Finnland ist anders

Mit dem Typus deutscher Gesamtschulen hat der finnische Pisa-Erfolg nichts zu tun, sagt die Finnin Thelma von Freymann – in den Zwergschulen haben die Mädchen vom Lande die Punkte geholt

taz ■ „Bildung ist teuer“, erklärte die Erziehungswissenschaftlerin Thelma von Freymann am Montagabend im brechend vollen Veranstaltungssaal der Bremischen Bürgerschaft. Die CDU-Fraktion hatte die Erziehungswissenschaftlerin eingeladen, allerdings weniger, weil sie an der Uni Hildesheim gelehrt hat. Pisa sollte das Thema sein – und Thelma von Freymann ist Finnin. Seitdem in Deutschland das finnische Schulsystem als „Pisa-Sieger“ gefeiert wird, wird sie nicht müde, ihre Botschaft zu verbreiten: Finnland ist anders.

Das finnische Einheitsschulsystem ist „Gesamtschulen“ nach deutschem Verständnis nicht vergleichbar, sagt Freymann. Und „tatsächlich geben finnische Lehrkräfte weitgehend einen Frontalunterricht.“ Das finnische Abitur gilt derweil an den dortigen Universitäten so wenig, dass die sich lieber auf eine eigene Eingangsprüfung verlassen.

Getestet wurden bei Pisa aber nicht die Abitur-Leistungen, sondern die Bildungsvoraussetzungen der 15-Jährigen. „Bildung kostet Geld und wenn Sie es nicht ausgeben wollen, dann müssen Sie hinterher dafür bezahlen“, sagte Freymann den CDU-Politikern – für soziale Hilfe. Und auch Kriminalität sei „sehr teuer“. Finnland gibt vor allem im Primarbereich sehr viel Geld aus. Seit 1996 gibt es einen verpflichtenden Vorschulunterricht für alle sechsjährigen Kinder. Kostenlos. Die Erzieher/innen haben dieselbe akademische Ausbildung wie Grundschullehrer. 1998 hat Deutschland für einen Grundschüler 3.531 amerikanische Dollar im Jahr ausgegeben, Finnland hingegen 4.641 Dollar, Schweden sogar 5.579 Dollar. Und finnische Lehrer werden viel schlechter bezahlt – es gibt daher deutlich mehr Personal an den finnischen Schulen. Nicht unbedingt Lehrer. In Finnland sind wichtige Aufgaben des Jugendamtes in der Schule angesiedelt. Eine „Schulschwester“ kümmert sich um Kinder mit gesundheitlichen Problemen. Und wenn ein Schüler Lernprobleme hat und nicht mitkommt, wird sofort Einzelunterricht gegeben von einer dafür freigestellten Spezial-Lehrerin. Es gibt einen Sozialarbeiter („Kurator“) und Schulpsychologen.

Vor allem dieses ausgeprägte und teure System der Förderung sei es, was die vergleichsweise geringe Versagerquote erklären könne. Und noch etwas. „Die Spitzenleistungen bei Pisa haben die Mädchen vom Lande gebracht“, fasst Thelma von Freymann die Pisa-Analyse zusammen. Der südfinnische „Ballungsraum“, der auch nur auf eine Besiedlungsdichte vergleichbar dem Auricher Land kommt, habe wenig zum Pisa-Erfolg beigetragen. Nur drei Prozent der finnischen Schulen haben mehr als 500 Schüler.

Die Pisa-Statistik werde durch den dünn besiedelten Norden des Landes nach oben getrieben, „60 Prozent der finnischen Schulen haben nur bis zu sechs Lehrkräfte“, sagt Freymann. Da sei Schule „eine absolut persönliche Angelegenheit.“

Die Schlussfolgerung der Finnin, die ihre Aufsätze in Deutschland in der Zeitschrift „Der Sonderpädagoge“ veröffentlicht: „Wenn die Förderung stimmt, kommt der Rest von alleine.“ Eine Frage des Systems sei das nicht, davon ist sie überzeugt. Wer aus dem finnischen Pisa-Erfolg Argumente für die deutsche Gesamtschule ziehen wolle, dem empfehle sie den Besuch der finnischen Elite-Gymnasien. Eines sponsert die Eishockey-Zubehörindustrie (in Espoo). Für mathematisch-naturwissenschaftlich Begabte sponsert der Weltkonzern Nokia eine Schule an seinem Firmensitz in Salo. Wer nach der Schule eine lukrative Stelle bei Nokia haben will, tue gut daran, hier ein gutes Abitur zu machen. Und da die Schulen ihre Lehrer selbst aussuchten, könne man sich darauf verlassen.

Klaus Wolschner