Mit Zuspitzung wider den Teppichhandel

Die SPD-Basis bekommt ihren Sonderparteitag – soll dort aber nicht diskutieren, sondern das Reformpaket des Kanzlers nur absegnen

BERLIN taz ■ SPD-Generalsekretär Olaf Scholz gab sich gestern drastisch: Er kündigte einen Sonderparteitag der „Zuspitzung“ an. Der Parteivorstand will die Genossen zwingen, über die „Regierungsfähigkeit der SPD“ abzustimmen. Lange Diskussionen über einzelne Sozialreformen sind nicht vorgesehen – der Parteivorstand wird einen „kurzen, klaren Antrag“ einbringen, der „ein Bekenntnis“ zur Agenda 2010 verlangt. Die für Scholz typische Verknappung: „Es geht um ein Gesamtkonzept, nicht um einen Teppichhandel.“

Auf Schmusekurs-Rhetorik wurde also verzichtet; die Partei soll wissen, worum es geht: „um die Unterstützung für den Kanzler“. Jeder Widerstand, so die Botschaft, hat ungewünschte Folgen für Partei und Republik. Scholz rechnete denn auch mit einer „breiten Mehrheit“ für die Sozialreformen. Der Sonderparteitag wird am 1. Juni in Berlin stattfinden. Dauer? „Fünf bis sechs Stunden.“

Gegen eine solche Veranstaltung hatte sich die SPD-Spitze mehr als zwei Monate gewehrt; auch gestern verwies Scholz darauf, dass das Präsidium die Sozialreformen des Kanzlers einstimmig abgesegnet habe. Im 40-köpfigen Vorstand hatte es nur vier Gegenstimmen gegeben. Doch am Sonntag lenkte Parteichef Gerhard Schröder plötzlich ein – nachdem die Landesverbände Hamburg und Schleswig-Holstein einen Sonderparteitag gefordert hatten. Es war klar abzusehen, dass weitere Parteigliederungen folgen würden.

Auch wenn auf dem Sonderparteitag nur Ja und Nein zur Auswahl stehen, ganz wollte Scholz die Diskussion gestern nicht abwürgen. Er verwies erneut auf die „vier Regionalkonferenzen“, die bereits seit langem angekündigt sind. Sie finden am 28. April in Bonn, am 5. Mai in Nürnberg, am 7. Mai in Hamburg und am 21. Mai in Potsdam statt. Da dürfen die Genossen frei debattieren – gerade weil sie dort nichts entscheiden können. Insgesamt 15.000 SPD-Funktionsträger sind eingeladen – doch so strikt wird die Gästeliste nicht gehandhabt. Jeder solle mitbringen, so Scholz, „wen er will“. Fragt sich nur, ob diese Veranstaltungen auf großes Interesse stoßen. Ihre Ankündigung konnte jedenfalls nicht verhindern, dass die Basis nach einem Sonderparteitag verlangte.

Parallel läuft immer noch das „Mitgliederbegehren“, das neun linke SPDler am letzten Freitag gestartet haben. Die Initiatoren haben jetzt drei Monate Zeit, um etwa 67.000 Unterschriften zu sammeln. Denn sie müssen 10 Prozent der Genossen hinter sich versammeln, damit der Vorstand alle Parteimitglieder befragen muss, ob sie zum Beispiel gegen die Kürzung des Arbeitslosengeldes sind. Scholz hielt diese Initiative gestern „für einen schlechten Einfall“. Aber er hoffte, dass der neue Sonderparteitag „das Interesse am Mitgliederbegehren reduziert“. Zudem registrierte er mit großer Befriedigung, dass ja selbst die meisten Linken nicht unterschrieben hätten – ja, noch nicht einmal von dieser „Geheimaktion“ wussten. Scholz nannte es gestern „nicht den feinen Stil“, dass die neun Initiatoren genau bis Freitagnachmittag gewartet hatten – „bis sich fast alle aus dem politischen Berlin verabschiedet hatten, um zu Hause Wahlkampfarbeit zu machen“. Hinter vorgehaltener Hand geben aber viele Genossen zu, dass sie den Linken so viel konspirative Energie gar nicht zugetraut hätten. Schon ein starkes Stück, am Dienstag in der Fraktion zu schweigen, während Wirtschaftsminister Wolfgang Clement seine Kürzungsprogramme vorstellt – um dann drei Tage später einfach zwei Nachrichtenagenturen zu informieren. Und nicht etwa Fraktionschef Franz Müntefering. Auch der Internet-Auftritt (www.mitgliederbegehren.de) überrascht: Dank der Computerkenntnisse der Münchner Jusos ist er mustergültig organisiert. Da hatte man sich zum Beispiel langfristig eine Domain gesichert, und die Homepage bietet einfach alles, was der Basisaktivist so braucht – nicht zuletzt die fertige Unterschriftenliste oder den Kampagnentext für die Lokalzeitung. Sollte das Mitgliederbegehren erfolgreich sein, weiß Scholz allerdings schon Rat: Er würde wieder „zuspitzen“ und die Partei mit einem Alternativantrag erneut zwingen, über die „Regierungsfähigkeit der SPD“ abzustimmen.

ULRIKE HERRMANN