Die Chuck-Barris-Show

George Clooneys Regiedebüt „Confessions of a dangerous mind“ erzählt vom Leben des Chuck Barris. Der TV-Show-Produzent behauptete einst von sich, ein Killer im Auftrag der CIA gewesen zu sein

Eingestreute Mini-Interviews sollen dem Biopic Authentizität verleihen

von DOROTHEE WENNER

Die Serie der biopics reißt nicht ab. Auch George Clooney hat in seinem Regiedebüt „Confessions of a dangerous mind“ eine „wahre Geschichte“ verfilmt. Den Stoff lieferte der Porträtierte – Gameshow-Guru Chuck Barris – selbst, mit seiner 1984 erschienenen, unautorisierten Autobiografie gleichen Titels. Zweifellos eine kluge Stoffauswahl, die Clooney da getroffen hat, eine der schillerndsten Medienfiguren Amerikas zum Filmhelden zu machen. Barris ist ein Mann, der seine Schwächen und Neurosen produktiv und äußerst lukrativ in der Erfindung von TV-Formaten sublimierte, dadurch reich, berühmt und irgendwann verrückt wurde. Insofern hat dieses Leben durchaus das Potenzial, Fernsehgeschichte ohne miefige Medienkritikerattitüde auf die Leinwand zu bringen. Doch leider ist es so, dass die Hollywood-Dramaturgie von biopics häufig in Konflikt mit „realen“ Lebenswegen gerät. Dann werden die Ereignisse so weit zugespitzt, dass man sich am Ende fragt: War das alles wirklich so?

Der Film setzt 1981 ein, als Chuck Barris (Sam Rockwell) nackt, völlig fertig und runtergekommen in einem New Yorker Hotelzimmer beginnt seine Memoiren in die Schreibmaschine zu tippen. Eine Frau, die ihn offenkundig noch immer liebt, klopft an die Tür und versucht, ihn zu retten. Doch er schickt sie fort, weil eine andere Macht ihn beherrscht: Das dunkle Setting lässt vermuten, der Alkohol oder die Drogensucht hätten den Mann zerstört. Die Fährte ist nicht ganz falsch – nur dass die Sucht eine andere ist.

Barris – so hört man ihn bald über sich selbst aus dem Off sprechen – ist nämlich nicht nur ein TV-Produzent, sondern führt zudem ein Doppelleben als CIA-Killer: „Ich bin dafür verantwortlich, Fernsehkanäle mit verblödender, kindischer Unterhaltung verstopft zu haben. Außerdem habe ich 33 Menschen umgebracht.“ Wie es dazu kommen konnte, wird im weiteren Verlauf des Films chronologisch, stets mit einem Hang zum dokumentarischen Flair erzählt.

Es ist eine sehr amerikanische Geschichte, weil Barris als einer dieser genialischen Spinner von der Seite in die TV-Branche einsteigen konnte. In Deutschland wäre eine solche Karriere damals wie heute kaum vorstellbar: Hierzulande funktioniert der Betrieb ungleich ängstlicher und bürokratischer – man kopiert die Sendungen, die in den USA oder England erfolgreich laufen. Auch die Shows, um die es im Film geht und die Barris bekannt gemacht haben, erscheinen vertraut, weil man die entschärften Kopien von „Dating Game“, „The Newlywed Game“ oder „The Gong Show“ gesehen hat.

Der Film nun bietet die Gelegenheit, das reinszenierte Original zu begutachten und vor allem: eine Ahnung davon zu bekommen, wie solche Shows entstehen. Was dabei einzig und allein zählt, ist, wie sich eine in aller Regel simple Idee zur erfolgreichen Quote wandelt. Zwar suggeriert „Confessions of a dangerous mind“ an keiner Stelle, dass irgendein anderes, hehres Motiv wie etwa Bildung die Programmentscheidungen von Fernsehmachern beeinflussen würde – es war und ist ein knallhartes Kommerzgeschäft. Und doch spürt man, wie es in der US-amerikanischen TV-Welt eine gewisse Offenheit für Experimente gibt, die durch ihre Mischung aus Instinkt, Börse, Handwerk und angewandter Soziologie äußerst interessant werden. Wann immer sich der Film auf diesem Terrain bewegt und das TV-Milieu durchleuchtet, staunt man über den intelligenten Humor derer, die das mit cinematografischer Klugheit inszeniert haben. Dabei wirkt der zeitliche Abstand von zwei Dekaden wie ein zusätzlicher Scheinwerfer auf die komischen, oft absurden Mechanismen, die Fernsehunterhaltung damals wie heute am Laufen halten. Einzig die Momente zuvor, wenn es „pling“ macht – und die Ideen für neue Shows quasi figürlich Barris’ Fantasie entspringen –, bringt der Film etwas plump mit Barris' gestörtem Verhältnis zu Frauen in Verbindung. Glücklicherweise lernt Barris aber schon gleich zu Beginn des Films Penny (Drew Barrymore) kennen – und die reißt sowohl als Schauspielerin wie auch durch ihre Rolle die handgehäkelte Psychologie entzwei. Penny wandelt sich im Film – ganz Kind ihrer Zeit – von der coolen New Yorkerin zu einem San-Francisco-Hippie-Girl, das nichts anbrennen lässt, einige wirklich lustige Sätze sagen darf – und am Ende vielleicht mehr als alle anderen kapiert hat, worum es in dieser Geschichte geht.

Doch dann gibt es Film ja noch das CIA-Doppelleben: der Teil von Barris’ Biografie, der wie eine unausgegorene PR-Strategie daherkommt. Clooney selbst spielt den ultracoolen Spion, der in Barris den idealen Killer entdeckt zu haben glaubt. Doch in all den CIA-Szenen wird der Film selbst zu jener Form von gehobener Fernsehunterhaltung, die man beim Zappen schnell wieder verlässt. Wenn Julia Roberts als moderne Reinkarnation der Mata Hari die Bühne betritt, wird das mörderische Psychospiel zwischen ihr und dem Amateur-Killer Barris unfreiwillig komisch. Und am Ende glaubt man, ein Script-Doctor von altem Schrot und Korn habe darauf bestanden, dass eine Karriere wie die von Barris so enden muss, wie sie begonnen hat: nämlich als verschmähter Frauenheld.

Das ist dann der prekäre Moment, wo eklatante Zweifel am Genre der biopics wach werden und die Unsitte, mit der Kamera auf der Suche nach Wahrheit immer näher ans Gesicht der Protagonisten heranzukriechen, nur noch nervt. In sonderbarem Kontrast dazu stehen dagegen die im ganzen Film eingestreuten Mini-Interviews mit Weggefährten von Barris, deren wichtigste Funktion natürlich ist, dem Spielfilm auf geradezu entgegengesetzte Weise Authentizität zu verleihen. Einer dieser Zeugen ist Jaye P. Morgan aus dem „Gong Show“-Team. Sie sagt über Barris: „Ich weiß einige Dinge über ihn, die äußerst beunruhigend sind. Dinge, die Sie lieber nicht über ihn erfahren würden.“ Hätte sich der Film diese Aussage zum Leitmotiv gemacht, er wäre der Wahrheit von Barris’ Leben etwas näher gekommen.

„Confessions of a dangerous mind“. Regie: George Clooney. Mit Sam Rockwell, Drew Barrymore. USA 2002, 113 Min.