Die Abwesenheit des Lichts

Versuch über den Selbstmord: Der japanische Film „Maboroshi – Licht der Illusion“ setzt die Trauer über den Tod und die Erinnerung der Hinterbliebenen in sparsame Bilder um

Für einen Film, der das „Licht“ immerhin im Titel trägt, ist „Maboroshi – Licht der Illusion“ ein ziemlich düsteres Werk. Alle entscheidenden Ereignisse geschehen im Dunkeln, in einer Dunkelheit allerdings, die nicht das Fehlen von Licht bedeutet, sondern den Vermischungszustand von Helligkeit und Schatten.

Es ist eine künstliche erleuchtete Nacht, als die Großmutter der jungen Yumiko über die Brücke dorthin geht, wohin ihre Enkeltochter ihr nicht mehr folgen kann. Es herrscht das fahle Licht des anbrechenden Morgens, als die erwachsene Yumiko einer anderen alten Frau, einer Fischerin, die aufs Meer hinausfahren will, zum Abschied hinterhersieht. Und das wenige Licht, das in der abschließenden Szene vom Horizont des Meeres her auf die beiden Figuren am Strand trifft, erhellt diese nicht, es löscht sie aus, so dass nur ihre Spiegelungen im Wasser sichtbar bleiben.

Dunkelheit: etwas, das man nicht fassen kann. Kein Mangel, sondern eine spürbare Abwesenheit. Es ist dieses Gefühl, das Yumiko beherrscht, die ihren Mann zu plötzlich verloren hat, als dass ihre Trauer sich an einem Gegenstand abarbeiten könnte. So wird Yumikos Trauer nicht dargestellt, aber ins Bild gesetzt: visuell im leeren Raum um die Figuren oder akustisch als der ebenso helle wie einsame Klang des Glöckchens, das alles ist, was ihr von ihrem Mann geblieben ist.

Die Geräusche, die Tonspur sind in „Maboroshi“ mit der gleichen Sorgfalt entstanden wie die Bilder. Der Selbstmord des Mannes auf den Gleisen wird auf der Tonspur vorweggenommen, wenn wir ihn auf dem Fahrrad sehen, während off screen die Eisenbahn vorbeirauscht.

In Japan sitzt man auf dem Boden und möbliert seine Räume nur spärlich. Die Kamera ruht stets auf Augenhöhe dieser Sitzenden, und die leeren Räume um die Figuren sind wie Rahmungen für ein Gemälde. Das ist ein an Ozu geschultes Auge, eine zugleich stilisierte und natürlich wirkende Kamera, die die Personen in einem Raum einfängt, in dem es um Komposition, Gleichgewicht und Kadrierung genauso geht wie um die Entfaltung einer Bewegung. Hirokazu Kore-Eda hat jahrelang als Dokumentarfilmer gearbeitet, daher sein Auge (und die Geduld) für die Verrichtungen des Alltags – etwa wie lange eine Person braucht, um einen Raum zu durchqueren oder eine Treppe zu putzen. Zusehen und Zuhören sind Vorgänge mit ihrer eigenen Dauer, sie richten sich nicht nach der Ungeduld am Schneidetisch. Manche Gesten bekommt man erst zu sehen, wenn man den Schnitt nicht zu früh anzusetzt.

Das Thema zu seinem ersten, bereits 1995 entstandenen Spielfilm hat Kore-Eda während der Dreharbeiten zu einer Dokumentation über die Witwe eines Regierungsbeamten, deren Mann sich das Leben genommen hatte, gefunden. Als er noch die gleichnamige Novelle von Teru Miyamoto entdeckte, wurde für ihn klar, dass er „Maboroshi“ drehen musste. Die Themen – die Trauer um die Toten, die Erinnerung – hat er im späteren „After Life“ wieder aufgenommen. Aber während für die Figuren in „After Life“ das Glück in der Erinnerung liegt, ist für Yumiko die Erinnerung eine Qual. Ihr Glück liegt im Vergessen und in der Erkenntnis, dass das Leben weitergeht. Ohnehin sind es die Bewegungen, die diesen nur scheinbar sehr statischen Film strukturieren. „Bereit, geh den Abhang hinauf“ sind die letzten Worte. Ein Film voller Schwermut, gewiss, aber mit der Betonung auf „Mut“. DIETMAR KAMMERER

„Maboroshi – Licht der Illusion (Maboroshi no hikari)“. Regie: Hirokazu Kore-Eda. Mit Makiko Esumi (Yumiko), Takashi Naito (Tamio), Tadanobu Asano (Ikuo). Japan 1995 (OmU), 110 min. Im fsk am Oranienplatz, Kreuzberg