„Frauen werfen Gegenstände“

Der Soziologe und Familienanwalt Jürgen Gemünden (42) über Frauen, die Gewalt ausüben, und Männer, die sich nicht wehren können

Interview HEIDE OESTREICH

taz: Immer wenn es um häusliche Gewalt gegen Frauen geht, fordern Männerrechtler, dass auch über schlagende Frauen gesprochen wird. Ist das tatsächlich ein Problem?

Jürgen Gemünden: Frauen wenden ähnlich viel Gewalt gegen Männer an wie umgekehrt. Es gibt international über hundert repräsentative Untersuchungen, die das zeigen: Wenn man nicht die Kriminalstatistik nimmt, sondern Paare direkt befragt, kommt man regelmäßig zu diesem Ergebnis.

Gilt das für alle Gewaltformen?

Es gibt Unterschiede. Die Frauen dominieren da, wo Gewaltmittel auf Distanz eingesetzt werden können, beim Werfen von Gegenständen, beim Waffengebrauch. Aber auch beim Prügeln unterscheiden sich die Zahlen von Frauen und Männern nicht wesentlich.

Warum sieht man von diesen Massen geprügelter Männer nichts?

Männer werden wahrscheinlich seltener schwer verletzt, als das bei Frauen der Fall ist. Eine amerikanische Untersuchung zeigte, dass 3 Prozent der geschlagenen Frauen einen Arzt aufsuchen, aber nur 0,6 Prozent der Männer. Aber 9,3 Prozent der Frauen und 5,8 Prozent der Männer blieben einen Tag von der Arbeit fern. Verletzungsfolgen von Gewalt sind aber immer noch zu wenig erforscht.

Gemeinhin kommt die Frau, die ihren Mann schlägt, nur als Witzfigur vor. Man geht davon aus, dass der Mann stärker ist. Er kann sich wehren, hat also keine Ohnmachtserfahrung. Ist es nicht logisch, dass die Gewalt der Schwächeren nicht so wichtig genommen wird?

Die körperlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen werden überschätzt. Es scheint aber so zu sein, dass Frauen erlittene Gewalt als schwerwiegender bewerten. als das Männer tun.

Wie viele misshandelte Männer gibt es in etwa?

Nach den mir vorliegenden Untersuchungen schätze ich, dass etwa auf drei misshandelte Frauen ein misshandelter Mann kommt.

Das ist schwer vorstellbar. Wie soll es zu der Situation kommen, dass eine schwächere Frau einen stärkeren Mann verprügelt?

Frauen sind nicht immer schwächer. Selbst wenn: Frauen beginnen die Gewalttätigkeit sogar etwas öfter als Männer, auch wenn sie den Kürzeren ziehen könnten. Eine andere Erklärung ist, dass viele der misshandelten Männer keine Gewalt gegenüber Frauen anwenden können. Es handelt sich schließlich nicht um einen Straßenräuber, sondern um den Intimpartner, den man liebt oder geliebt hat. Männer scheinen größere Hemmungen zu haben, Frauen zu schlagen, als umgekehrt.

Es muss aber viele Männer geben, für die das Tabu „Frauen schlägt man nicht“ nicht gilt.

Es gibt alle Arten. In der Hälfte der Fälle schlagen ohnehin beide Partner. Ausschlaggebend ist eher die Frage: Welche Möglichkeiten haben Paare, mit Konflikten umzugehen? Wo Paare sich mehr abstimmen und verhandeln, da kommt es nur selten zu Gewalt.

Ein Machtgefälle in der Beziehung begünstigt Gewalt – das wäre die klassische feministische These. Die gilt vielleicht auch im umgekehrten Fall?

Dazu kenne ich im Moment keine Untersuchung. Was es gibt, ist die Feststellung, dass die Gewalt in einer Partnerschaft ansteigt, wenn die Frau berufstätig wird. Dann steigt der Stress in der Partnerschaft. Oft gibt es auch mehr Streit um die Aufgabenteilung.

Sie sind Familienanwalt. Kommen zu Ihnen auch geschlagene Männer?

Ja, ich habe eine Reihe solcher Fälle. Ein Beispiel ist ein Scheidungsverfahren eines Akademikerpaares, bei dem beide Partner berufstätig waren. Er war Alkoholiker und Workaholic, damit kamen sie nicht zurecht. Er wurde von seiner Frau regelrecht misshandelt. Dieser Mann kam gar nicht auf den Gedanken, sich zu wehren. Er ist inzwischen in einem therapeutischen Wohnheim, nun reichte die Frau die Scheidung ein. Um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: Ich bin als Anwalt Parteivertreter und vertrete natürlich ebenso misshandelte Frauen.

Sie sind kein maskulinistischer Männeranwalt?

Ich wehre mich entschieden gegen ideologisches Schubladendenken, was die Familie angeht. Ich bin vielleicht ein Ausnahmeanwalt, weil ich geschlagene Männer eher ernst nehme.

Das Frauenministerium antwortet, wenn man Männerhäuser fordert, dass es einen entsprechenden Aufschrei geschlagener Männer noch nicht vernommen hat. Stimmt irgendwie, oder?

Ja. Es entspricht natürlich nicht der klassischen Männerrolle, die Stärke und Unabhängigkeit beinhaltet, den Opferstatus in die Öffentlichkeit zu tragen. Für Frauen ist das auch schwierig, aber für Männer noch mehr.

Fehlt da die Männerbewegung?

Wir brauchen zumindest keine Männerbewegung, die Schuldzuweisungen mit anderen Vorzeichen fortsetzt. Es geht um Gewalt in der Familie. Da haben offensichtlich beide Geschlechter ein Problem. Wir brauchen einfach Menschen, die bereit sind, über die Dinge so zu diskutieren, wie sie sind, und die Tatsachen nicht im Sinne ihrer Interessen verdrehen, seien es Frauen- oder Männerbewegte.

Sie haben versucht, dieses Bewusstsein mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu wecken. Wie war die Reaktion?

Es gibt immer wieder Anfragen von Männerberatungsstellen. Ich werde auch zu diversen Tagungen eingeladen. Doch eine ersthafte Auseinandersetzung mit Feministinnen über meine Arbeit ist leider nicht möglich.

Wieso?

Ich werde in polemischer Weise angefeindet. Meine Forschung sei wissenschaftlich unredlich.

Was soll an den Befragungen, die sie analysiert haben, unredlich sein?

Es heißt, das Abfragen von tatsächlichem Verhalten würde ein verzerrtes Bild liefern.

Weil die Männer ständig lügen?

Weil Frauen ihre Gewalttaten eher zugeben würden als Männer, heißt es. Aber Tatsache ist: Wenn man beide befragt und dann vergleicht, decken sich die Angaben weitgehend. Es haben eher die Männer ein Problem, zuzugeben, Opfer geworden zu sein.

Ist das Gewaltschutzgesetz vor diesem Hintergrund falsch konzipiert, oder muss es nur gerecht, also auf beide, angewandt werden?

Gegen das Gewaltschutzgesetz hege ich grundsätzliche Bedenken. Es ist ein massiver Eingriff in die Privatsphäre, wenn man plötzlich mit Polizeigewalt aus der Wohnung geworfen wird, ohne seine Sicht der Dinge darstellen zu können. Ich habe zwei Fälle, in denen das Gewaltschutzgesetz augenscheinlich missbraucht wurde.

Den Männern wird zu sehr misstraut?

Im Moment werden Täter dämonisiert. Wenn klar wäre, dass Frauen auch Täterinnen sind, würde das vielleicht abgeschwächt und man würde wieder sehen, dass dort ein Beziehungsdrama stattfindet. In die jetzige Wahrnehmung vieler Frauenpolitikerinnen passt etwa nicht, dass Frauen, die einen Platzverweis für ihren Mann erwirkt haben, ihn danach trotzdem treffen – im Hotel. Das kommt aber vor. Ich behaupte: Das ist nicht pathologisch, sondern es liegt daran, dass sie in ihm nicht nur den Prügler sehen, sondern auch noch ihren Mann, einen Menschen mit einem Problem.