Abbau ja, aber ehrlich

Die Bundesregierung behauptet, dass die geplante Rentenbesteuerung „kleinere und mittlere“ Altersbezüge nicht treffen würde. So pauschal stimmt das aber nicht

Von Sozialabbau lässt sich nicht sprechen – Rentner gehören nicht zu densozial Schwachen

Seit mehr als 25 Jahren mühen sich Gerichte, Regierungen, Verbände und Kommissionen um eine Reform der Rentenbesteuerung, immer von neuem und bisher vergeblich. Vor einem Jahr hat dann das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung eine Frist bis 2005 gesetzt, eine neue Regelung zu finden. Wie die Rentenbesteuerung dann reformiert werden könnte, dazu hat die Rürup-Kommission kürzlich ihren Bericht abgeliefert. Angesichts der Brisanz des Themas hätte man mehr Resonanz erwartet. Doch der Irakkrieg hat den Vorschlag schnell aus den Schlagzeilen verdrängt. Zudem ist der Kommissionsbericht noch keine Gesetzesvorlage – ein Jahr lang hat die Regierung Zeit zu überlegen, welchen Ideen sie folgt. Und die Bundesregierung hat nicht an beruhigenden Worten gespart: „Kleine und mittlere Renten werden auch künftig nicht besteuert“, hieß es immer wieder.

Dieser Standardsatz wird der Wahrheit nicht ganz gerecht: Wenn es bei den Rürup-Plänen bleibt, dann werden künftig mehr Rentner als bisher angenommen belastet. Und auch die Pensionäre werden langfristig nicht ungeschoren bleiben. Dennoch wird es noch Jahrzehnte dauern, bis Alterseinkünfte gleichmäßig und gerecht besteuert werden. Dies gilt besonders für Zusatzeinkünfte. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam in dieser Woche auch der Sozialbeirat. Dieses Gremium berät die Gesetzgeber und die Regierung in Fragen der gesetzlichen Rente.

Doch zunächst zur Vorgeschichte: Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht gefordert, dass Pensionen und Renten gleich zu behandeln seien. Dies ist bisher nicht der Fall. Pensionen werden voll versteuert – bei Renten wird jedoch nur der „Ertragsanteil“ veranlagt. (Dies sind 27 Prozent der Rente, wenn der Ruhestand erst mit 65 Jahren angetreten wurde.) Mit dem „Ertragsanteil“ ist jene fiktive Summe gemeint, die entstanden wäre, wenn man die Rentenbeiträge auf dem Kapitalmarkt angelegt hätte. Nun sind jedoch auch die Arbeitgeberbeiträge sowie die Staatszuschüsse zur Rente nicht versteuert. Insgesamt könnten daher etwa 65 Prozent der aktuellen Renten der Steuer unterworfen werden.

Man hätte das bisherige System beibehalten und den steuerpflichtigen Rentenanteil entsprechend erhöhen können. Doch plädierte das Gericht indirekt dafür, schrittweise zur vollständigen „nachgelagerten“ Besteuerung überzugehen. Im Jahre 2040 würden dann die Renten zu hundert Prozent versteuert, dafür wären die Rentenbeiträge künftig vollständig steuerfrei.

Auch die Rürup-Kommission hat sich für diesen Systemwechsel ausgesprochen. Allerdings zeigte sie sich zunächst großzügig gegenüber den Rentnern: Ab 2005 sollen nur 50 Prozent der Rente der Steuer unterworfen werden und nicht 65 Prozent, was ja auch möglich gewesen wäre. Hier scheint also die Regierungsbehauptung noch zu stimmen, dass kleine und mittlere Rentner nicht belastet werden sollen.

Einen ersten Punkt, über den man streiten könnte, hat die Kommission selbst genannt – die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten der Prozentregelung. Sie klingt zunächst recht eindeutig: Wer im Jahr 2005 Rente bezieht, soll auch künftig nie zu mehr als 50 Prozent steuerlich veranlagt werden. Dies gilt für die so genannten „Neurentner“ nicht. Wer etwa 2006 in den Ruhestand wechselt, dessen Bezüge werden zu 52 Prozent veranlagt. Danach besteht aber auch für ihn Bestandsschutz; an den weiteren Prozenterhöhungen nehmen nur die „frischen“ Neurentner-Generationen teil, bis schließlich im Jahr 2040 die komplette Versteuerung der Renten erreicht ist und im Gegenzug alle Beiträge steuerfrei sind.

Soll aber der Freibetrag immer einen bestimmten Prozentsatz der aktuellen Rente betragen – also bei Rentenerhöhungen mitwachsen? Oder schreibt man einen Freibetrag in Euro per Stichtag fest, der während der Laufzeit nicht mehr steigt? Dies würde bedeuten, dass bei Rentenerhöhungen automatisch immer größere Teile der Ruhegelder zu versteuern sind. Die Rürup-Kommission hat sich ohne eine nähere Begründung für den Euro-Festbetrag entschieden. Das hieße, dass auch die mittleren Renten künftiger Hochbetagter in die Besteuerung hineinwachsen können.

Dass die Kommission die Interessen des Fiskus nicht aus dem Auge verliert, wird noch deutlicher an einem anderen Punkt, der sowohl Rentner wie Pensionäre künftig betreffen dürfte: beim „Versorgungsfreibetrag“. Pensionären steht er bis zur Höhe von 3.072 Euro zu.

Der Kommissionsvorsitzende Bert Rürup hatte vor dem Verfassungsgericht vorgeschlagen, auch den Rentnern diesen Freibetrag einzuräumen. In der Tat hat das Bundesverfassungsgericht dann gefordert, dass solche „altersspezifischen Vergünstigungen“ – da gibt es noch den Arbeitnehmerfreibetrag und den Altersentlastungsbetrag – allen Beziehern von Altersruhegeldern zugestanden werden. Die Alternative wurde auch benannt: „Oder sie müssen abgebaut werden.“ Für diese Lösung hat sich die Kommission jetzt entschieden.

Es soll keinen neuen Versorgungsfreibetrag für Rentner geben, und für die Pensionäre wird er langfristig „abgeschmolzen“. Rürups ursprünglicher Vorschlag – ein Versorgungsfreibetrag für alle Ruheständler – wird nicht einmal mehr erwähnt.

Handelt es sich also um einen „Sozialabbau“, der möglichst nicht auffallen soll? Das Schweigen der Kommission berührt schon seltsam, wird doch im Bericht sonst viel argumentativer Aufwand betrieben. Da sollte wohl niemand auf falsche Gedanken kommen.

Von „Sozialabbau“ lässt sich aber dennoch nicht sprechen, meint dieses Stichwort doch „Umverteilung von unten nach oben“ oder dass eine Sanierung auf Kosten der Schwächsten vorgenommen wird. Rentner und Pensionäre gehören jedoch meist nicht zu den sozial Schwachen. Und zugleich – und darum geht es hier – verabschieden sich momentan immer mehr Bürger aus der Steuerpflicht, indem sie Rentner werden.

Wenn es bei den Rürup-Plänen bleibt, werden künftig mehr Rentner als bisher angenommen belastet

Ein Beispiel: Ein lediger Arbeitnehmer, der etwa 16.000 Euro im Jahr verdient, muss davon über 2.000 Euro Steuern zahlen – und natürlich auch Sozialabgaben. Bekommt ein Rentner jährlich 16.000 Euro, dann ist die Steuerpflicht bisher noch lange nicht und frühestens mit Mieteinnahmen von etwa 5.000 Euro erreicht.

Im Gutachten des Sozialbeirats klingt das etwas technisch so: Es dürfe „aber nicht außer Acht gelassen werden, dass sich (bisher) eine Begünstigung der Besteuerung der Gesamteinkommen von Rentnern auch im Vergleich mit der Besteuerung von Arbeitnehmern mit gleich hohem Bruttoeinkommen ergebe“.

Es ist in Ordnung, dass Altersvergünstigungen abgeschmolzen werden, weil es der Steuergerechtigkeit dient – und es ist unvermeidlich, weil die Umstellung sonst nicht finanzierbar wäre. Aber man sollte es den Betroffenen ehrlich sagen.

KLAUS DIETER BOCK