vorlauf
: Kriegstagebuch

„Kolumbianischer Frieden“, (0.05 Uhr, ZDF)

Ein Thema für die Schlagzeilen ist Kolumbien schon lange nicht mehr, obwohl weiterhin die nackte Gewalt herrscht. Über drei Millionen Menschen wurden im unerklärten Bürgerkrieg vertrieben, mit 3.000 Entführungen pro Jahr ist das Land weltweit Spitzenreiter. Daran haben die Absichtserklärungen von Expräsident Pastrana, einen Waffenstillstand mit der Guerilla erreichen zu wollen, so wenig geändert wie die großzügige Militärhilfe aus Washington im Zuge des „Plan Colombia“ gegen den Drogenhandel: Sprühaktionen aus der Luft gegen den Coca-Anbau zerstörten auch Nutzpflanzen und nahmen den Bauern die Existenzgrundlage. Dass wiederum dem Einfluss von Guerilla und Paramilitärs allein mit „Law und Order“-Parolen und höheren Wehretats nicht beizukommen ist, hat auch Àlvaro Uribe erfahren, der das Land seit 2002 regiert.

Wie sich die Lebensbedingungen der Menschen unterhalb der politisch-militärischen Auseinandersetzungen verändern, zeigen nun Adelaida Trujillo und Patricia Castaña. In den vergangenen vier Jahren beobachteten und befragten die Filmemacherinnen Menschen in Cali, Bauern im Macarena-Tal und Bewohner von Friedensdörfern – aber auch sich selbst und ihre eigenen Familien. Radikal verzichteten sie auf die sichere Distanz der Langzeitdokumentation und berichten von Hoffnungen und Ängsten, die ihren privaten und beruflichen Alltag bestimmen.

Ausgehend von der Silvesternacht 2002 blicken sie zurück auf die großen Erwartungen, die sich mit den Friedensgesprächen seit 1998 verbanden. Und sie erzählen von den Enttäuschungen, die diesen Prozess begleiteten und am Ende zum Wahlsieg des Hardliners Uribe führten. Adelaida Trujillos und Patricia Castañas filmisches Tagebuch kann sich mehr als sehen lassen, weil sich die beiden jenseits der Chronologie der Ereignisse den Blick für die landschaftliche Schönheit, aber auch die gesellschaftliche Zerissenheit des geschundenen Landes bewahrt haben. Entstanden ist ein bewegender, subjektiver Film über das Innenleben und den Seelenzustand einer Nation, für deren Leiden und Probleme sich international kaum jemand zu interessieren scheint.

RAINER BRAUN