Cool Culo

Filme wie „Frida“ oder „Manhattan Love Story“ versöhnen hispano-amerikanische Belange mit dem US-Kino. Das war nicht immer so. Ein Rückblick auf Dark Ladys, staubige Straßen und einsame Mariachis zeigt: La Frontera ist überall

Wer keine Sonnenbrille trägt, steht auf der falschen Seite

von CRISTINA NORD

„Where're you takin' us?“ – „Mexico.“ – „What's in Mexico?“ – „Mexicans.“ (Dialog zwischen Geisel und Gangster in Robert Rodriguez' „From Dusk Till Dawn“)

So nüchtern wie in diesem kurzen Abtausch geht es selten zu, wenn auf der Leinwand die Rede von Mexiko ist. „I'm heading way down south, where I can be free“, sang Jimi Hendrix; Heerscharen von Desperados und Outlaws dachten ähnlich und machten sich auf, um jenseits der Grenze ihr Glück zu suchen. Die Hoffnungen, die die Figuren im Western und im Gangsterfilm auf den südlichen Nachbarn der USA setzen, sind hoch; Mexiko gerät ihnen und ihren Schöpfern zum Fluchtpunkt, zum Synonym für Freiheit, Sex und fettes Leben.

Umgekehrt gilt Ähnliches. Die USA erscheinen denen, die südlich des Río Grande wohnen, wie eine Verheißung. „Für arme Leute ist es der Himmel“, sagt einer der coyotes, der Schlepper, die in Gregory Navas Soziodram „El Norte“ („Der Norden“, 1983) im Grenzort Tijuana auf Flüchtlinge warten. Die guatemaltekische Dorfbewohnerin im selben Film weiß, dass im Norden „selbst die Armen Toiletten wie Don Rodrigo haben.“ Und die Hauptfiguren, das Geschwisterpaar Enrique (David Villalpando) und Rosa (Zaide Silvia Gutierrez), tragen sich mit ihrem eigenen, bescheidenen American Dream von Lohn, Brot und einer Green Card – so ihnen die Jungfrau Maria helfe. Nachdem ihnen die Flucht vor guatemaltekischen Militärs gelungen ist, nachdem sie es geschafft haben, Mexiko zu durchqueren und über Tijuana einzureisen, finden sie sich in einem winzigen Apartment in Los Angeles wieder, wo die Toilette zwar – der Prophezeiung gemäß – mit einer Wasserspülung ausgestattet, zugleich aber völlig verdreckt ist. Ambivalenter hätte sich Nava zu den hohen Hoffnungen seiner Protagonisten nicht äußern können.

Obwohl die Grenze zwischen Mexiko und den USA für Undurchlässigkeit bürgt, sind die Verflechtungen zwischen den beiden Ländern so vielgestaltig wie geschichtsreich. Der Legende zufolge bildeten Texas, New Mexiko, Arizona und Kalifornien ein mythisches Homeland namens Aztlán, in dem die Vorväter der Azteken lebten. Radikale Chicano-Aktivisten berufen sich darauf, um ihre Politik zu untermauern. Ein Teil des Territoriums, aus dem sich heute die USA zusammensetzen, gehörte bis 1848 zu Mexiko. Aus der Perspektive Washingtons galten – und gelten, was die Drogenbekämpfung angeht, noch immer – die südlichen Nachbarn als Hinterhof, in dem die eigenen Interessen durch direktes wie indirektes Intervenieren zu schützen sind. Währenddessen nimmt nördlich der Grenze die hispanische Bevölkerung zu. Längst ist eine Populärkultur aus Chicano-Rap, Jungfrauenanbetung und Lowriding (Spazierfahrten mit tiefer gelegten Autos) entstanden.

Natürlich macht eine solche Entwicklung vor dem Kino nicht Halt. Eines von vielen Beispielen dafür ist die Laufbahn der mexikanischen Schauspielerin Salma Hayek: In „From Dusk Till Dawn“ (1996) gab sie für die Dauer eines anzüglichen Tanzes die Untote; heute bestreitet sie in der Rolle Frida Kahlos einen ganzen Spielfilm. Wo Exploitation beziehungsweise deren Zitat war, soll Mainstream werden. Ähnliches gilt für den mexikanischen Regisseur Robert Rodriguez: Mit „Desperado“ (1995), dem Remake seines Low-Budget-Erstlings „El Mariachi“ (1992), hatte er solchen Erfolg, dass bald die Zusammenarbeit mit Quentin Tarantino und später Regiearbeiten wie „The Faculty“ oder „Spy Kids“ folgten. Ein Film wie Steven Soderberghs „Traffic“ (2000) schließlich macht das Grenzland selbst zum Gegenstand und lässt, was alles andere als selbstverständlich ist in US-amerikanischen Produktionen, die Figuren Spanisch sprechen oder Englisch mit spanischem Akzent.

Doch so aufgeräumt waren die Beziehungen nicht immer. Schauspielern lateinamerikanischer Herkunft blieben oft nur stereotype Rollen: die des Schurken oder die der Dark Lady. Dementsprechend versuchten viele, ihre Herkunft zu verbergen. Ironischerweise sahen sich auch solche Darsteller zu einem Repositioning gezwungen (so nannte sich die Anglisierung von Namen und Erscheinungsbild), deren Herkunft gar nichts mit Mexiko oder dem übrigen Lateinamerika zu tun hatte. Rita Hayworth etwa, die 1919 unter dem Namen Margarita Carmen Cansino als Tochter eines spanischen Tänzers und dessen englischer Ehefrau geboren wurde, wehrte sich zeit ihres Lebens dagegen, dass man sie für eine Mexikanerin hielt. Für andere Darsteller, die wie Dolores del Río auf ein Repositioning verzichteten, war es schwierig, anspruchsvollere Rollen jenseits der ethnischen Klischees zu erhalten. Symptomatisch ist auch, dass in den 90er-Jahren oft spanische Schauspieler zum Zuge kamen, wenn Drehbücher hispano-amerikanische Figuren vorsahen. Casting-Agenturen beispielsweise waren ganz versessen auf Antonio Banderas. Im Aids-Drama „Philadelphia“ gab er den Liebhaber des kranken Tom Hanks; in Alan Parkers Musical „Evita“ Che Guevara.

Chicanos, die die Regie über ihre Geschichten übernahmen, traten zum ersten Mal zu Beginn der Siebzigerjahre auf. Filme wie Jesús Salvador Treviños „Yo soy chicano“ (1972) oder Ricardo Sotos „A Political Renaissance“ (1974) widmeten sich politischen Fragen; für andere Inhalte und Formen war die Zeit damals wohl noch nicht reif. Bevor sich Rodriguez am Western-, Gangster- und Vampir-Genre austoben oder Perdita Durango (Rosie Pérez) im gleichnamigen Film von Alex de la Iglesia nur müde lächeln sollte, während ihre Geiseln, zwei unbeleckte angloamerikanische Teenager, etwas von Unterdrückung faselten, bevor also der spielerische Umgang mit rassistischen Zuschreibungen möglich wurde, mussten die Bürgerrechtsbewegung und ihr Ableger, das Chicano Movement, erst einmal Früchte tragen.

Und sonst? Da ist die Vorliebe für Trash, Gemetzel und Gewalt. Da sind die staubigen Straßen und die einsamen Mariachis, die buchstäblichen wie die metaphorischen Grenzüberschreitungen, die Projektionen und schließlich die juvenilen Delinquenten, von denen Luis Valdez’ „La Bamba“ (1987) genauso erzählt wie Edward James Olmos’ „American Me“ (1992). Darin versucht sich der sonst als Schauspieler tätige Olmos an einer Chicano-Version von „Es war einmal in Amerika“. Wenn auch die Dramaturgie des Bandenepos zu wünschen übrig lässt, so hat „American Me“ doch seine interessanten Seiten – allein schon deswegen, weil der Film fast ausschließlich in Gefängnissen spielt und damit die Demarkationslinie zwischen angloamerikanischer und mexikanisch-amerikanischer Welt neu zieht: Hier ist es nicht der bestbewachte Grenzstreifen, hier sind es die Gefängnismauern, die die Undurchlässigkeit besiegeln. Ein Chicano mag längst in Los Angeles angekommen sein, er mag sich noch so mühen, der Zutritt zum Herzen der angloamerikanischen Gemeinschaft bleibt ihm dennoch verwehrt: La frontera ist überall.

Wo Exploitation respektive deren Zitat war, soll Mainstream werden

Im Protagonisten Santana (gespielt von Olmos) wiederholt sich ein mexikanisches Dilemma. Gleich dreimal zeigt der Film eine Vergewaltigung. Damit evoziert „American Me“ etwas, was bereits Octavio Paz in seinem Essayband „Das Labyrinth der Einsamkeit“ beschrieb. Als Nachkommen indigener und spanischer Vorfahren, argumentiert Paz, hätten es die Mexikaner nie verwinden können, Produkt einer Vergewaltigung zu sein. Nicht umsonst spiele das Wort „chingar“ (etwa: penetrieren, belästigen, verwunden, vergewaltigen) eine so große Rolle im Sprachgebrauch, werde die Figur der Malinche, Geliebte und Dolmetscherin des Conquistadors Hernán Cortés, mit Verachtung überzogen, obwohl ihr zugleich eine Mutterrolle zukomme. In Santana schafft sich diese alte Geschichte eine Neuauflage. Die Selbstachtung der Hauptfigur ist ähnlich ramponiert, ihre Miene ähnlich unbeweglich, ihr Wille zur bedingungslosen Coolness ähnlich groß wie bei den Mexikanern, die Paz vorschweben mochten, als er an seiner Essaysammlung arbeitete.

Coolness ist denn auch ein anderes wichtiges Stichwort. In „American Me“ erlaubt sich Santana keine Regung, sein von Aknenarben gezeichnetes Gesicht wirkt versteinert. Nicht minder wichtig sind die Sonnenbrillen, die Gesten der Unnahbarkeit und deren Parodie in anderen Filmen – bei Rodriguez beispielsweise. In „El Mariachi“ (1992) entzündet der Gangsterboss seine Streichhölzer an den Bartstoppeln eines Untergebenen. Wer hier keine Sonnenbrille trägt, steht auf der falschen Seite. „You're so cool I'm gonna call you a culo“, sagt einer der Gangster aus „American Me“ zu einem Kollegen. „Culo“ heißt Arsch.

Desillusionierungen lassen nicht auf sich warten. Am Ende von „American Me“ löst sich ein Schuss Richtung Kameraobjektiv: Mit Versöhnung ist nicht zu rechnen. In „El Norte“ erkennt Rosa, kurz bevor sie sterben wird, dass sie die ersehnte Freiheit nicht gefunden hat. In „El Mariachi“ steht der Protagonist wieder an derselben staubigen Straße, an der er schon in der Eingangssequenz stand, um eine Chance ärmer und ein Loch in der Hand reicher. „From Dusk Till Dawn“ endet in einem gut halbstündigen Splatterreigen, bei dem kaum ein Körper seine ursprüngliche Kontur behält. Zwischen all den Körperflüssigkeiten, den Metamorphosen, den Explosionen und Implosionen tritt eines klar zutage: Um vollständige Entgrenzung geht es hier, um eine Idee von einem Leben, so wild, dass es nur in Auslöschung münden kann. Nirgendwo anders als in Mexiko kann dies stattfinden, in einem Lokal mit dem bezeichnenden Namen „Titty Twister“, errichtet auf den Ruinen einer möglicherweise aztekischen Pyramide. Sind die Vampire, die Rodriguez so hemmungslos tanzen lässt, am Ende etwa Wiedergänger der dahingemetzelten Ureinwohner?

Das Splatterfest, in dem „From Dusk Till Dawn“ kulminiert, hat ein prominentes Vorbild. Sam Peckinpah lässt seinen zwischen Texas und Mexiko angesiedelten Antiwestern „The Wild Bunch“ (1969) in einem nicht minder radikalen Blutbad enden, wozu er keine Untoten, wohl aber ein Maschinengewehr braucht. Und es gibt noch eine Parallele: Kurz vor dem Grenzübertritt seufzt Angel, der einzige Mexikaner im Banditentrupp: „Ach, Mexiko ist schön.“ Die Antwort eines seiner Begleiter lässt nicht lange auf sich warten: „Da ist es auch nicht schöner als anderswo.“