Das Model und der Märchenprinz

Von Beziehungsprojekten und Ausweitungen der Kampfzone, Phantomschmerzen in Sachen Bürgerlichkeit und Emanzipationsgewinnen: Eine Woche Liebesdiskurs mit Claudia Strunz und Stefan Effenberg

von DIRK KNIPPHALS

People, they come togetherPeople, they fall apart (Moby)

29. 4. 03

Die Plakate beim Heraustreten aus der U-Bahn gesehen. Im Kopf sofort Ambivalenzen. Einerseits: Bilder, die vom glückenden Sex erzählen sollen, haben immer etwas Verdächtiges. Andererseits: Die Verbindung mit den Sprüchen ist eine geniale Idee. „Liebe kennt kein Fairplay.“ – „In der Liebe bin ich Egoist.“ Vieles an dieser Kampagne ist absehbar, das nicht. Es betont den asozialen und amoralischen Aspekt, den die Liebe eben auch hat. Mal nachschlagen, wie sich Amour fou schreibt. Ist eben nicht alles nur Beziehungsprojekt mit Weekend-Feeling und Joghurtessen im Einfamilienhaus.

Sofort erheben Zynismusvorwürfe ihr Haupt. Beziehungstaktisch gesehen ist das, na klar, eine Arschlochnummer. Letztendlich nimmt man Stefan Effenberg und Claudia Strunz die Leidenschaft auch gar nicht ab, Stichwort Kapitalisierung der Gefühle. Wer zu laut das eigene Glück in die Welt posaunt, dem glaubt man nicht! Und geht es lauter als in der Bild-Zeitung? Im Grunde genommen ist das eine Geschichte wie von Michel Houellebecq: Ausweitung der Kampfzone, Nutzung des sexuellen Kapitals.

Vorabdruck nachgelesen. Banal. Aber die Bilder haben was!

30. 4. 03

Idee: Warum den Liebesaspekt nicht ernst nehmen, sollen den Medienkritiker doch andere spielen. Es ist nämlich auch ein Liebesroman, den die Plakate und der Vorabdruck erzählen! Allerdings ein ungewöhnlicher: Das Liebespaar siegt. Müssten Madame Bovary und Anna Karenina, die tragischen Seitenspringerinnen der Weltliteratur, also heutzutage nicht mehr sterben? Markiert Effe gar einen Zivilisationsgewinn?

An einen Aufsatz des Schriftstellers Norbert Kron erinnert. Er meint, erst der Widerstand gesellschaftlicher Normen, die dem Liebeswunsch Widerstand entgegensetzen, verleihe einem Liebesroman Gewicht. Außerdem setzt er immer noch auf heroisches Scheitern: „Nur wo mit dem Leben bezahlt wird, ist Liebe groß und wahr.“ Ein Phantomschmerz in Sachen bürgerlicher Ordnung! Einen Zipfel an der Effenberg-Aufregung erwischt er aber. Man wundert sich ja, dass so etwas jetzt möglich ist, dass kein rächender Gott aufsteht und Blitze schleudert. Hilft aber alles nichts: Die Effenberg-Bilder mögen kitschig sein. So kitschig wie ein aktuelles In-Szene-Setzen des Liebestods sind sie noch lange nicht.

Wahrscheinlich ist die Kampagne allerdings einfach zu nah an Dieter Bohlen terminiert, jedenfalls ist Boulevardmüdigkeit zu konstatieren. Nicht nur bei mir. Auch abends auf der Eröffnung eines Literaturcafés. Es stellt sich heraus: Alle haben die Plakate gesehen. Der Unmut überwiegt. Ach, die Bild mal wieder! Außerdem wird das Abgezockte betont. Claudius Seidl gesehen, wie er mit einem bekannten Schriftsteller spricht. Beim Vorübergehen Seidls Frage aufgeschnappt: „Was ist das Thema?“

Danach in Prenzlauer Berg unterwegs. Überall liebevolle Paare. Trautes Sozialidyll, aber wer kann schon in die Leute hineinsehen? Zu einer Verschärfung der Kampfzone kommt es erst später in ganz anderem Zusammenhang: Die obligatorischen Unruhen zum 1. Mai beginnen. Aber dafür kann Effenberg wirklich nichts.

1. 5. 03

Entschluss zum Text. Ansatz: den Ambivalenzen im Fall Effenberg nachgehen. Erste Titelidee, acording to Fontane: Effes Biest. Wieder verworfen.

Zwecks theoretischer Unterfütterung Griff ins Regal. Niklas Luhmann: „Liebe als Passion“. Alles an der Liebe ist hier voller Ambivalenzen. Dass Liebe und Hass in der Ehe zunehmen, ist für den Bielefelder Weisen ein alter Hut. Das hätten schon die englischen Moralisten um 1700 entdeckt. Wenn Partner ihre Beziehungen intensivieren, steigt eben auch die Konfliktträchtigkeit an.

Dann so ein Hammersatz: „Die Tragik liegt nicht mehr darin, dass die Liebenden nicht zusammenkommen; sie liegt darin, dass sexuelle Beziehungen Liebe erzeugen und dass man weder nach ihr leben noch von ihr loskommen kann.“ Mögliche These von da aus: Die Effenberg-Strunz-Plakate versuchen genau den Moment zu erhaschen, in dem das Die-Liebe-Leben klappt – ein Tanz auf dem Seil (allerdings mit Proll-Ästhetik).

Noch einen Satz bei Luhmann entdeckt: Er spricht davon, „dass die moderne Gesellschaft ihre Errungenschaften nicht mehr nur als Desiderat, sondern nunmehr auch als Realität zu erfahren bekommt“. Wer Liberalisierung der Sozialverhältnisse will, muss eben auch einen Effenberg ertragen. Dass das leicht ist, behauptet selbst Luhmann nicht.

Alltagsrecherchen. Auf dem Feiertagsspaziergang Plakat aufgefallen. www.neu.de. Eine Partnerbörse im Internet. Werbespruch: „Neue Liebe – Neues Leben – Neues Glück“. Und was ist mit der alten Liebe, dem alten Leben, dem alten Unglück? Noch mit Luhmann im Kopf in Rage gedacht. Wie naiv doch der Hippiewille war, die Probleme der Welt mit mehr Liebe kurieren zu können! Eine Effenberg-Geschichte müsste also auch davon handeln, dass ein Mehr an Liebe auch ein Mehr an Problemen schafft.

Abends Bryan Ferry gehört: „Fool for Love“. Die Schlussverse: „I hear the same old lines / You played me for a fool / You really hurt my pride.“ Bryan Ferry betont das Wort pride ganz vorsichtig. Dann schluchzt die Mundharmonika mit der Gitarre im Duett.

2. 5. 03

Im Internet www.neu.de aufgerufen. Eine stinknormale Partnervermittlungs-Homepage.

Ein Kollege macht mich auf die aktuelle Ausgabe der Bunten aufmerksam. Alle People-Magazine setzen derzeit auf Geschichten über Seitensprünge. Die Bunte-Geschichte ist gar nicht mal schlecht. Sie geht den diversen Strategien der betrogenen prominenten Ehefrauen nach. Man merkt, dass der Boulevard nach Spielregeln sucht, mit dem Thema umzugehen. Derzeit ist von totaler Moralisierung bis zur unverfrorenen medialen Ausbeutung alles möglich.

3. 5. 03

Die Monatszeitschrift Merkur ist da. Die Soziologiekolumne trägt den Titel „Doing Gender“. Rainer Paris, Professor in Magdeburg, haut in die Vollen. Die soziale Ordnung sei derzeit „ganz elementar aus den Fugen geraten“. Männer und Frauen könnten nicht mehr miteinander, die Geschlechterverhältnisse seien vergiftet. In dieser Situation sehnten sich nach die Frauen nach einem „Märchenprinz“, der „Erlösung“ vom „Leiden an sich selbst“ garantiert.

Ist Effenberg die Simulation so eines Märchenprinzen für Bild-Leserinnen? Trägt aber ein bisschen dick auf, der Professor Paris.

Das Material durchgesehen. Von einem Detail dann doch gerührt. „Es war eine tolle Nacht. Die ganze Zeit starre ich die Tüte mit deinem Gesicht an. So habe ich dich wenigstens ein bisschen bei mir. Stefan.“ Die SMS, durch die alles auffliegt, Thomas Strunz entdeckt sie. Claudia Strunz ist Fotomodell, auf einer Einkaufstüte prangt ein Bild von ihr. Effenberg, der Champions-League-Held, starrt verliebt auf eine Plastiktüte! Wenn er einem das beim Bier erzählen hätte, wäre man wirklich berührt.

Konzeptionelle Überlegungen. Es geht also darum, die Elemente Boulevardkampagne, Liebessemantik, sexuelle Befreiung und Stand der Paarbeziehungen miteinander zu verknüpfen. Bloß keine Eindeutigkeit herstellen! Dafür hängt alles viel zu sehr mit allem zusammen. Außerdem sollte der Text versuchen, die Fetischisierung einer geglückten Zweierbeziehung zu skizzieren: Seht her, zu alt für den Fußball, aber auch in der Liebe (und beim Sex) auf der Gewinnerseite! Claudia Strunz bleibt mir dabei aber unklar. Auf dem einen Plakat ist sie in einer sexuellen Unterwerfungsgeste aufgenommen. Auf dem anderen wirkt sie abgezockt wie Effenberg auch. Sind sich da zwei Ebenbürtige begegnet? Und: Als Fotomodell wird sie, so sieht’s wohl aus, einen Karriereschub erleben. Ob Claudia Strunz weiß, wo bei ihr das Gefühl aufhört und das Kalkül anfängt?

Zu Thomas Strunz noch mal die Passagen aus Jonathan Franzens „Korrekturen“ nachgelesen, in denen Chip von diesem Collegeluder verlassen wird, krank vor Liebeskummer im Zimmer bleibt und am Sofa schnüffelt, auf dem SIE einmal gesessen hat. So lonely! Überhaupt: Liebeskummer. Was für ein trauriges Wort!

Harsche Kritik an dem Effenberg-Buch im „Aktuellen Sportstudio“. Die machen es sich zu einfach. Im Kopf Bausteine zu einer Metakritik der Kritik, die sich zu beliebig an zu leichten Gegnern abarbeitet. In die Tonne treten kann jeder.

4. 5. 03

In Berlin-Schöneberg auf dem Kinderspielplatz. Realitätsschock. Es geht in diesen Beziehungsdingen doch in Wirklichkeit um wichtige Probleme! Um die wichtigsten. Während Kinder vor mir auf dem Klettergerüst turnten, kurz pathetisch geworden: Es ist doch gerade die Aufgabe unserer Generation, einen Weg zu finden, der Verantwortung mit den sozialen Emanzipationsgewinnen verbindet. Die Erzählungen vom großen Verzicht, die man von den Elterngeneration hört (siehe etwa Gerhard Henschel: „Die Liebenden“), helfen da wenig. Die amoralische Volte Effenbergs hilft natürlich auch nicht.

Überhaupt das Gefühl, sich mit seinen großen kleinen wirklichen Sorgen gegen die Medienbilder stemmen zu müssen.

Dann erzählt Herr Sch. abends im Lesekreis von der aktuellen Ausgabe der Sonntags-FAZ. Claudius Seidl, bislang beinharter Ironiker, habe darin erfreulich ernst über Effenberg geschrieben. Effenberg, so die Pointe des Artikels, sei der Feind, den es zu bekämpfen gelte. Hat Claudius Seidl also doch noch sein Thema gefunden!

5. 5. 2003

Sonntags-FAZ nachgelesen. Claudius Seidl spielt die Political-Correctness-Karte. Er hat zwei gute Punkte. Was Stefan und Claudia mit Thomas machen, ist wirklich indiskutabel. Und Seidl bezieht sich auf einen Abschnitt, in dem Effenberg nur die Sohle seiner Schuhe leid tun, als er damit einen Penner aufweckt, der in seinem Vorgarten liegt. Smells nach Sozialdarwinismus.

Aber auch Seidls Text verfolgt volle Kanne einen reaktionären Impuls. Im Grunde will er, dass diese plappernden Prolls wie Verona Feldbusch, Dieter Bohlen oder eben Stefan Effenberg die Schnauze halten. Wörtlich: „Wenn das die Emanzipation der unteren Schichten ist, dann wünscht man sich ganz dringend eine Elite zurück, welche über genügend Autorität verfügte, einen wie Effenberg, wenn schon nicht zur Scham, dann wenigstens zum Schweigen zu bringen.“

Aufregung. Muss man jetzt Effenberg sogar noch verteidigen? Ach was. Aber Telefonat mit Herrn Sch. Bisher habe er die so genannten unteren Schichten doch stets gegen intellektuelle Spreizungen verteidigt. Man müsse elastisch bleiben, meint Herr Sch. Wenn unsere Intellektuellen dem Pöbel vorschreiben wollen, was er denken soll, dann geißele er das durchaus. Wenn die Prolls aber ihre Freiheit nutzen, um Mist zu bauen, dann müsse man eben das anprangern. Einigen uns auf Ambivalenz der Situation. Satz von Rainald Goetz fällt mir ein: „Der Feind meines Feindes ist auch mein Feind.“

Ein Schriftsteller bietet Beitrag zu Effenberg an: „… für Deutschland ist es typisch, sich seinen Fußball nicht zunutze machen zu können, dummes Geschwätz aber immer ernst nehmen zu wollen“. Interessante Idee, aber abgelehnt. Da muss ich jetzt selber durch.

Lauer Abend in Berlin. Wie geschaffen zum Flirten. Wer jetzt keinen Partner hat, wird sich ziemlich einsam vorkommen.

6. 5. 03

Donnerstag wird das verdammte Effenberg-Buch erst herauskommen! Irre.

Ein Luhmann-Zitat noch. Liebe ist für ihn „nicht nur eine Anomalie, sondern eine ganz normale Unwahrscheinlichkeit“. Letzte Ambivalenz. Von solchen Ironien wissen Herr Effenberg und Frau Strunz gar nichts. Aber sie fallen einem anlässlich ihrer Plakate mal wieder ein.