In die falsche Richtung laufen

Nach seinem Erfolg mit „Das Fest“ hat sich Thomas Vinterberg für Cinemascope, Studio-Settings und Hollywood-Stars entschieden. Doch zu einem Film will sich „It’s All About Love“ nicht zusammenfügen

von SVEN VON REDEN

„Wir sind eine Familie mit einem kleinen Problem.“ Wer so einen Satz sagt, dem glaubt man nicht. Und so misstraut man auch dem Manager David. Es ist natürlich ein großes Problem, das die „Familie“ in Thomas Vinterbergs „It’s All About Love“ hat: Sie lebt vom Erfolg der weltberühmten Eiskunstläuferin Elena (Claire Danes), doch die will keine Pirouetten mehr drehen – ihre Gesundheit hält der Belastung von Training, Shows und Stardasein nicht mehr stand. Und so hat ihre Entourage mit dem patriarchalen Manager David an der Spitze schon tödliche Pläne geschmiedet, wie auch nach dem Ausscheiden Elenas die Starmaschinerie weiterlaufen kann. Nur noch Elenas Ehemann John, der lediglich nach New York gekommen ist, um die Scheidungsunterlagen abzuholen, kann ihr helfen.

Schon in Vinterbergs letztem Film „Das Fest“ ging es um eine Familie mit einem sinistren Patriarchen und einem „kleinen Problem“ – doch das sind die einzigen Parallelen. Vinterberg hat sich offensichtlich entschlossen, nach dem weltweiten Erfolg seines Dogma-Films eine völlig andere Richtung einzuschlagen: Statt auf Handkamera-Realismus setzt er auf Cinemascope-Grandeur, statt auf Originalschauplätze auf Studio-Settings, statt auf ein Ensemble dänischer No-Names auf Hollywood-Stars. Und mit diesem Konzept scheitert er spektakulär.

Er ist nicht der Erste. Für Autorenfilmer scheint es nach Publikums- beziehungsweise Kritikererfolgen besonders schwierig zu sein weiterzuarbeiten. Genregrößen aus Hollywood nehmen so eine Situation leichter: Mit „Catch Me If You Can“ und „Panic Room“ haben etwa Steven Spielberg und David Fincher vor kurzem gezeigt, wie man nach ambitionierten und viel diskutierten Projekten einfach einen Gang zurückschaltet und mit kleinen Fingerübungen sein Können beweist. Vinterberg dagegen war offenbar vor Angst, in eine der berüchtigten Schubladen gesteckt zu werden, so paralysiert, dass er alle seine Talente vergessen hat. Wie Steven Soderbergh nach „Sex, Lügen, Videos“ und Tom Tykwer nach „Lola rennt“ flüchtet er sich in die Prätention.

Vielleicht hat er sich einfach nur zu viel damit beschäftigt, wie der Erfolg sein Leben verändert hat. „Ich begann zu lernen, in Budapest aufzuwachen, in London Mittag zu essen und in Venedig wieder ins Bett zu gehen“, wird er im Presseheft zitiert. „Ich sah eine Welt in Bewegung, eine Welt, in der Menschen hierhin und dorthin gingen, ohne an irgendetwas zu hängen oder irgendwohin zu gehören.“ Und so muss Sean Penn während der gesamten 104 Minuten von „It’s All About Love“ im Flugzeug sitzen und wie ein hilfloser Deus ex Machina am Handy über das Leben und die Liebe schwadronieren, während in New York (wo sonst?) die Menschen vor Bindungslosigkeit einfach tot umfallen. „Man sagt, es trifft vor allem einsame oder traurige Menschen. Oft sind es Kinder. Es geht direkt ins Herz und peng, stirbt man.“

Vinterberg muss über den Wolken arges Heimweh nach Frau und Kindern gepackt haben. In der dünnen Luft hat er offenbar auch seine poetische Ader entdeckt. So bricht in „It’s All About Love“ Blitzeis über die ganze Welt herein als Strafe für die Vergletscherung unserer Gefühlswelt, und in Uganda funktioniert die Schwerkraft nicht mehr, sodass die Menschen am Boden festgebunden werden müssen: „Ich will nicht fliegen. Wir sind keine Engel“, spricht ein Ugander in die Kamera. Auch in Afrika leben eben nur Menschen, keine Humanressourcen oder Schmerzensmänner, die unsere Schuld auf sich nehmen und dafür in den Himmel kommen.

Die abhebenden Ugander erinnern fatal an die fallenden Kröten in „Magnolia“, die menschenleeren Flure in Elenas New Yorker Domizil an Kubricks „Shining“, und der geheimnisvolle Mr. Morrisson, der Elena verfolgt, könnte aus einem David-Lynch-Film stammen. Doch der Emotionskitsch in „It’s All About Love“ gemahnt eher an die Filme von Vinterbergs Freund und Mentor Lars von Trier. Nur die besten Referenzen, doch sie fügen sich nicht zu einem Film zusammen.

Am Ende stapfen die beiden neu verliebten Protagonisten Elena und John durch eine Schneewüste, bis sie endgültig die Orientierung verlieren. „It’s All About Love“ hat sie zu diesem Zeitpunkt längst verloren. Aber man freut sich an den Bildern, die wirken, als seien sie in einer Schneekugel aufgenommen worden. Und man fragt sich, ob dieser Film in ein paar Jahren vergessen sein oder in besonders wagemutigen Cineasten-Kreisen als Kultfilm gehandelt wird.

„It's All About Love“, Regie: Thomas Vinterberg. Mit: Joaquin Phoenix, Claire Danes, Sean Penn u. a., Dänemark 2002, 104 Minuten