Die anderen Achtziger

Fernsehmythen: Vor 20 Jahren machte uns das ZDF mit „Diesen Drombuschs“ bekannt. Die Serie war Quotengarant – und melancholischer Kommentar über die letzten Jahre der alten Bundesrepublik

von CLEMENS NIEDENTHAL

Man kommt nicht umhin, die folgenden Beobachtungen mit einer Wortmeldung von Michelle Hunziker einzuleiten. Als „das Jahrzehnt, wo es immer gute Laune gab“ hat die „Superstar“-Moderatorin die Dekade der atomaren Bedrohung und der Verschwörungstheorien unlängst bezeichnet. Und mir kam unweigerlich eine Figur in den Sinn, die von guter Laune so gar nichts wissen wollte. Die von Nena und von neonfarbenen Schuhbändern so weit entfernt war wie Michelle Hunziker von einer Nominierung für den Grimme-Preis: Vera Drombusch, dauerleidendes Muttertier einer Fernsehfamilie, die den Untergang der bürgerlichen Gesellschaft mit fatalistischer Konsequenz vorleben sollte.

1983 erstmalig ausgestrahlt wurden „Diese Drombuschs“ zu einem eigenartig schwermütigen Kapitel bundesrepublikanischer Fernsehgeschichte. Erzählte die Serie doch von einer Tristesse, vor der ZDF-Zuschauer normalerweise via „Traumschiff“ in die Karibik flüchteten.

„Diese Drombuschs“ aber kannten keinen Eskapismus. „Diese Drombuschs“ warteten ein ums andere Mal knietief im Morast der eigenen Unzulänglichkeiten. Und wenn einem von ihnen doch mal die Flucht gelang, dann gleich in ihrer konsequentesten Form. Vater Siegfried – gespielt von Hans-Peter Korff, dem Onkel Heini aus „Neues aus Uhlenbusch“ – starb bereits in der 13. Folge der ersten Staffel den Herztod. Der Infarkt als mentaler, nur zweitrangig physischer Defekt. Als Sinnbild einer Familiensaga, die sich nur noch als Verfallsgeschichte lesen ließ.

So wurde Witta Pohl in der Rolle der Vera Drombusch von Folge zu Folge mehr zur Trümmerfrau. Buchstäblich, weil sich die Drombuchs mit dem Erwerb einer alten, baufälligen Mühle im Odenwald nicht nur finanziell übernommen hatten. Und sinnbildlich als Wächterin einer Familienidylle, deren Schein sich nur mehr durch aggressive Gesten der Beharrlichkeit aufrechterhalten ließ. Genau das aber ist der Stoff, aus dem deutsche Fernsehmythen geboren werden. Der aus der unverbesserlichen Inge Meysel knappe zwei Jahrzehnte zuvor die Mutter der Nation gemacht hatte.

Genauso wie „Diese Drombuschs“ stammten auch „Die Unverbesserlichen“ aus der Feder von Robert Stromberger. Und in gewissem Sinne sind die bürgerlichen „Drombuschs“ gleichsam Fortsetzung und Spiegelbild der proletarischen „Unverbesserlichen“.

Denn wo sich die Familie Scholz in den 60er-Jahren vergeblich am Aufstieg aus dem Arbeitermilieu versuchte, kämpfte die Familie Drombusch der 80er-Jahre ähnlich vergebens gegen den sozialen Abstieg. Immerhin sollte es noch für ein paar Exkursionen in die Lebensstilnischen reichen: Zur Swatch-Uhr von Tochter Marion, zum tiefer gelegten 3er-BMW von Sohn Chris.

All die bunten Popbildchen aber, als deren Addition uns Oliver Geissen und Florian Illies die 80er-Jahre verkaufen wollten, haben mit den „Drombuschs“ erstaunlich wenig gemein. Mehr dunkelgrau als bunt war dort das Leben. Keine Schweißbänder und nur selten ein Golf Cabrio. Stattdessen erlebte ein Millionenpublikum die permanente Meditation über das Scheitern jener Institution, die das „Forsthaus Falkenau“ und die Samstagabend-Unterhaltung noch heute beschwören: Nein, der Familie räumten „Diese Drombuschs“ tatsächlich keine große Zukunft mehr ein. Und man wurde das Gefühl nicht los, dass das auch als Statement zur Lage einer Nation gemeint war.

Einer Nation, deren Dilemma sich in der von Günter Strack gegebenen Figur des Onkel Ludwig manifestierte. Stracks wuchtiger Wirtschaftswunderkörper war die unpassende Hülle einer verwundeten Existenz. Einer aus der Flakhelfergeneration, der auf dem Rummel oder auf Mauritius nach Erlösung sucht und sie nirgens finden kann. Dieser Onkel Ludwig schwitzte das Unbehagen eines Landes aus, das die eigene Geschichte über 40 Jahre verdrängt hatte – und doch nicht von ihr loskam. Oder anders gesagt: Nicht nur im permanenten Verschwinden der Männer standen „Diese Drombuschs“ metaphorisch für das unmittelbare Nachkriegsdeutschland.

Für Erlösung sollte indes eine andere, größere Geschichte sorgen. Das Wendejahr 1989 wurde zum Endejahr für „Diese Drombusch“. Deutschland hatte die Vergangenheit abgehängt. Nur Vera Drombusch blieb die Trümmerfrau. Den konsternierten Blick abgewandt von der in Flammen stehenden Mühle, so sollte sie sich von ihren Zuschauern verabschieden.