Was Bush gewinnt, wenn er auf einen schnellen Krieg verzichtet

Der US-Präsident könnte das Eingehen auf einen Kompromiss in der Irakfrage auch als Sieg seiner Politik verkaufen. Ein „Gesichtsverlust“ wäre nicht zwangsläufig

GENF taz ■ Ein Abrücken der USA von den Plänen für einen Krieg gegen Irak ab Mitte März und mit dem ausdrücklichen Ziel des Regimesturzes in Bagdad gilt nach den öffentlichen Festlegungen von Präsident George W. Bush und Mitgliedern seiner Administration fast überall als ausgeschlossen. Der „Gesichtsverlust“ für George Bush wäre zu groß, heißt es. Dabei sprechen immer mehr objektive Umstände für eine Kurskorrektur.

Die Annahme des von den USA und anderen vorgelegten Entwurfs für eine Kriegsresolution durch den UNO-Sicherheitsrat gilt inzwischen als nahezu ausgeschlossen, trotz des massiven Drucks, den die Bush-Administration auf andere Ratsmitglieder ausübt – oder auch gerade deswegen. So haben die am Sonntag bekannt gewordenen Abhörmaßnahmen amerikanischer Geheimdienste gegen die Diplomaten und Regierungen anderer Ratsstaaten die Entschlossenheit, dem Druck aus Washington zu widerstehen, eher gestärkt als geschwächt. Ohne eine zweite Resolution muss Bush damit rechnen, das Großbritannien abspringt – und in der Folge dann auch Australien und andere Staaten, die bisher ihre Beteiligung oder Unterstützung für einen Krieg zugesagt haben. Doch selbst wenn Tony Blair das hohe innenpolitische Risiko eines Krieges ohne neue UNO-Resolution eingehen sollte: Für den Wiederaufbau Iraks wären die USA wieder auf die Unterstützung durch die zuvor mit einem unilateralen Krieg brüskierten anderen UNO-Staaten angewiesen.

Die operativen Pläne für einen Krieg wurden durch das Votum des türkischen Parlaments gegen eine Stationierung von US-Truppen erheblich erschwert. Selbst wenn das Parlament diese Entscheidung noch korrigieren sollte: Wegen der Ankara von Washington konzidierten Invasion von 60.000 türkischen Soldaten in Nordirak drohen dort bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Kurden. Administrationsintern werden die Kosten selbst für den günstigsten Fall eines kurzen, siegreichen Blitzkriegs inzwischen deutlich höher kalkuliert als die bislang öffentlich gehandelten 60 Milliarden US-Dollar. Damit erhöht sich das Risiko für die US-Wirtschaft und für Bushs Chancen der Wiederwahl im November 2.004.

Sollte sich Bush auf den inzwischen hinter den Kulissen diskutierten Kompromiss einlassen, könnte er für sich reklamieren, die UNO durch den Aufbau einer militärischen Drohkulisse zum entschlossenen Vorgehen gegen Bagdad bewegt zu haben. Die zahlreichen politischen und militärischen Risiken, die für die USA mit einem Krieg im Alleingang verbunden wären, könnte der Präsident vermeiden. Der Kollaps des Regimes in Bagdad wäre nach einer Entwaffnung Iraks und der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen nur noch die Frage einer relativ kurzen Zeitspanne. Es gibt in Washington eine wachsende Zahl von Stimmen – innerhalb wie außerhalb der Administration –, die Bush aus den genannten sowie weiteren Gründen zu einer Kurskorrektur raten, um die USA aus ihrer „größten globalen Isolation seit 1945“ (so Präsident Jimmy Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski) herauzubringen. ANDREAS ZUMACH