Was ist der Sieg im Krieg?

Pentagon-Vize Paul Wolfowitz meint: Erst wenn die Iraker in die Lage versetzt sind, ihre eigene Regierung zu bilden

aus Washington MICHAEL STRECK

Amerikanische und britische Truppen erobern einen Stadtteil nach dem anderen in Bagdad und Basra und besetzen immer mehr strategisch wichtige Positionen im Irak. Das Ende der Kampfhandlungen scheint nah. Doch ist es auch das Ende des Krieges? Wann wird und kann die US-Regierung von Sieg sprechen und Jubelparaden organisieren, wie nach dem Ende des Golfkrieges 1991? Wann und wie wird sie wissen, ob sie den Krieg tatsächlich gewonnen hat?

Die dazu in Washington vorgegebenen Zielmarken sind unterschiedlich. Präsident George W. Bush hat das Ziel des Krieges mit einem „Regimewechsel“ in Bagdad identifiziert. Saddam Hussein soll gestürzt, sein Clan entmachtet und eine demokratische Regierung installiert werden. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld forderte vergangene Woche nichts weniger als die bedingungslose Kapitulation des Irak, vergleichbar mit der Deutschlands und Japans im Zweiten Weltkrieg. Die war jedoch nur möglich, nachdem beide Länder in Schutt und Asche gelegt wurden. Ähnliche Kriegsmethoden sind für den Irak nicht geplant. Für Außenminister Colin Powell ist das persönliche Schicksal von Hussein hingegen wenig bedeutend. „Ob er am Ende lebt oder nicht, gefunden wird oder nicht, ist fast irrelevant.“

Die schweren Bombenangriffe auf Husseins Paläste, Bunker und möglichen Verstecke legen jedoch den Schluss nahe, dass US-Geheimdienste und Militärs ihn gezielt jagen. Nicht zuletzt hofften die Militärstrategen in der vergangenen Kriegsnacht erneut, ihn mit einem gezielten „Enthauptungsschlag“ zu treffen. Es ist unklar, ob er noch lebt, wo er sich aufhält. Gut möglich, dass er Bagdad längst verlassen hat und versucht, einen zähen Guerillakrieg anzuzetteln gegen die von den Amerikanern installierte Übergangsregierung.

Selbst der Tod des Diktators bedeutet nicht zwangsläufig das Ende des Krieges. Eine ausreichende Zahl seiner Getreuen ist immer noch in der Lage, einen Untergrundkampf zu führen. „Bush könnte den Sieg erklären, sobald wir den Irak vollständig kontrollieren und es kein Lebenszeichen mehr von Saddam gibt. Doch würde das einen schlechten Nachgeschmack hinterlassen“, sagt Michael Donovan vom Center for Defensive Information. Kurzfristig könnte Sieg bedeuten, das irakische Militär weitgehend auszuschalten, das Land zu stabilisieren und die dringenden humanitären Bedürfnisse zu befriedigen. Ein wesentliches Ziel von Bush, Massenvernichtungswaffen zu finden und zu zerstören, werde jedoch Monate in Anspruch nehmen.

Für einen langen Atem plädiert daher der Vordenker des Irakkrieges und Pentagonvize Paul Wolfowitz. Er verkündete am Sonntag, Sieg bedeute, wenn die Kriegskoalition die Bedingungen geschaffen habe, die dem irakischen Volk erlauben, seine eigene Regierung zu bilden. „Diese ambitionierte Agenda wird verhindern, dass Bush einen Sieg allein auf der Grundlage eines militärischen Erfolges verkündet“, sagt Militärexperte Philipp Gordon vom Brookings Institute in Washington.

Völlig offen ist gegenwärtig die Frage, wie die Iraker auf eine längerfristige Okkupationsmacht reagieren. Die Freude über die Befreiung vom Diktator ist bislang verhalten. Oftmals herrscht sogar Frustration über die schleppende humanitäre Hilfe. Parallelen zur britischen Besatzungszeit nach 1917 werden gezogen. Auch die Engländer wollten damals gern als Befreier gesehen werden, nährten jedoch nur den irakischen Patriotismus und Resentiments. Ein ähnliches Schicksal könnte auch den Amerikanern drohen. Die Folge wäre eine weitere Destabilisierung im gesamten Nahen und Mittleren Osten und somit genau das Gegenteil des von der US-Regierung erhofften und proklamierten Demokratisierungsschubs für die arabische Welt. Der Sieg über Hussein könnte sich als Pyrrhussieg erweisen.

Der Vergleich zu Israel lohnt. Obwohl die israelische Armee noch jeden Krieg gewonnen hat gegen die arabischen Feinde, befindet sich das Land weiterhin in einem Dauerkriegszustand.