Spiegelbilder der Epochen

Von der Pose zur Parodie: Elisabeth Bronfen und Barbara Strautmann haben das Phänomen der Diva analysiert. Ihr kommentierter Bildband zeichnet eine „Geschichte der Bewunderung“ nach

von AYGÜL CIZMENOGLU

Die Haare schimmern in Goldtönen, die großen braunen Augen schauen tiefsinnig an einem vorbei. Schmachtend öffnen sich die wohlgeschwungenen Lippen. Es ist Elvis Presley, der auf dem Titel des Buches zu sehen ist.

Glaubt man Elisabeth Bronfen und Barbara Strautmann, dann ist er eine Diva. Die Züricher Literaturwissenschaftlerinnen haben die Biografien von zwölf Berühmtheiten, präzise Bildbeschreibungen und langatmige Filmanalysen zu einer „Geschichte der Bewunderung“ zusammengestrickt. Großformatig wie ein Bildband ist „Diva“ eigentlich ein kulturwissenschaftliches Lesebuch mit vielen kleinen Schwarzweißfotografien.

Mit dem Phänomen Diva hat sich Bronfen freilich nicht zum ersten Mal beschäftigt. Und so klingt es nicht neu, wenn sie die Anfänge des Divenkults im 19. Jahrhundert ortet, wo eine immer bedeutungsloser werdende Monarchie von diesen schillernden Figuren als neue Projektionsfläche abgelöst wurde. Dabei waren Diven stets eine „Verschränkung von Erlösungs- und Identifikationsfigur“: Einerseits standen sie über uns, waren schöner, erfolgreicher und klüger als wir. Andererseits mussten sie uns ähnlich sein, damit wir uns mit ihnen identifizieren konnten. So umgaben sie sich mit einer mystischen Aura und ließen sich etwa wie Sarah Bernhardt mit exotischen Tieren fotografieren, bezeugten gleichzeitig aber ihre Normalität, indem sie in Homestorys ihre Aschenputtelgeschichte erzählten.

Diese Widersprüchlichkeit wird auch in dem Medium deutlich, dessen Erfindung eine Ikonografie der Diva überhaupt möglich machte. Erst durch die Fotografie wurde der mediale Nährboden für ihre Inszenierung gelegt. So wie die Diva unecht und real zugleich ist, so suggeriert die Fotografie einen authentischen Wirklichkeitsbezug, um diesen gleichzeitig mit einer künstlichen Aura zu umhüllen. Meist ist es eine Pose, die man mit der jeweiligen Person assoziiert: eine in Weiß gehüllte Marilyn, deren Kleid von unten hoch geweht wird, oder Rita Hayworth als Gilda, wie sie ihre langen, schwarzen Handschuhe abschält. Sie alle sind erstarrt zu einem Image, aus dem, wie Roland Barthes bemerkt, die Vergänglichkeit getilgt ist. Die Tatsache, dass sich die Physis dieser Fixierung entzieht, altert und verfällt, wurde vielen Diven zum Verhängnis. Unfähig, ihr Spiegelbild zu akzeptieren, zogen sie sich zurück. Der Tod schien der einzige Weg zu sein, den inszenierten Kunstkörper in seiner Erstarrung festzuhalten und laut Walter Benjamin „ein zweites Leben als materialisiertes Sinnbild“ zu ermöglichen. Eva Perons einbalsamierte Leiche wurde monatelang zur Pilgerstätte. Sie hatte sich bereits zu Lebzeiten als „Maria der Armen“ feiern lassen. Mit Diamanten geschmückt redete sie von Schmerzen, die sie für andere auf sich nehme, und koppelte ihren Starkörper mit den Eigenschaften eines christlichen Märtyrers. Genau wegen dieser religiösen Verklärung und dem notwendigen Tod bezeichnen die Autorinnen die Diva als „Unfall im Zeichensystem des Starkults“. Doch dieser Unfall müsste genauer definiert werden, um einen fundamentalen Unterschied zwischen Diva und Star behaupten zu können. Wäre die „Madonna der Monegassen“, Grace Kelly, nicht auch als Diva anzuerkennen? Und hätten Tod und die religiöse Anbetung nicht selbst aus einem Guerillero wie Che Guevara eine Diva gemacht?

In der postmodernen Zerlegung des Starkörpers schließlich rückt die Verwischung von Geschlechtergrenzen als Insignum des beschriebenen Phänomens immer mehr in den Vordergrund. Die Gratwanderung zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit, wie sie Elvis mit seinen Hüftschwüngen angedeutet hatte, wurde von Andy Warhol perfektioniert. Nicht nur, dass er durch seine blonde Perücke und das Make-up eindeutige Geschlechtszuschreibungen verwischte – er parodierte gleichzeitig das „Produkt“ Diva. Er imitierte ihre Posen und entlarvte durch seine seriellen Porträts, etwa von Marilyn Monroe, ihre fetischisierte Schönheit als Zeichen einer Massenkultur. Diese „Entzauberung der celebrity culture“ erreichte durch Madonna einen Höhepunkt. Mal die Haarlocke von Elvis zitierend, mal im Dietrich-Kostüm, bedient sie sich am Bildrepertoire der Diven und demontierte diese zugleich. Ihre gesteigerte Form der Maskerade entlarvt sie als das, was sie immer waren: Inszenierung von Erotik und ihren kulturellen Codes.

Elisabeth Bronfen/Barbara Straumann: „Diva“. Schirmer/Mosel Verlag, München 2002, 224 Seiten, 49,80 €