Ersticken im offenen Raum

Türen, die keinen Ausweg bieten für leblose Protagonisten: Der dänische Künstler Vilhelm Hammershøi, derzeit präsentiert in der Kunsthalle, illustrierte früh den Autismus der Moderne

von PETRA SCHELLEN

Es ist ein selbst gewähltes Gefängnis. Ein kafkaeskes Labyrinth, das nicht darauf angelegt ist, dass die Insassen den Ausgang finden. Dabei gerieren sich die Interieurs von Vilhelm Hammershøi (1864–1916), derzeit präsentiert in der Kunsthalle, zunächst als Genrebilder mit wenig Mobiliar und der damals obligatorischen, Privatheit suggerierenden Frau: Mal sitzt, mal steht, mal fegt Hammershøis Frau Ida auf den Gemälden, und nur leise fräst sich Unbehagen ins Bewusstsein des Betrachters.

Konsequente Rückenansichten bietet der immer noch kaum bekannte dänische Künstler; Türen sind zentrales Dekor seiner Räume, als wolle er den „Blick nach vorn“ karikieren: Denn was soll sich finden hinter der verheißungsvoll weißen Tür von 1888? Und wohin soll er führen, der Blick durch Türfluchten auf dem Bild Weiße Türen/Offene Türen (1905), deren Ende ein vage leuchtendes Fenster markiert?

Wie auf einer Collage hat Hammershøi die Frau in die Räume gesetzt; fern jeder Vermeer‘schen Heimeligkeit bewegen sich die Gemälde des Künstlers, den vorrangig die Linie interessierte – und das Spiel mit Symbol und Struktur: Als endloser innerer Monolog lassen sich seine Interieurs, Porträts, Akte, Stadtansichten und Landschaften lesen, von denen die Kunsthalle in einer ersten deutschen Werkschau 60 zeigt.

Ein heimlich lustvolles Spiel mit reduzierten Ingredients spielt der Künstler dabei, sortiert Bilder, Öfen und Türen immer wieder neu, tupft mal eine Vase, mal eine Terrine dazu, ohne narrativ zu werden. Das heißt – ein gewisses Eigenleben entwickeln sie schon, die gegenüberliegenden, leise kommunizierenden Türen von 1905. Überhaupt lässt sich eine gewisse Obsession in puncto Türen diagnostizieren: Zwar ist der Handlungsspielraum dieser eigenwilligen Protagonisten gering. Doch im Kreisen um Deutungsvarianten ist Hammershøi höchst einfallsreich: Nicht nur, dass die nach draußen führende Tür süffisanterweise der einzig relevante Raumschmuck ist. Auch bastelt der Künstler ständig an der Ambivalenz dieses Symbols. Und selbst die geschlossene Tür ist deutungsvariabel – denn gerade sie verspricht paradoxerweise Hoffnung. Ähnlich traktiert Hammershøi die offene Tür: Eigentlich soll sie Befreiung bieten – und führt dann gnadenlos auf die nächste geschlossene Tür zu. Nie kann sich der Betrachter des Blicktempos sicher sein, das Hammershøi zunächst anschlägt; jeder noch so dynamische Blick kann abrupt auf hartes Türholz prallen. Das dann aber so ästhetisch geweißt ist, dass man sich fragt, ob man nicht lieber ausharrte vorm Ästhetikum einer hermetischen, latent alle Möglichkeiten bietenden Welt.

Und genau das praktiziert Hammershøis Frauenfigur: Sie verharrt ständig in Türnähe, erstarrt sogar dort – aber sie geht nie durch. Ein Kunstgriff, der eine fast surreale Deutung der Türen als illusionäre Konstrukte provoziert. Und wer weiß, vielleicht hat auch Ida, im milchigen Weiß des Schlafzimmers (1896) aufgehend, als klar konturierte Person nie existiert. Womöglich ist ihr Ambiente so abstrakt wie der Bauernhof (1883), an dem nicht der konkave Winkel des Dachs interessiert, sondern die durchgehende horizontale Linie.

Auch Verbindungen zur Fotografie wurden Hammershøi immer wieder attestiert, woraus sich auch Weitwinkel-Perspektiven auf Bildern wie dem Interieur der großen Halle im Lindegården (1909) erklären. Eine Technik, die Hammershøi als fast surreales Stilmittel sehr willkommen gewesen sein muss. Und dessen Anwendung sich frappierend unterscheidet von der – in der Kunsthalle als Coda präsentierten – Genremalerei dänischer, belgischer und niederländischer Zeitgenossen. Sie alle blieben narrativ und hätten es wohl nie gewagt, den Autismus der Moderne so schonungslos in erstarrte Flächen zu bannen wie Hammershøi. Der noch dazu Ding und Mensch dreist als gleichberechtigte Statisten nutzte für die Illustration einer entseelten Welt.

Vilhelm Hammershøi; Kunsthalle, Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 29. Juni