About Schmidt

Die Meta-Kabarettisten-Korrekturen: Mariam Lau schreibt die erste Harald-Schmidt-Biografie und macht sich darin an die behutsame Entzauberung dessen, wovon sie sich hat verzaubern lassen

Für Mariam Lau hat Harald Schmidt nach dem 11. September versagt

von ARNO FRANK

„Weder Charmeoffensiven noch Drohungen, weder raffinierte Tricks noch Winkelzüge wollten verfangen: Harald Schmidt gab Interviews landauf, landab; lächelte hier, laudatierte da – nur eben nicht bei mir“, bei Mariam Lau nämlich, die sich gleich auf der dritten Seite ihrer Harald-Schmidt-Biografie über Harald Schmidt beschwert. Die Renitenz des Entertainers hat es seiner Biografin nicht leicht gemacht. Der Mann schirmt sein Privatleben hermetisch ab, nicht einmal diätische Vorsätze konnten ihn erweichen. Mariam Lau: „Falls ich ihm denn mal begegnen sollte, wollte ich nicht so maßlos vor mich hinwoppeln.“

Über die Drohungen, Tricks und Winkelzüge hätte man gerne etwas mehr erfahren. Stattdessen erzählt die Autorin im Alleingang ein Leben, das sich ihr als „Aufsteigerlegende mit glücklichem Ausgang“ darstellt. Dieser „glückliche Ausgang“ ist der Olymp der „Harald Schmidt Show“: Ein sinnbereinigtes TV-Nirwana, in dem teure Sendezeit manchmal so lange geschunden wird, bis sie verhallt: „Kommt jetzt endlich die Werbung?“, fragt Schmidt dann seinen Sidekick Andrack, „Oder muss ich noch ein bisschen was erzählen?“. Zeit verplempern als Vergnügen und hohe Kunst der Unterhaltung. Es ist dieses anarchische Moment, das Lau als „erfreulich undeutsch“ erlebt, dem sie auf den Grund gehen müsse: „Ich musste ihn also einfach verehren. Und begann, ihm nachzustellen.“

Ihre durchaus kurzweiligen, manchmal ein wenig weitschweifigen Nachstellungen füllen dann über 200 Seiten: Archivmaterial, fremde Interviews und beschauliche Ortsbegehungen etwa in Nürtingen – von wo sie übrigens die Kunde bringt, dass Schmidts schwäbische Heimat keineswegs die verschnarchte Kleinstadt sei, als die der Entertainer sie notorisch diskreditiert. So leuchtet bald ein, warum Schmidt der Journalistin den Zugang verwehrt hat: Wer sich selbst erfindet, der braucht keine gut recherchierten Korrekturen.

Eben darin liegt der Reiz dieses ebenso großräumigen wie großäugigen Umkreisens der Schmidt’schen Gestalt: Kapitel für Kapitel arbeitet Lau an der behutsamen Entzauberung dessen, wovon sie sich hat verzaubern lassen. Von der studierten Theaterwissenschaftlerin Lau erfahren wir allerhand über Peymanns gefährliches Theater in Stuttgart zu Zeiten der RAF-Bedrohung („Anders als Peter Stein hat Claus Peymann kein Studium absolviert.“). Von der studierten Filmwissenschaftlerin Lau erfahren wir allerhand über Helmut Dietl und das deutsche Kino („Ach, deutsches Kino“). Und von der studierten Amerikanistin Lau wird uns in epischer Breite das US-Phänomen der Late-Night-Talks erläutert („der Trend hält an“). Streng chronologisch entfaltet sich hier ein Werdegang vom spitzzüngigen Gymnasiasten bis zum Meta-Kabarettisten – so werden, quasi über Bande, allmählich die Umrisse des Phänomens Schmidt verfertigt.

Über den Menschen Schmidt lernen wir auf diese Weise allerdings weniger als über die persönlichen Werte und Maßstäbe, die seine Biografin endlich als Kronzeugen gegen Schmidts Schaffen aufruft. Die zentrale und einzige Kritik des Buches: Schmidt hat nach dem 11. September 2001 versagt. Nicht, weil die „Harald Schmidt Show“ damals für zwei Wochen pausierte und vor dem Grauen kapitulierte, anstatt es für Ironie operabel zu machen. Sondern weil er sich nicht mit „Tränen in den Augen“ zurückmeldete, wie es in den USA sein Vorbild David Letterman tat. Der Schlittschuhläufer auf der gefrorenen Oberfläche der Dinge machte sich sozusagen vom Eis, weil es kurzfristig zu dünn war, um seine Pirouetten zu tragen. Na und?

Lau aber fordert Pathos, Tiefe, Einbruch und hätte offenbar mit ihrem Harald gerne ein bisschen geweint. Doch der trat nach seiner Pause nur „händereibend“ aus der Kulisse und machte weiter, als wäre nichts geschehen. Wo doch, wie Lau korrekt konstatiert, in der „Comedy Modelle des Deutschseins ausprobiert werden“! Und waren wir Deutschen seinerzeit nicht alle Amerikaner? Ihr Verdikt über den Sündenfall ist ebenso vehement wie endgültig: Hier habe ein Spaßvogel seine Unschuld verloren. „Quo vadis, Spaßgesellschaft?“, sekundiert prompt der Spiegel.

Es ist dieses moralisierende „bis hierher und nicht weiter“, an dem die vorliegende Lebensbeschreibung wie die allgemeine Schmidtbetrachtung krankt – weil sie von einem professionellen Zerrspiegel eine menschelnde Moral einfordert, die ihm doch fremd ist. Deshalb scheitert Mariam Lau ausgerechnet (und komischerweise) dort, wo sie die erzwungene Distanz aufgibt und ganz nah an ihr Objekt herantritt, um ihm ihr Zeugnis zu überreichen: Sie verwechselt dabei die Kunstfigur mit einem fahrlässig vermuteten „Menschen dahinter“ – wer auch immer das sein mag.

Warum nun übrigens ausgerechnet Harald Schmidt ein „zynischer Protagonist“ der „Spaßgesellschaft“ sein soll, das mögen andere ergründen. Wer im deutschen Fernsehen echten Zynikern zuschauen will, der wende sich besser an Gestalten wie Kerner, Beckmann oder Fliege.

Mariam Lau: „Harald Schmidt – EineBiografie“. Ullstein Verlag, München2003. 220 Seiten, 18 €