Juristische Entrechtung

Heiko Morisse stellt heute im Warburg-Haus seine gerade erschienene Studie „Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg – Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat“ vor

Gesetze, Erlasse, Nachordnungen: Juristisch von der NS-Regierung vorgegeben und akkurat von der Richter- und Anwaltschaft umgesetzt, wurden die jüdischen Rechtsanwälte verfolgt. Mit einem Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft begann die Regierung im April 1933, gegen die „Verjudung von Justiz und Anwaltschaft“ vorzugehen. „Am Ende standen ein umfassendes Berufsverbot“, erklärt Heiko Morisse, „die Vertreibung in das Exil und die physische Vernichtung in den Konzentrationslagern“.

Genau 70 Jahre nach dem Gesetz legt Morisse eine Studie vor, in der dieser juristische Entrechtungsprozess in Hamburg analysiert und das individuelle Schicksal der stigmatisierten Rechtsanwälte dokumentiert wird. Nach den NS-Gesetzen waren von den in der Hansestadt zugelassenen 646 Juristen über 215 Anwälte aus der Region von den Maßnahmen betroffen. Unter ihnen Herbert Pardo und Manfred Heckscher: Pardo, von 1919 bis 1931 SPD-Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, konnte noch emigrieren, Pardos Sozius wurde nach Auschwitz deportiert – zwei von über 200 Lebenswegen zwischen Emigration und Deportation, denen Morisse nachgeht.

Für die „exilierten Juden“ war eine Rückkehr ins „Land der Mörder“ nicht vorstellbar. „Wer dennoch zurückwollte“, erläutert Morisse, wurde „nicht ermutigt“. So bot Pardo 1946 dem Oberlandesgerichtspräsidenten Herbert Ruscheweyh an, beim Justizaufbau mitzuwirken. Dieser begründete seine Ablehnung damit, „dass Dr. Pardo über zehn Jahre aus unserem hiesigen Justizbetrieb heraus ist“.

Die Worte offenbarten die damalige Überzeugung, dass die „Justiz im Nationalsozialismus intakt geblieben“ sei. Die Folge: so „weit wie möglich auf den eingespielten Personalkörper zurückzugreifen“, wie Morisse betont. Deutliche Aussagen des Richters am Oberlandesgericht Hamburg zur unbewältigten Vergangenheit der Justiz. Weniger deutlich sind seine Ausführungen zur Vorgeschichte: „In der Anwaltschaft“ habe es vor 1933 „einen sichtbaren Antisemitismus kaum gegeben“. Ob der Verweis auf Urteile des Ehrengerichts oder auf die Vielzahl von Sozietäten jüdischer und nicht-jüdischer Anwälte diese Interpretation zulässt, kann heute Abend mit dem Autor diskutiert werden. Andreas Speit

heute (Gast: Prof. Dr. Steven Muller, Sohn eines der verfolgten Anwälte), 19 Uhr, Warburg-Haus, Heilwigstraße 116Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg – Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, Christians Verlag, Hamburg 2003, 192 S., 32 Euro