Straffreiheit im Tausch gegen Waffen

Mit einer Amnestie für Tschetschenien will Russlands Regierung die Lage in der Kaukasusrepublik normalisieren

MOSKAU taz ■ Normalisierung lautet das Zauberwort, mit dem der Kreml in Tschetschenien für Frieden und Ordnung wirbt. Den Auftakt der Normalisierungskampagne bildete im März das umstrittene Referendum, in dem sich nach offiziellen Zählungen 96 Prozent der Bevölkerung für einen Verbleib im russischen Staatsverband und die Annahme einer neuen Verfassung entschieden haben sollen.

Die zweite Runde wird nun von einem Amnestiegesetz für die Kaukasusrepublik eingeleitet, das der Kremlchef gestern in drei Lesungen durch die Duma pauken lassen wollte. Gegner des Eilverfahrens, so die Kommunisten, konnten sich nicht gegen die Mehrheit der kremlnahen Parlamentarier durchsetzen.

Die Amnestie erstreckt sich auch auf Straftaten, die vor dem Ausbruch des ersten Tschetschenienkrieges 1994 begangen wurden. Rebellen, die straffrei ausgehen und ins zivile Leben zurückkehren möchten, haben bis 1. August Zeit, die Waffen niederzulegen. Ausgenommen ist, wer sich Mord, Entführung und Vergewaltigung hat zuschulden kommen lassen oder an Terroranschlägen beteiligt war. Ausländische Söldner, laut Moskauer Geheimdienstangaben meist aus arabischen Ländern, können auch nicht mit Nachsicht rechnen.

Gegner lehnten den Vorschlag mit der Begründung ab, eine „tschetschenische Amnestie“ berufe sich auf ethnische Motive und sei im Kern rassistisch. Ein Feingefühl, das russische Abgeordnete sonst eher vermissen lassen. Die Amnestie erstreckt sich auch auf Straftäter der russischen Streitkräfte vor Ort.

Realistische Schätzungen gehen von 500 Freischärlern – optimistischere von 1.500 – aus, die das Angebot wahrnehmen könnten. Was vom Kreml als ein „Akt der Humanität“ gemeint sein mag, wird sich spätestens bei der Durchführung als schwierig erweisen. Welche Instanz soll darüber befinden, wer keinen Dreck am Stecken hat? Die korrupten russischen Militärs? Oder Vertreter der Moskauer Marionettenregierung, in der sich die windigsten Elemente der Republik versammelt haben? Sie haben überdies mit den Rebellen noch eigene Rechnungen offen.

Will das Unternehmen mehr sein als ein neuer Propagandatrick, müsste eine unabhängige Kommission, der Menschenrechtler und Juristen angehören könnten, die Umsetzung der Amnestie übernehmen. Ringt sich der Kreml dazu durch, wäre sein Friedensbemühen glaubhaft. Etwa hundert Personen, darunter die politische Führung um Präsident Aslan Maschadow und mehrere bekannte Feldkommandeure, sind von der Amnestie ausgenommen, was die Aussichten auf Stabilität wiederum verschlechtert.

Als weiteren Schritt zur Normalisierung erwähnte der Tschetschenienbeauftragte des Kreml, Sergei Jastrschembski, gegenüber der Financial Times das Projekt eines neuen Vertrages zwischen dem Zentrum und Tschetschenien, der für die Republik eine weiter reichende Autonomie als geplant vorsieht. An der Diskussion sollen auch Vertreter der ehemaligen Verwaltung Maschadows beteiligt sein, schrieb das britische Blatt. Der Kreml gibt sich bedeckt. Darüber sei nichts bekannt, hieß es auf Anfrage der taz. Dennoch: Wo Rauch aufsteigt, ist auch Feuer, so ein russisches Sprichwort.

KLAUS-HELGE DONATH