Keineswegs ausrangiert

Rein ehrenamtlich renovieren die Mitarbeiter des Kulturzentrums Osterholz-Scharmbecks einen Bahnhof: Heinrich Vogeler hatte das Gebäude vor hundert Jahren in ein Kleinod des Jugendstils verwandelt. Nun verlangt es liebevolle Zuwendung

Von außen betrachtet wirkt er wie ein gewöhnlicher Bahnhofsbau der Jahrhundertwende. Erst wer den einstigen Warteraum der 2. und 3. Klasse betritt, bemerkt die Besonderheit: Auf den in zwei verschiedenen Blautönen gestrichenen Wänden ranken sich weiße Blumenornamente. Kein Geringerer als der Worpsweder Jugendstil-Künstler Heinrich Vogeler hat 1910 das Intérieur des Haltepunkts von Osterholz-Scharmbeck gestaltet. Heute ist der still gelegte Bahnhof ein Kulturzentrum. Dort, wo einst die Passagiere auf die Abreise warteten, befindet sich sein Hauptraum.

Die Eisenbahngesellschaft hatte Vogeler vor knapp 100 Jahren den Auftrag gegeben, die Bahnhöfe der neuen Linie von Osterholz bis Bremervörde zu gestalten. Wie die Schienen verbindet eine Art frühes „Corporate Design“ die Haltepunkte Gnarrenburg, Worpswede und eben Osterholz-Scharmbeck. In Betrieb war der bis in die frühen Sechziger Jahre. Das „Kulturzentrum Kleinbahnhof“ hat dort seit 1985 seinen Sitz. Künstlerische und politische Veranstaltungen finden hier statt.

Vor gut einem Monat begannen die Mitarbeiter des Kulturzentrums, ihren Bahnhof zu renovieren. Rein ehrenamtlich. Die Bemalung hatte arg gelitten, außerdem waren bei der ersten Sanierung 1987 die Originalfarben nicht eingehalten worden.

Im ehemaligen Wartesaal der 1. Klasse, heute ein Tagungsraum, sind die Arbeiten noch in vollem Gange. Die violette Grundierung der Wände ist zwar schon fertig. Aber mühevoll müssen noch weiße Blüten aufgemalt werden. „Mit einer Schablone bringen wir die Musterung Stück für Stück an“, erläutert Kulturbahnhof-Mitarbeiter Michael Thoede. Viel Kleinkram also – und alles kann nur per Hand gemacht werden: 12 Laien helfen bei dieser mühseligen Restaurierung. Der einzige Profi: Architektin Angela Brandt, die die Ehrenamtlichen anleitet.

2.000 Euro hat die Renovierung bisher verschlungen – 25.000 Euro beträgt der von der Staft gegebene Jahres-Zuschuss. Nach anfänglichen Schwierigkeiten geht es nun auch mit dem Publikumszuspruch aufwärts: Etwa 7.000 Menschen besuchten vergangenes Jahr das Kulturzentrum. Im Bahnhof treffen sich Kleinkunstgruppen, Zauberer und Punk-Bands, aber auch Initiativen wie das Friedensbündnis Osterholz oder die Antifa.

Diese klare politische Ausrichtung machte das Kulturzentrum im letzten Jahr zu einem Ziel für Neonazis, die Scheiben einwarfen und die Wände beschmierten, wie Thoede erzählt. „Aber die sind heute verschwunden.“ Gerrit Koy