Fame & Fake

Zadie Smith legt nach ihrem umjubelten Debüt „Zähne zeigen“ nun ihren zweiten Roman vor. In „Der Autogrammhändler“ geht es um Erfolg – und die große Leere einer Generation

von CHRISTIANE ZSCHIRNT

Zadie Smith, 27, hat vor drei Jahren ein Debüt veröffentlicht, das sie zur berühmtesten Nachwuchsautorin Großbritanniens gemacht hat. Damals überschlug sich die anglo-amerikanische Kritik vor Lob für „Zähne zeigen“, eine clevere Komödie um drei exzentrische Familien im multikulturellen London. Die weniger literarisch interessierten Organe der öffentlichen Meinung freuten sich darüber, dass Zadie Smith – Tochter einer Jamaikanerin und eines Engländers – zufällig lauter Eigenschaften vereinte, die danach schrien, einen Hype um ihre Person in Szene zu setzen. Smith (weiblich, schwarz, jung, attraktiv, erfolgreich) spielte selbstbewusst mit, erschien zu ihren öffentlichen Auftritten mit Turban, selbst gedrehten Zigaretten und einer eckigen, schwarz umrandeten Brille.

Ihr zweiter Roman erscheint jetzt auf Deutsch: „Der Autogrammhändler“. Im Mittelpunkt steht die Geschichte des 27-jährigen Alex-Li Tandem. Er hat sein Hobby aus Kindertagen zum Beruf gemacht und betreibt einen mäßig erfolgreichen Handel mit den Unterschriften lebender und toter Berühmtheiten. In ihrem zweiten Roman geht es also um etwas, das Zadie Smith inzwischen selbst erlebt hat: Ruhm. Und deshalb prangt wohl auch auf dem Buchdeckel der englischen Ausgabe in goldenen Lettern: „Fame! I’m gonna live forever“.

Trotz dieser selbstironischen Attitüde ist „Der Autogrammhändler“ ein ambitioniertes Buch. Smith, Cambridge-Absolventin und gegenwärtig zu Gast in Harvard, bezieht so komplexe Themen aufeinander wie: die postmoderne Dominanz des Zeichens über die Wirklichkeit, die Unfähigkeit der Fernsehgeneration zur Authentizität, Sinnsysteme wie die jüdische Kabbala und Buddhismus, die Funktion von Ritualen, Glaube und Götzendienst. Ständig durchkreuzen den Text Bilder, Witze in Kästchen, Sprechblasen, Gottesbäume der Kabbala und hebräische Schriftzeichen. Das erinnert die LeserInnen (im Idealfall) an die Zeichenhaftigkeit von Texten – und an Tristam Shandy.

Alex, der Autogrammhändler, ist eines jener Kinder der Globalisierung, die bereits Smith’ ersten Roman bevölkerten. Er ist der Sohn eines Chinesen und einer englischen Jüdin. Während er eine sentimentale Vorliebe für chinesische Medizin kultiviert, lehnt er jüdische Traditionen entschieden ab. Die Grundlagen seiner kulturellen Identität bezieht er aus dem Fernsehen. Er lebt in einem unscheinbaren Vorort Londons, hat eine wunderschöne schwarze Freundin, die er regelmäßig betrügt, und drei Freunde aus Kindertagen, die er regelmäßig brüskiert.

Die Hauptfigur des Buches macht es den LeserInnen nicht gerade leicht: Alex ist ein jungenhafter Typ, dessen Charme sich durchaus in Grenzen hält. Er ist unfähig zur Loyalität in Freundschaften und unfähig zur Liebe. Er ist überwiegend mit sich selbst beschäftigt, neigt zum Selbstmitleid und verfasst seit Jahren eine irrwitzige Ordnung der Dinge, welche die Welt (von Büroklammer bis Waldboden) in jüdisch und goi (nichtjüdisch) einteilt.

Alex’ infantile Persönlichkeit geht auf eine Verwundung zurück, die nie geheilt ist: Als er zwölf Jahre alt war, starb sein über alles geliebter Vater. An die Stelle des verlorenen Vaters ist eine Obsession getreten: die Verehrung der obskuren Fünfzigerjahre-Hollywooddiva Kitty Alexander. In einem merkwürdigen Ritual schickt er ihr seit mehr als einem Jahrzehnt, Woche um Woche, einen Fanbrief – ohne jemals eine Antwort erhalten zu haben.

Zu Beginn des Romans gibt es einen Rückblick auf jenen Tag, an dem Alex’ Vater starb. Alex, sein Vater und zwei seiner Freunde waren gemeinsam zu einem Wrestlingkampf in der Albert Hall gefahren. Während Alex sich das erste Autogramm seines Lebens besorgt, bricht sein Vater in der Menge zusammen und stirbt. Diese ersten 50 Seiten des Romans, in deren Mittelpunkt die Nähe zwischen Vater und Sohn steht, sind die besten des Buches. Auf den dann folgenden Seiten bleibt Alex’ Trauer abstrakt. Nicht die Tragik, dass er seinen Verlust nicht anders zum Ausdruck bringen kann als durch die emotionale Leere einer Obsession, teilt sich den LeserInnen mit, sondern diese Leere selbst.

Es gibt allerdings auch Gründe für diese Leere. Denn Alex entstammt, wie wir auf der ersten Seite erfahren, einer Generation, die dazu verdammt ist, unauthentisch zu sein. Er gehört zur Fernsehgeneration. In deren Welt ist das eigene Leben die Zweitfassung des Films. Es gibt nichts, was unabhängig von Gesten, Bildern und Worten beobachtet werden kann, die aus Filmen stammen: Liebeserklärungen, Beileidsbekundungen, Saufgelage, Lebensentwürfe, New York, die eigene Identität. „Ich bin der Schwarze. Ich sterbe bestimmt in der Mitte des Films“, sagt ein Schwarzer. Nicht einmal mehr der Körper taugt noch zu jenem untrüglichen Ausweis der Aufrichtigkeit, zu dem ihn die Psychologie des 18. Jahrhunderts bis Freud gemacht hatte: Smith’ Protagonisten benutzen „internationale Gesten“ – eine (etwas penetrant wirkende) Formulierung, die das ganze Buch durchzieht.

Wie soll man in dieser Welt der jederzeit frei verfügbaren Zeichen wissen, was wichtig ist und was nicht, fragt sich Alex mit Blick auf seinen Freund Adam. Adam, ein schwarzer Jude, hat sein Glück gefunden: in Gott. Alex staunt über die Metamorphosen seines Freundes, „der jeden Sommer von einer schlecht passenden ‚Identität‘ zur nächsten getaumelt ist; der Hippiephasen durchgemacht hat, Grunge, Kaffeehausgangster, Back to the Roots […], Afros, glatt gezogen, rastalockig, kahl geschoren, weite Jeans, knallenge Jeans, weiße Mädchen, schwarze Mädchen […] wie ist er von da nach hier gekommen?“.

Was ist Symbol, was ist Realität? Was ist echt, was ist ein Fake? So lauten die Fragen, die Alex’ Leben verkomplizieren und das seiner Generation. Zadie Smith versucht das Dilemma ihren LeserInnen begreiflich zu machen – doch deren Interesse am Glück oder Unglück des Helden droht von Seite zu Seite zu schwinden.

Es gibt in Smith’ Roman einen Runninggag: Darin begegnet Alex regelmäßig drei Rabbis, die versuchen, ein riesiges Möbelstück in ein Auto zu laden, das viel zu klein für diese Last ist. „Der Autogrammhändler“ ist ein intelligenter Roman, ungeheuer ehrgeizig, ein gewaltiger Versuch, die Sinnsuche einer Generation zu thematisieren, aber am Ende überwiegt der Eindruck, dass er die theoretische Last, die er sich aufgebürdet hat, nicht tragen kann.

Zadie Smith: „Der Autogrammhändler“. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Droemer, München 2003, 448 S., 22,90 €