Megacitys sind ohne Chance

Der Architekt und Stadtplaner Albert Speer, Sohn des NS-Architekten und mit Projekten in der Dritten Welt betraut, kritisiert die Unregierbarkeit von Dritte-Welt-Metropolen

Interview CHRISTINA HABERLIK

taz.mag: Herr Speer, was kann der Stadtplaner angesichts der Probleme, die Megastädte mit sich bringen, leisten – nur Schadensbegrenzung?

Albert Speer: In jedem Falle mehr – ich glaube, dass gerade die Stadtplanung, wenn sie integriert in den anderen Disziplinen arbeitet, in den Megacitys enorm viel leisten kann.

Der Moloch Großstadt war in Fritz Langs Film „Metropolis“ noch von einer Schaltzentrale aus zu verwalten – längst hat die Realität Langs Vision überholt: Wie könnte die intelligente Stadt der Zukunft aussehen?

Jede dieser Städte hat ihre eigenen Probleme. Man kann nicht irgendwelche Rezepte erfinden, die überall anwendbar wären. Ich war in den letzten Jahren in Schanghai tätig.

Sind Sie mit der Entwicklung dieser Boomtown zufrieden?

Ja, das ist eine Stadt, die auf einem sehr, sehr guten Weg ist, ihre Probleme halbwegs organisieren zu können. Dort bemühen wir uns stark darum, mit den Chinesen zusammen moderne Organisationsstrukturen zu finden, die die Disziplinen viel enger zusammenbringen, als dies bisher der Fall war.

Schon heute lebt die Hälfte der sechs Milliarden Menschen auf dieser Erde in diesen Megastädten: Lassen sich solche Gebilde überhaupt noch verwalten, planen, am Leben erhalten? Wie kann man einen solchen wuchernden Moloch organisieren?

Diese Städte leben und wachsen ständig. Ich glaube, dass niemand auf der Welt in der Lage ist, diesen Prozess umzukehren oder zu verändern, weil die Lebensbedingungen in diesen Städten und die Chancen, einen Job zu finden oder eine bessere Ausbildung zu erhalten, immer noch bedeutend größer sind als im Rest des jeweiligen Landes.

In diesem Kontext übernehmen Sie zwangsläufig Aufgaben, die über die Kompetenzen eines Architekten weit hinausgehen: Was leistet ein Stadtplaner? Und wie grenzen Sie Ihre Zuständigkeit gegenüber der Politik ab?

Wir sind in jedem Falle politische Berater, aber wir sind nicht diejenigen, die Politik machen, wir können immer nur versuchen, die Fachargumente – zum Beispiel eine Vernetzung von Infrastruktur, von Ressourcensparen, von nachhaltiger Stadtentwicklung – Politikern vorzutragen und in unseren Projekten beispielhaft Lösungsansätze aufzeigen.

Was planen Sie aktuell in China?

Mehrere Projekte in Schanghai vor allem. Im Augenblick planen wir eine internationale Automobilcity, eine ganz neue Satellitenstadt, die die Entwicklung und alles, was mit dem Automobil zusammenhängt, an einem Standort in Schanghai konzentrieren soll. Dazu gehört eine Wohnstadt, von der Schanghai sich gewünscht hat, dass es eine Stadt nach deutschem Vorbild, mit deutschen Standards, Qualitäten und auch mit deutschen Materialien werden soll.

In Ihrer Projektbeschreibung lese ich, dort sei eine innovative Form des Umweltschutzes beim Städtebau gewährleistet – was muss man sich darunter vorstellen?

Das heißt, dass wir eben nicht nur Städtebau machen, sondern Städtebau zu kombinieren versuchen mit der Entwicklung der städtischen Infrastruktur. Wasserversorgung, Wasserentsorgung, Energie sowie Einsatz von Solarenergie. Unsere Ingenieure haben ausgerechnet, dass wir sechzig Prozent des CO2-Ausstoßes reduzieren können und dreißig Prozent weniger Wasser verbrauchen – aber nur, wenn alle Bereiche miteinander geplant werden und organisatorisch vernetzt sind.

In China hat man noch Einfluss, weil die Städte erst im Entstehen sind. Welche Strategien wären für Städte wie Mexiko-Stadt sinnvoll?

Schanghai ist fast so groß wie Mexiko-Stadt, da gibt es keinen Unterschied. Ich kenne Mexik-Stadt allerdings nicht, daher wage ich auch keine Rezepte zu geben. Gut kenne ich Lagos in Nigeria. Das ist ja eine der schlimmsten Megacitys in der Dritten Welt. In Nigeria bemühen wir uns sehr.

Auch im Moloch namens Lagos?

Nein, aber in der neuen Hauptstadt Abujan. Dort wollen wir andere und bessere Verhältnisse entwickeln. In Lagos funktioniert nur wenig. Das Straßen- und Autobahnnetz ist inzwischen dreißig Jahre alt und geht kaputt. Gelder für Investitionen in die städtische Infrastruktur fehlen völlig. Ich glaube, das ist der Hauptgrund für den desolaten Zustand dieser Stadt – ich kenne Lagos schon seit fünfzehn, zwanzig Jahren, das war mal eine sehr schöne Stadt.

In Chinas wachsenden Städten werden Menschen verpflanzt und umgesiedelt, Sonderwirtschaftszonen aus dem Boden gestampft, Stadtviertel planiert. Ist das nicht eine völlig absurde Situation für einen verantwortungsbewussten Planer – wird man da als Architekt nicht zwangsläufig Helfershelfer des Großkapitals?

Das würde ich ganz entschieden bestreiten. Bei unseren Projekten bemühen wir uns, möglichst viel von dem, was da ist, zu erhalten. Nur – es muss auch erhaltenswert sein. Es ist eine deutsche romantische Vorstellung, dass diese alten Gebiete in Schanghai lebenswert sind.

Es gibt aber Viertel, an denen die Menschen hängen.

Und die werden ja auch erhalten, aber die überwiegende Zahl hat weder Wasserversorgung noch Stromversorgung, es gibt Gemeinschaftsklos für einen Block und Gebäudezustände, die wirklich nicht erhaltenswert sind. Was Sie da sagen, entspringt überwiegend Vorurteilen.

Was können Sie aber gegen die Macht der Investoren ausrichten, denen nur an Profit gelegen ist und denen es genügt, nur gesichtslose Häuser in die Welt zu stellen?

Das stimmt so auch nicht – da ist es ähnlich wie in Deutschland auch: Die Zeiten, da Sie gesichtslose Massenbauten produzieren und jemanden finden konnten, der da reinzieht, sind in Schanghai vorbei und in Frankfurt am Main genauso. Das heißt, auch ein Investor muss versuchen, Qualität zu produzieren.

Respektieren denn Investoren die stadtpolitischen Ziele?

Das müssen sie. Ich bin dagegen, immer die Investoren zu verteufeln. Man muss ihre Möglichkeiten einschränken, und man muss versuchen, das Ganze zu steuern. Schließlich brauchen wir sie. Denn ohne sie, das sehen Sie zurzeit in Deutschland, geschieht gar nichts.

Zweitausend Hochhäuser sind in Schanghai-Pudong allein in den vergangenen Jahren entstanden. Die Diversifizierung des optischen Erscheinungsbildes ist nicht besonders groß. Können Sie erklären, für welchen Bedarf diese Häuser gebaut wurden?

Wir übersehen immer wieder, dass Schanghai die Wirtschaftsmetropole eines Riesenlandes ist. Vor fünf bis sechs Jahren gab es dort relativ hohe Leerstände, sowohl in den Bürohochhäusern als auch in den Wohngebieten. Das ist inzwischen nicht mehr so. Die Dynamik und die Geschwindigkeit der Entwicklung ist rasant.

Für uns in Europa vielleicht kaum zu begreifen.

Und genauso wenig ist nachvollziehbar, wo das Geld herkommt, mit dem diese Sachen gebaut werden. Es ist so, dass in Schanghai diese zweitausend Hochhäuser in der ganzen Stadt entstanden sind und nicht nur in Pudong und dass die heute zu einem ganz großen Teil – ich schätze mal zu über achtzig Prozent – auch genutzt sind.

Was bedeutet im Zusammenhang mit einer Entwicklung wie in Schanghai das Betonen von Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit ist ein ungeheures Modeschlagwort, unter dem sich sehr viel und gar nichts verbirgt – auf der einen Seite. Aber wenn es andererseits wirklich gelingen würde, mit unseren Vorstellungen von vernetzter städtischer Infrastruktur, die also nicht angelegt ist auf die nächsten zehn Jahre, zu überzeugen, dann kann von man einer gewissen Nachhaltigkeit reden. Dass es eben auf die nächsten hundert Jahre ankommt. Aber von einem nachhaltigen Verhalten sind wir noch weit entfernt.

Wie könnten Megacitys lebensfähig gemacht werden?

Durch Dezentralisierung, das wäre der eine Schritt. Statt einer Riesenstadt mehrere Städte, die in sich selbst lebensfähig organisiert sind und die sich auch selbst finanzieren können. Dies geschieht in Ansätzen in Schanghai heute schon. Das Zweite ist, dass die Lebensbedingungen der Menschen auf ihr noch überschaubares Umfeld hin betrachtet werden müssen.

Das wäre auch ein Plädoyer für eine Aufteilung dieser Städte.

Ja – und der dritte Gedanke wäre der, die Umwelt immer mitzudenken. Sie wird in diesen Megacitys meiner Meinung nach viel zu wenig beachtet. Das ist die Landschaft, das sind regionale Besonderheiten. Eine Notwendigkeit nicht allein des Klimas wegen, sondern auch um Erholungsräume, landwirtschaftliche Räume, überhaupt große Flächen vor Bebauung zu schützen und zu erhalten.

CHRISTINA HABERLIK ist Journalistin, Dokumentarfilmerin und Autorin („Die Baumeister des neuen Berlin“) aus München. Sie traf Albert Speer in Frankfurt am Main