Die Brücke für Bush

Hinter den Kulissen verhandeln die Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats um einen Kompromiss in der Irak-Debatte

aus Genf ANDREAS ZUMACH

Noch wird zwischen den Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats hoch gepokert. Die USA, Großbritannien und Spanien verlangen weiterhin eine Abstimmung über ihren (unveränderten) Entwurf einer Kriegsresolution spätestens am 13. März. Das gäbe ihnen freie Hand für einen Kriegsbeginn – mit oder ohne UNO-Resolution – ab 14. März. Frankreich, Russland und Deutschland hingegen halten eine 2. Resolution weiterhin „nicht für erforderlich“ und beharren auf der in ihrem Memorandum vorgeschlagenen „friedlichen Entwaffnung“ Iraks durch ein deutlich verstärktes UNO-Inspektionsregime nebst einem detallierten Abrüstungsfahrplan bis mindestens 1. Juli. Zumindest für die Öffentlichkeit lässt keine Seite Kompromissbereitschaft erkennen. Zum Teil scheinen sich die Positionen in den letzten Tagen sogar noch verhärtet zu haben. Russlands Außenminister Igor S. Iwanow drohte bei einem Besuch in Peking am letzten Freitag öffentlich mit einem Veto gegen den US-amerikanisch-britisch-spanischen Entwurf einer Kriegsresolution. Am gleichen Tag erklärte in Washington Präsidentensprecher Ari Fleischer, Ziel der Bush-Administration sei die Entwaffnung Iraks und ein Regimewechsel in Bagdad. Tags zuvor hatte das Weiße Haus einen Vorschlag des kanadischen Premierministers Jean Chretien zur Verlängerung der Inspektionen bis zum 28. März schroff als „völlig unakzeptabel“ verworfen. Ähnlich entschieden wurde Chretiens Vorstoß auch im Berliner Kanzleramt abgelehnt.

Hinter den Kulissen jedoch werden zwischen den Kontrahenten Signale ausgetauscht, die Flexibilität erkennen lassen. Intensiv werden die Erfordernisse für einen Kompromiss sondiert, der ein geschlossenes Vorgehen des Sicherheitsrats ermöglichen könnte. Das bestätigen Diplomaten und Regierungsvertreter mehrerer Sicherheitsratsmitglieder und anderer an den Kompromissbemühungen beteiligter Staaten – darunter Kanada und einige arabische Länder. Die intensivsten Kontakte laufen bislang – auf verschiedenen Kanälen – zwischen Moskau und Washington. Am Tag vor der Vetodrohung Iwanows erklärte der Stabschef von Präsident Wladimir Putin, Aleksandr Woloschin, seinem Amtskollegen im Weißen Haus, Russland beabsichtige nicht, den Resolutionsentwurf per Veto zu Fall zu bringen. Eine Jastimme Moskaus hänge davon ab, inwieweit die Möglichkeiten zur „friedlichen Entwaffnung“ Iraks und damit zur Erfüllung aller Auflagen der Resolution 1441 vom November 2002 ausgeschöpft seien. Für diese Feststellung sei es nach Ansicht Moskaus aber noch zu früh und sie müsse letzten Endes durch die beiden Chefinspektoren Hans Blix und Mohammed al-Baradei getroffen werden, erklärte Woloschin. Die beiden Präsidenten Bush und Putin stimmten bei einem Telefonat am letzten Freitag darin überein, dass ein Kompromiss zwischen dem Resolutionsentwurf und dem Memorandum „durchaus vorstellbar“ sei. Auch Washingtons schroffe Reaktion auf den kanadischen Vorschlag war nach Angaben aus dem Weißen Haus „keine kategorische“ und „keine endgültige Ablehnung“. Der Vorschlag sei aber „zu früh“ gekommen und Chretien habe „den Fehler gemacht, ihn öffentlich zu unterbreiten“.

Noch ist das Kompromisspaket für ein geschlossenes Vorgehen des Sicherheitsrats nicht geschnürt. Doch seine wahrscheinlichen Bestandteile ergeben sich aus den bisherigen Sondierungen. Die beiden Kernelemente wären:

Die Verstärkung des Inspektionsregimes und die Vereinbarung eines detallierten Abrüstungsfahrplans entsprechend dem französisch-russisch-deutschem Memorandum sowie die Verlängerung der Inspektionen bis zu einem noch zu vereinbarenden Termin, an dem die beiden UNO-Chefinspektoren dann ihren letzten Bericht erstatten würden. Dieser Termin würde voraussichtlich deutlich vor dem 1. Juli, aber auch deutlich nach dem 28. März liegen. Wahrscheinlich ist ein Datum zwischen Ende April und Anfang Juni. Dieses Element wäre die „Konzession“ der USA, der sich Großbritannien und Spanien umstandslos anschließen würden.

Im Gegenzug müssten die drei Vetomächte Russland, Frankreich und China zusagen, dass – sollten die beiden Chefinspektoren in ihrem letzten Bericht nicht die Erfüllung aller Abrüstungsauflagen und damit der Resolution 1441 durch Bagdad zertifizieren – die Option für ein militärisches Vorgehen gegen Irak automatisch greift – also ohne weitere Beratungen des Sicherheitsrats. Es wird damit gerechnet, dass Deutschland und auch die anderen neun nichtständigen Ratsmitgleider sich dieser Haltung anschließen werden.

Diskutiert wird darüber, diese beiden Kernelemente eines Kompromisses durch ein ausdrückliches Ultimatum an Bagdad miteinander zu verbinden.

Ein drittes Element wäre die ausdrückliche Zusage zu einer Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Irak, sollten die beiden Chefinspektoren in ihrem letzten Bericht die vollständige Erfüllung aller Auflagen durch Bagdad feststellen. Für diese Zusage setzen sich vor allem Russland und Frankreich ein. Auch der kanadische Vorschlag enthält diese Forderung.

Eine vierter Bestandteil des Kompromisspakets könnte die Stationierung von UNO-Blauhelmtruppen im Irak sein, um die Inspektionen gegen etwaige Behinderungen (zu denen es bislang nicht gekommen ist) durchzusetzen. Der russische Unterhändler Jewgeni Primakow bemühte sich bei seinem Treffen mit Saddam Hussein am vorletzten Sonntag um Zustimmung dazu, erhielt aber noch keine abschließende Antwort.

Diese vier Elemente eines Kompromisspakets ließen sich entweder in eine neue Resolution des Sicherheitsrats fassen oder – um den bisherigen Gegnern einer zweiten Resolution die Zustimmung zu erleichtern – in eine Erklärung des Ratspräsidenten (derzeit ist das der Botschafter Guineas).

Am delikatesten, weil aus völkerrechtlichen Gründen schwerlich schwarz auf weiß zu vereinbaren, ist das fünfte Element, über das hinter den Kulissen diskutiert wird: die Ablösung Saddam Husseins von der Macht in Bagdad. In den Hauptstädten aller fünf ständigen Ratsmitglieder wird dies – in unterschiedlicher Intensität – für wünschenswert gehalten. Die Hoffnungen ruhen darauf, das Saddam den zunehmenden Appellen aus der arabischen Welt Folge leistet, mit einem rechtzeitigen Gang ins Exil den Frieden in der Region zu bewahren.