Einsame Patrioten singen Protestsongs

An fast hundert New Yorker Bühnen hat das Netzwerk „Theatre Against War“ den 2. März zum „Action Day“ erklärt

Ende Oktober 2002 saßen fünf befreundete Schauspieler und Dramatiker zusammen in einem New Yorker Appartment und schimpften auf George W. Bush. Das war nichts Ungewöhnliches. „Wir waren alle total aufgebracht über seine desaströse Außenpolitik. Und ehrlich gesagt kannten wir niemanden in der ganzen Theaterszene, der es nicht war. Als uns das bewusst wurde“, erinnert Sally Eberhardt die Essenz jenes Abends, „dachten wir: warum nicht diese Energien kanalisieren?“ So hatte das Netzwerk Thaw (Theaters Against War) seinen ersten Knoten.

Am ersten offiziellen Thaw-Treffen im Dezember im Performing Center P.S. 122 nahmen etwa 150 Personen teil. Beim zweiten Treffen im Januar in einem Theater auf der 42nd Street waren es über 200. Mittlerweile sind, neben einzelnen Sympathisanten, hundert New Yorker Theater und Theatergruppen Thaw-assoziiert. Was sie teilen, ist ein politischer Wille und eine Website. Unter www.thawaction.org sind nicht nur alle beteiligten Gruppen und aktuelle „Pro Peace Performance Events“ aufgelistet, sondern es wird auch praktische Hilfe geleistet: Antikriegsflyer zum Einlegen in die Programmhefte kann man ebenso herunterladen wie verschiedene aktuell verfasste „Curtain Speeches“ – politische Monologe, die vor oder nach der Aufführung gehalten werden können. Die Village-Voice-Journalistin Alisa Solomon hat eine Liste mit Antikriegsdramen von Aristophanes bis Sarah Kane zusammengestellt; Theater, die die räumlichen Möglichkeit haben, bieten freien Gruppen eine Bühne. Bei alldem betont die Website, dass es um keine anderen politischen Ziele als das Verhindern des Irakkriegs und der Beschneidung der amerikanischen Bürgerrechte geht und dass damit keinerlei ästhetische Implikationen einhergehen.

Momentan sind die Energien auf den „Thaw Action Day“ am 2. März gerichtet, an dem möglichst alle assoziierten Theater spezielle Programme zum Thema zeigen sollen. Von „Mutter Courage“ über Videodokumentationen des Afghanistankrieges, Puppentheater nach Italo Calvino und einer szenischen Lesung von Rich Orloffs „Vietnam 101“ bis zur Aufführung neuer amerikanischer Einakter fehlt nichts.

Das Living Theater (lebt noch!) zeigt erste Ausschnitte einer Arbeit im Appartment der Regisseurin, am Time Square gibt es ein Musikprogramm „Lonely Patriotic People Sing Songs of Protest“.

Im Culture Center werden den ganzen Tag Videos und Fotos der großen Friedensdemonstration gezeigt. Das ist nicht spektakulär, aber, wie man in New York seit dem 15. Februar weiß: Auf die Präsenz kommt es an.

New York ist die Stadt des Theaters. Was immer dort an Bewegungen aufkommt, wird hier zuerst sichtbar. Dennoch sind im normalen Spielbetrieb Stücke zum Thema Krieg und Frieden kaum zu finden. Von 105 Theaterproduktionen, die im aktuellen Time Out Magazine angekündigt werden, haftet neben „Medea“ und „Julius Cäsar“ nur dem Zwei-Personen-Stück „Warriors“ etwas Schlachtfeldgeruch an. Wobei es sich bei diesen Warriors um Vertreter der Werbebranche handelt, die einen neuen Slogan für die Armee erfinden sollen. „An Army of One“ heißt übrigens der wirkliche – was viele Menschen hier mittlerweile weniger als Motto von Einheit lesen denn als Ausdruck dafür, dass Bush mit seiner Kriegslust verdammt allein dasteht.

Weshalb es in Amerika so wenig politisches Theater gibt? Gute Frage, sagt Sally Eberhardt, aber eine Antwort habe sie darauf nicht. Nur die Hoffnung, dass Thaw durch die Diskussion vielleicht gerade eine neue Generation politischer Stückeschreiber heranwachsen lasse. Ein wenig neidisch blickt man auf die Dichter, die sich seit der Laura-Bush-Ausladung aus dem Weißen Haus ja durchaus vermehrt kritisch äußern.

Für dramatischen Aktivismus nach dem Thaw Action Day hat man in New York jedoch schon gesorgt: Auf Initiative von zwei Schauspielerinnen aus Manhattan wurde Anfang Januar das Lysistrata Project gestartet. Ihre Website www.lysistrataproject.com wurde bereits mehr als 62.600-mal angeklickt. Mit dem Ergebnis, dass am 3. März in allen 50 Staaten der USA und 40 Ländern weltweit von Argentinien bis zur Schweiz insgesamt 679 Lesungen von Aristophanes’ Antikriegsstück aus dem Jahre 411 v. Chr. stattfinden werden.

Es sei dahingestellt, ob diese Erfolgsgeschichten einem den Glauben an das Theater oder das Internet stärken – etwas ist auf den Bühnen in Bewegung geraten. CHRISTIANE KÜHL