„Übrig bleiben die Fundamentalisten“

Der Preis der Unabhängigkeit: Ein Gespräch mit der afghanischen Journalistin Jamila Mujahed über die Grenzen der staatlichen Medien, Bilderverbote und Frauenrechte

taz: Frau Mujahed, Sie sind als Journalistin in Afghanistan tätig. Wie beurteilen Sie die Arbeitsbedingungen?

Jamila Mujahed: In einem armen Land gehört viel Idealismus zum Journalismus. Wir möchten zwar darüber berichten, was geschieht. Aber die Sicherheit für Journalisten ist nicht gewährleistet, da wir in Afghanistan keine Staatsarmee haben. Es gibt immer noch viele bewaffnete Banden, die wie eine Barrikade gegen den Journalismus wirken.

Was lässt sich dagegen tun?

Was wir dringend brauchen, ist eine ausgebildete Armee, die uns beschützt. Außerdem fehlt es natürlich an Material, um Berichte und Themen vorbereiten zu können. Beispielsweise stehen uns keine Autos zur Verfügung, um an entlegenen Orten zu recherchieren. Die Journalisten sind zu Fuß unterwegs oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Welche Nachwirkungen hat das Bilderverbot der Talibanregierung?

Frauen sind aus dem afghanischen Fernsehen so gut wie verbannt. Sie dürfen lediglich die Nachrichten sprechen. Im Fernsehen wurde 1992 der Gesang von Frauen verboten. Das ist unter dem neuen Regierungschef Hamid Karsai so geblieben. Es gibt keine unabhängigen Beiträge und Sendungen. Im Wesentlichen werden den ganzen Tag lang Vertreter der Regierung gezeigt. Frauenpolitik hat hier sehr wenig Gewicht.

Sie geben die Zeitschrift Malalei heraus und sind Redakteurin beim Radioprogramm „Stimme der afghanischen Frau“. Was haben Sie bisher erreicht?

Mit Malalei haben wir viel Positives erreicht. Dass hier ausschließlich Frauen arbeiten, entspricht in Afghanistan schon einer kleinen Revolution. Es handelt sich um eine unabhängige Zeitschrift mit fünf Redakteurinnen, die ihre Themen sehr subtil behandeln. Wir arbeiten mit vielen Cartoons, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen.

Wie finanziert sich Malalei?

Es ist eine regierungsunabhängige Zeitschrift, die von internationalen Hilfsorganisationen, der Unesco, der EU und der USAID, unterstützt wird.

Seit dem 8. März 2003 gibt es zudem ein Radioprogramm, „Die Stimme der afghanischen Frau“. Es ist einmalig in der afghanischen Geschichte, dass ein Radiosender sich ausschließlich mit Frauenfragen beschäftigt. Auch der Sender arbeitet regierungsunabhängig. 95 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten. Aus den zahlreichen Zuschauerreaktionen schließen wir, dass unser Programm erfolgreich ist, dass es den Bedürfnissen des Publikums entspricht. Da gibt es Wünsche, dass dieser Radiosender eine Art Hauslehrerrolle übernehmen soll. Wir wollen versuchen, das aufzugreifen.

Wie geht es weiter mit den afghanischen Medien?

Aina, was so viel wie Spiegel heißt, ist eine im Juni 2001 zur Unterstützung des afghanischen Widerstandes gegen die Taliban gegründete Hilfsorganisation, die sich für die Entwicklung einer freien Presse- und Medienlandschaft einsetzt. Aina bildet seit einem Dreivierteljahr 14 Kamerafrauen in Afghanistan aus. Die haben jetzt ihren ersten langen Dokumentarfilm gedreht. „Afghanistan Unveiled“ zeigt das Leben der Menschen in verschiedenen entlegenen Provinzen. Zugleich reflektiert der Film die immensen Schwierigkeiten, die Journalistinnen haben.

Worin bestehen diese Schwierigkeiten?

Ein großes Problem ist der Fundamentalismus, der nach wie vor existiert. Die meisten unabhängigen Journalisten sehen bei den staatlichen Medien nur begrenzte Möglichkeiten, sich zu engagieren. Viele ziehen sich automatisch zurück. Übrig bleiben dann die Fundamentalisten, die allmählich wieder die Oberhand gewinnen. Die Rechte von Frauen haben da kein Gewicht. Die afghanischen Medien, vor allem das Fernsehen, sind sehr abhängig von der Politik. Wenn wir eine aufgeklärte Politik bekommen, werden wir auch ein aufgeklärtes Fernsehen bekommen. Sonst sind die Aussichten trübe.

INTERVIEW: CORNELIA FLEER