Robot.“

„General.“

„General.“

„Kommt.“

„Kommt.“

„Nach Berlin.“

„Nach Berlin. Oh Gott.“

„Oh Gott.“

In Bielefeld packte ein Doktor der Physik die Koffer, um meinen Computer zu inspizieren. Der Krieg war nicht mehr abzuwenden.

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