Der elektronische Hilfslehrer

Mit „Schola-21“ gibt es erstmals einen Lernraum im Internet, der für alle machbar ist. Zwei Stiftungen wollen helfen, die verkannten „Lernprojekte“ zu verbreiten – und zu professionalisieren

von CHRISTIAN FÜLLER

„Projekt“, bei diesem Wort bekommt Enja Riegel eine heilige Wut. „Alles, was nicht genau in den Lehrplan passt, wird doch inzwischen Projekt genannt“, schimpft die pensionierte Rektorin der Wiesbadener Helene-Lange-Schule. „Jeder Lehrer, der seine Schüler mal ein, zwei Stunden selbstständig lernen lässt, macht heute ,ein Projekt‘.“

Dabei schätzt Riegel Lernprojekte. An der Helene-Lange-Schule sind sie das zentrale pädagogische Instrument. Drei, vier, sechs Wochen kann es dauern, dass die SchülerInnen nicht nach Lehrplan büffeln, sondern ein Theaterprojekt gestalten. Sie geben sich dann selbst ein Thema, eine Fragestellung. Und gehen ihr nach, bis ein Stück auf die Bühne gebracht ist. Im Verlauf des Projekts erkennen die Schüler, was sie nicht wissen, aber wissen müssten – und sich also aneignen sollten. Der Lehrer wird Moderator des Lernens.

Vielleicht wird die Erosion des Begriffes „Projekt“ bald gestoppt. Seit etwa einem Jahr nämlich ist für alle deutschen Schulen das Handwerkszeug für Lernprojekte im Internet zu haben. Es heißt Schola-21 und soll Projekten helfen, den roten Faden zu finden. Am Montag haben die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und die Stiftung Mercator in Berlin Bilanz gezogen. Das Ergebnis: Es gibt kaum ein Thema, das mit Schola-21 nicht machbar wäre. Der elektronische Hilfslehrer ist dabei, ein gern genutztes Arbeitsmittel für Lernprojekte zu werden.

Zum Beispiel für die „Halbstarken von Trizonesien“. So heißt das Projekt der neunten und zehnten Klassen der Gesamtschule in Kandel (Rheinland-Pfalz). Die Schüler haben sich gefragt, was Jungsein in den 50ern bedeutete. Antworten darauf haben sie nach der Methode der oral history, der erzählten Geschichte, gefunden. Die Kids forschten bei Nachbarn und Großeltern, bei ehemaligen Schülern. In einem Theaterstück brachten sie ihr „Spurenmaterial“ unter die Leute. Außerdem gab es eine Ausstellung und eine CD. Die Kandeler und ihr Berater, zu Deutsch: ihr Lehrer Ralf Haug, haben Schola benutzt, um ihr Projekt zu strukturieren und zu dokumentieren.

„In einem Lernprojekt ist noch viel Suchen, nicht alles ist schon entschieden“, berichtet Nils Kleemann von der Montessori-Schule in Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern). „Also braucht man ein Hilfsmittel, das steuert, ohne die Kreativität der Schüler einzuengen.“ Das ist das Schola-21-Programm. Es ist kein dicker Ordner oder ein Arbeitsbuch wie beim programmierten Unterricht der 70er-Jahre, der die Schüler stets zu einem festgelegten Lernziel steuerte. Schola-21 ist ein virtueller Lernraum, den die Schüler nur so weit nutzen, wie sie es wollen. Und dabei füllen sie ihn mit eigenen Inhalten – ergebnisoffen. Schola erinnert allenfalls daran, dass am Ende eine Präsentation stehen sollte. Man lernt ja nicht für sich allein.

Für Kleemanns Schüler war am Montag Präsentation. Acht- bis elfjährige Halbwüchsige erklärten den Festgästen im Berliner Museum für Kommunikation, was eine Kartenabfrage ist, wozu die Pinnwand in Schola-21 gut ist und was eine „teamail“ ist: „Man kann damit rumschimpfen, aber das machen wir nicht“, sagt einer der Kleinen über das Kommunikationsinstrument innerhalb des Programms.

Die Kinder der Montessori-Schule brauchen die Post-Funktion, denn sie kooperieren in ihrem Projekt „Rasende Reporter“ mit den Krullis, den gleichaltrigen Schülern der Karl-Krull-Schule. Die Krullis kommen auch aus Greifswald, sitzen aber in einem vier Kilometer entfernten Schulhaus. Die Distanz überwinden sie per E-Mail durchs Internet, das die kleine Elena als „einen großen Raum mit vielen Gängen und Nebenräumen“ beschreibt.

In diesem großen Raum haben Projektleiterin Sabine Schweder und die Webdesigner ein virtuelles Klassenzimmer speziell fürs Projektlernen eingerichtet. Für die Medienpädagogin war es wichtig, ein für jede Schule handhabbares Lernsystem zu entwickeln – und so den „lebendigen und verständnisintensiven Projektunterricht überall möglich zu machen“.

Wenn Schweder von Schola-21 berichtet, hört sich das gar nicht wie Schule an. „Unser Vorbild waren die Managementsysteme der Industrie“, sagt sie. Und: „Wir wollten dem Projektlernen ein Gedächtnis geben.“ So weit ist es noch nicht. 286 Projekträume haben sich deutsche Schulen in Schola-21 bislang eingerichtet. Ziemlich wenig für die potenziell unendliche Zahl an Lernzimmern, die der Schola-Zentralrechner in Frankfurt bereithält. Aber für ein Jahr ist das schon nicht schlecht.

Die gute Botschaft von Schola-21 ist, dass das Internet in der Schule zurück ist. Nach hochfliegenden, aber nicht verwirklichten Plänen diverser Initiativen zur Jahrtausendwende, alle Schulen, womöglich sogar jeden Schüler ans Internet anzustöpseln, gibt es nun einen seriösen Ansatz: Das Medium bereitzustellen – und es mit Inhalt und einer sinnvollen pädagogischen Idee zu füllen. Die Medienkompetenz, eines der inflationär gebrauchten Schlagworte der letzten Jahre, steht dabei nicht im Zentrum. Der Anspruch geht darüber hinaus. Wolfgang Edelstein, ehemals Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und heimlicher Anstifter von Schola-21, verbindet mit der Verbreitung und Professionalisierung des Projektlernens eine neue Rolle der Lehrer. Wie sie es mit dem Rohrstock Mitte des vergangenen Jahrhunderts getan haben, sollen die Pädagogen nun ihre Chefattitüde ablegen. Schluss mit dem Pauker im Lehrer. Oder, wie Kathrin Wöller, Lehrerin der Schola-Schule Karl Krull sagt: „In unserer Gruppe ist der frontale Aspekt des Lernens völlig beiseite getreten.“

Kinderkrankheiten gibt es natürlich noch. Der eine oder andere Schola-21-Surfer moniert das textlastige Programm, das man durchsteigen muss, um endlich in Chaträume und zur Datenbank vorzudringen.

Und auch alle Inhalte, etwa beim Rasenden Reporter, sind noch nicht rund. „Die Interviewten angucken und nicht unterbrechen“, hat Fine, 8, beim Praxisseminar für kleine Reporter gelernt. Falsch, Fine! Angucken, ja. Aber auf keinen Fall zu lange quatschen lassen.