Hauptsache blond

Globalisierung auf Arabisch: Einst gaben Kairo und Beirut in der arabischen Welt den Ton an. Heute befördert das panarabische Satelliten-TV die Karrieren neuer Popstars

von DANIEL BAX

Auf der Autobahn, die aus Dubai City herausführt, passiert man das „Hard Rock Café“. Überkreuz ragen dort zwei überdimensionale Gitarren vor dem hohen Gebäude auf, das auch die einzige „Planet Hollywood“-Filiale der Vereinigten Arabischen Emirate beherbergt. Sonst ist ringsum nur Wüste zu sehen.

Androulla Constantinidou braust in ihrem roten Kleinwagen die mehrspurige Straße entlang, bis sie, dreißig Kilometer außerhalb der Stadt, an die Toreinfahrt der Sonderwirtschaftszone gelangt und von einem Wächter durchgewunken wird. Die Griechin arbeitet als PR-Frau für den Plattenkonzern EMI – besser gesagt: für dessen arabischen Ableger, der in Dubai seine Firmenzentrale unterhält. Auf dem Weg erzählt sie von den Projekten, mit denen sie aktuell befasst ist. Am nächsten Tag soll der Sänger Yuri Mrakadi aus dem Libanon eintreffen, für den sie eine Pressekonferenz organisiert. Er wird in einem Autohaus auftreten, weil er einen Werbevertrag mit einem Autokonzern hat.

Auf dem umzäunten Areal der „Free Zone“ befinden sich zahlreiche Cargohallen, auf denen bekannte Namen wie „Nestlé“, „Sharp“ und „Lipton“ prangen. Dazwischen, in einem unscheinbaren Bürocontainer, koordiniert EMI Arabia ihre Aktivitäten in der gesamten Region, von der Levante bis zum Maghreb. Und die haben in letzter Zeit beträchtlich zugenommen: „Wir verfügen heute über den größten CD-Katalog an arabischer Musik“, berichtet Baschar Sultan stolz. „Unser Marktanteil beträgt gut neunzig Prozent.“

Der Syrer sitzt, lässig in Jeans gekleidet, in einem kleinen Büroraum des Containers, der mit Plakaten aktueller arabischer Stars und Sternchen tapeziert ist. Ihm gegenüber sitzt sein Kollege Dergham Owainati, zuständig fürs Marketing. Gemeinsam analysieren sie die neuesten Musiktrends in der arabischen Welt. „Früher lautete die goldene Regel: Jeder Künstler muss jeweils zwei, drei Songs auf seinem Album haben, die einer bestimmten Schule entstammen und in einer bestimmten Region funktionieren: Zwei für den Libanon, drei für Ägypten und drei für die Golfstaaten. Doch seit ungefähr zwei Jahren gilt diese Formel nicht mehr“, fasst Dergham Owainati den Stand der Dinge zusammen.

Heute herrsche ein Trend zum Crossover, zur Vereinheitlichung vor: Manchmal klingt es nach R ’n’ B mit arabischen Instrumenten, manchmal ist es eine Fusion von orientalischen Rhythmen mit mediterranem Flair. „Der arabische Pop absorbiert alles, von Techno bis hin zu indischer Filmmusik und neuerdings sehr viele Salsaelemente. Der weltweite Latinboom ist auch an uns nicht spurlos vorbeigegangen“, so Owainati. Baschar Sultan benennt die andere Seite der Entwicklung: „Es gibt nicht mehr die gleiche Vielfalt wie früher.“ Er zuckt die Achseln: „Das ist eben Teil der Globalisierung.“

Dubai, mit seinem internationalen Flughafen, seinen Banken und seiner Hochhausskyline, mitten in die arabische Wüste geklotzt, ist ein Drehkreuz der wirtschaftlichen Globalisierung wie Singapur, São Paolo oder Frankfurt am Main. An Tausendundeine Nacht erinnern nur die grünen Lichter an den Moscheen, welche die mehrspurigen Freeways säumen. Das Nachtleben der sterilen Dienstleistungsmetropole dagegen ist, mit Freiluftdiners und teuren In-Diskotheken, strikt dem amerikanischen Vorbild abgeschaut und wird dominiert von westlichen Angestellten, die von ihren Konzernen in die Wüste geschickt wurden.

Das Straßenbild, in den Läden und im Basar, prägen Gastarbeiter vom indischen Subkontinent, die längst die Mehrheit der Bevölkerung stellen. Die Einheimischen beschränken sich darauf, in weißen Jeeps durch die Stadt zu kurven oder, in Landestracht, durch die Shopping Malls zu bummeln Sie können sich den luxuriösen Müßiggang leisten.

Die arabische Filiale der EMI in Dubai firmiert vor allem als Distributions- und Marketingzentrale für den arabischen Raum. Durch Lizenzverträge mit regionalen Musikfirmen, von denen man die CD-Rechte übernahm, hat sich der Konzern ein Beinahemonopol an arabischem Repertoire erworben. Das ist für den Konzern vor allem eine Option auf die Zukunft, weil das Geschäft in den meisten arabischen Ländern noch immer mit Kassetten gemacht wird. Selbst in den reichen Golfstaaten machen die Silberscheiben höchstens fünfzehn Prozent des Umsatzes aus, und billige Raubkopien trüben in Syrien und Palästina die Bilanzen. Dafür trägt aber fast jede reguläre arabische CD heute das EMI-Logo. Das gilt sowohl für Klassiker wie Umm Kalthum als auch für aktuelle Stars wie Amr Diab, den ägyptischen Ricky Martin.

Einst waren es Radio und Musikfilme, durch welche Stimmen wie die von Umm Kalthum, dem „Stern des Orients“, in der gesamten arabischen Welt Berühmtheit erlangten; noch heute können viele Ägypter oft ganze Passagen ihrer episch langen Lieder rezitieren. „Früher hatte man noch die Geduld, sich ein Lied anzuhören, das zwei Stunden lang dauerte. Heute dagegen darf ein Song nicht länger als fünf Minuten sein, dann ist gut“, fasst Durgham Owainati die veränderten Hörgewohnheiten zusammen. Mit ihren knappen und eingängigen Hitmelodien wirken die Popstars von heute, in Jeans und T-Shirt gekleidet, im Vergleich zu den Altvorderen der arabischen Musik natürlich ungleich profaner. Aber auch sie erreichen wieder ein panarabisches Publikum.

Motor dieser Entwicklung sind die neuen Medien – allen voran das Satellitenfernsehen, über das die neuesten Musikvideos noch in die letzte Kasbah strahlen. Eine kleine Kulturrevolution. Von Europa aus, vor allem aber aus dem Libanon und den Emiraten am Golf senden immer mehr arabische Musikprogramme in die Region. Besonders beliebt sind die Sender aus dem Libanon: Sie bringen viel Entertainment. „Das entspricht der Mentalität der Araber“, lästert Dergham Owainati: „Sie machen keinen Sport, sie bevorzugen passive Unterhaltung. Lieber sitzen sie abends gemeinsam vor dem Fernseher.“

Und er weiß auch den Grund, warum libanesische Popvideos so populär sind. Sie zeigen stets viele schöne Frauen, gerne nach indischem Vorbild in Massentanzszenen – nach dem Motto: je mehr, desto besser. Besonders beliebt sind, als Sängerinnen wie in der Moderation, Blondinen. Auch wenn, wie seine Kollegin Androulla Constantinidou vom anderen Tischende bemerkt, die Mehrheit davon nur gefärbt ist.

Auch aus solchen Gründen boomt in Beirut die Videoproduktion, und die Budgets steigen. Dennoch ist das Drehen der Musikvideos eine ständige Gratwanderung. Ist zu viel nackte Haut im Spiel, kann es schon mal vorkommen, dass der Clip manchen TV-Stationen zu heiß ist und folglich geschnitten oder ganz zensiert wird.

Der arabische Markt wächst allmählich zusammen, aber er ist noch lange nicht einheitlich. Moralische Gegensätze spielen eine Rolle, aber auch schlichte Geschmacksunterschiede. So verkauft Fairuz, noch immer die Nummer eins im Libanon, in Saudi-Arabien gerade einmal fünfhundert CDs. Der saudische Superstar Abdulmajid Abdullah dagegen kommt am Golf schon mal auf stattliche zehntausend CDs und eine halbe Million Kassetten dazu. Sein Videoclip zeigt ihn, mit Menjoubärtchen und sanftem Lächeln, beim Billardspiel und am Kaminfeuer.

So unterschiedlich im Musikstil, so uniform sind arabische Musikclips in dem Lifestyle, den sie abbilden. Es ist die westlich-moderne Konsumkultur mit ihren Statussymbolen, der gehuldigt wird. Großzügig werden Villen mit Swimmingpool oder ganze Schlösser, Jeeps und Mobiltelefone ins Bild gerückt – ein Reichtum, der für die meisten Zuschauer unerreichbar ist. Garniert wird das gerne durch einen tiefen Griff in die romantische Klischeekiste, mit roten Rosen und weißen Pferden.

Mit arabischer Wirklichkeit hat das wenig zu tun. Wenn überhaupt mal ein Kopftuch auftaucht, dann ist es modisch gebunden wie bei Audrey Hepburn. Doch Durgham Owainati ist überzeugt, dass dies gerade auch den Unterschichten gefällt: „Auch wenn sie sich die Autos und die Frau ihrer Träume aus den Videoclips nicht leisten können, so können sie wenigstens davon fantasieren“, glaubt er und meint das gar nicht zynisch. Unnötig zu sagen, dass Sozialkritik in der arabischen Popmusik nicht gerade hoch rangiert.

In Dubai selbst ist gerade ein weiterer Musikkanal in Planung, gegründet von Scheich Mohammed, Kronprinz und Verteidigungsminister der Emirate, der als medienpolitischer Visionär gilt. Angesiedelt wird der Musiksender wohl in seiner brandneuen „Media City“, für die schon ein paar glitzernde Glaskästen vor den Toren von Dubai in den Sand gesetzt wurden – von Palmen umsäumt und mit einem großen Springbrunnen verziert.

DANIEL BAX, 32, ist Musikredakteur der taz. Er hat in Berlin Islamwissenschaft studiert. Mit dem Ali Baba Sound System legt er als DJ die neuesten orientalischen Dancefloorhits auf