Abseits von eingefahrenen Wegen

Auf der Suche nach einem dauerhaften Platz besetzen Bewohner der Wagenburg Schwarzer Kanal am Wochenende kurzfristig eine Brache. Derweil engagiert sich ein Architekt für die Wanderarchitektur und findet das Wohlwollen des Innensenators

Innensenator Ehrhart Körting wünscht viel Erfolg bei den Bemühungen

von TORSTEN JOHN

Der Konflikt um die Wagenburg „Schwarzer Kanal“ kommt wieder ins Rollen: Weil die Zukunft der 13 Jahre alten Siedlung an der Michaelkirchstraße in Mitte seit einer Teilräumung in den Sternen steht, besetzten Rollheimer am Wochenende ein altes Brauereigelände in Friedrichshain für ein „Varieté for free“ unter freiem Himmel. Zudem bekommen sie überraschende Unterstützung: aus dem Deutschen Architektur Zentrum und vom Innensenator.

Die Geschichte des Schwarzen Kanal gleicht einer Irrfahrt: Nach zwölf Jahren und zähem Streit mit der Gewerkschaft Ver.di musste die rund 20-köpfige Gruppe Anfang September 2002 ihren alten Platz am Spreeufer nahe der Schillingbrücke aufgeben. Dort errichtet der Baukonzern Hochtief die neue Ver.di-Zentrale. Gleichzeitig ließ Hochtief seine Tochterfirma Alex-Bau mit dem Schwarzen Kanal einen so genannten Gebrauchsgestattungsvertrag abschließen, der den Wagenburglern ersatzweise rund 3.500 Quadratmeter an der Michaelkirch- Ecke Köpenicker Straße kostengünstig bis März 2005 überließ. Dem stimmte die Baustadträtin von Mitte, Dorthee Dubrau (Grüne), per Duldung zu.

Doch gegen das alternative Wohn- und Kulturprojekt regte sich Widerstand aus den angrenzenden Neubauten rechts und links des Wagenplatzes: Auf der einen Seite klagte das Deutsche Architektur Zentrum (DAZ), auf der anderen die Office Grundstücksverwaltungsgesellschaft gegen Land, Bezirk und Alex-Bau. Die Kläger beriefen sich vor allem auf Nachbarschaftsrechte und den bis heute umstrittenen Rechtsstatus von Wagenburgen im Allgemeinen. „Städtebaulichen Missstände“ und ein „Trading-down-Effekt“ waren die Hauptargumente: Die ängstlichen Vermieter der Büroräume fürchten, dass der Wert ihrer Immobilien durch die bunte Nachbarschaft sinken könnte. Im Oktober gab ihnen zunächst das Verwaltungsgericht, im Januar auch das Oberverwaltungsgericht zumindest teilweise Recht. So musste die Gruppe Ende April einen Teil des Grundstücks räumen, die Platzlosen nennen sich seither „Platz B“. Nur dank formaljuristischer Fehler und Unklarheiten blieb dem Schwarzen Kanal ein kleiner Part an der Michaelkirchstraße. Zum Parken zu viel, zum Leben zu wenig.

Inzwischen hat aber auch ein Team um den Berliner Architekten und aufgeschlossenen DAZ-Mieter Bernhard Strecker den Wert der Wagenburg für sich erkannt: Er hat trotz des bitteren Protests eines Teils des Architektur Zentrums ein eigenes Konzept für die Zukunft des Schwarzen Kanals vorgelegt. Architekten und Rollheimer wollen hier jetzt gemeinsam versuchen, das Alternativprojekt dauerhaft in das Neubauensemble einzubinden. So will Strecker am 19. Mai eine Ausstellung über „Wanderarchitektur“ samt Diskussionsforen am DAZ eröffnen.

In einem Brief an Strecker vom 14. April drückte sogar Innensenator Ehrhart Körting (SPD) diplomatisch verklausuliert sein Wohlwollen aus. Er sei als Exbaustadtrat „immer interessiert an Modellen, die abseits der üblichen Spur (Grundstück, Steinkasten drauf = Stadt) laufen“. Und: „Eine Gesellschaft, die den Wert von Stadtgrundstücken und damit den Lebenswert von Stadt nur noch über das Maß der baulichen Ausnutzung definieren kann, würde in Gefahr geraten, andere Möglichkeiten der Stadtentwicklung zu vernachlässigen“, schreibt der Senator und wünscht den Initiatoren „viel Erfolg“ bei ihren „Bemühungen“.

Doch dem Platzlosen „Platz B“ und dem Schwarzen Kanal reicht das nicht. Zu schlecht sind ihre bisherigen Erfahrungen mit ihrem „runden Tisch“, von dem sich Baustadträtin Dubrau zurückgezogen hat. „Sie unterstützt uns zwar prinzipiell, aber in der Praxis passiert nichts“, kritisiert Usch Jabinik vom Schwarzen Kanal. „Wir sind keine Außenseiter, haben alle Jobs, gehen zur Uni oder Schule“, erklärt Mitbewohner Michael Scheunemann. „Projekte wie unseres sind längst in Berlin akzeptiert, gehören zum Stadtbild. Allein zu unserem Platz-Varieté kommen bis zu 400 Leute pro Abend.“

So setzen die erfahrenen Aktivisten auf friedlichen Widerstand mit Kultur: Kaum hatten sie am Freitagabend mit einem guten Dutzend Lkws und Bauwagen das Brachland an der Richard-Sorge-Straße besetzt, startete auch schon ihr „Varieté for free“. Die Polizei erlaubte das wilde Open-Air im Schatten der Brauereiruine zumindest stundenweise. So konnten sich über 150 Gäste aus linksalternativer Szene und Anwohnern von den Artisten, Akrobaten, Jongleuren und Zauberern fesseln lassen.

„Wir finden das sehr gut, der Platz liegt seit ewigen Zeiten brach. Nicht mal wir Anwohner können auf die Grünfläche. Die Polizei schickt uns immer weg“, spricht Sabine Jahn für die Bewohner der angrenzenden Häuser Nummer 63 und 64. „Wir würden uns über eine Wagenburg in der Nachbarschaft sehr freuen, haben selbst einen naturwilden Garten an unserem Haus“, sagt die Malerin. Andere Anwohner haben noch mal ihre „PACE“-Fahne über den Balkon gehängt, sehen von oben auf das Spektakel. Erst gegen 23 Uhr verlassen die Letzten den Platz – die nun behelmte Polizei drängelt schon.

Unter den neugierigen Gästen war auch Olaf Rose von der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg: „Der Senat muss endlich die Beschlüsse der Großen Koalition aufheben, die Wagenburgen in der Innenstadt verhindern“, fordert der Grüne. „Momentan wird gerade die Berliner Bauordnung überarbeitet, da könnte der Senat jetzt auch harte Vorschriften zugunsten von Alternativprojekten lockermachen.“ Im Gespräch sind hier vor allem der Paragraf 34 Baugesetzbuch und die Paragrafen 2 bis 11 der Baunutzungsverordnung. Die überfällige Gesetzesnovelle des Berliner Baurechts könnte auch für alternatives Wohnen und Arbeiten im Wagen Rechtssicherheit schaffen. „Die Mehrheitsverhältnisse in Friedrichshain-Kreuzberg und im Land sind dafür im Prinzip günstig“, meint Rose. Auch mit seiner Parteikollegin Dubrau geht er kritisch ins Gericht: „Sie kann mir nicht erzählen, dass im großen Bezirk Mitte keine Flächen frei sind. Auch sie soll sich an die Parteitagsbeschlüsse erinnern, mit denen wir Wagenburgen unterstützen.“ Das gelte auch für die anderen Citybezirke. „Berlin ist ein internationales linksalternatives Zentrum. Das darf die Politik nicht vergessen.“

Damit das so bleibt, kündigen die Wagenburgler schon jetzt weitere gewaltfreie Proteste und Performances an. „Wir werden so lange regelmäßig in die Öffentlichkeit gehen, bis ein Platz für uns da ist“, kündigt Sebastian Vornhecke von „Platz B“ an. Und der sollte für bis zu 30 Wagen mindestens 3.000 Quadratmeter groß sein, innerhalb des S-Bahn-Rings liegen und vor allem genug Raum für Theater, Konzerte, Kino und Ähnliches bieten. Schließlich schmückten sich ja Bundesregierung und Senat auch gerne mal mit dem Charme der Alternativhauptstadt.