„Dickes B gäb‘s nicht ohne Yaam“

Pierre Baigorry

„Dass wir gute Laune verbreiten, damit habe ich kein Problem. Aber wir versuchen bewusst, bestimmte Klischees zu vermeiden“

Beim Fototermin im Treptower Yaam-Club, da, wo die Reggae-Szene der Stadt an sonnigen Tagen am Ufer der Spree chillt, kommen ein paar Basketbälle dribbelnde Kids vorbei: „Bist du berühmt?“, fragt einer. „Klar“, antwortet Pierre Baigorry alias ENUFF. „Wer bist du denn?“ – „Irgendwer“, antwortet Baigorry – Visionär, Sänger und Vorsteher der Offbeat-Eingreiftruppe Seeed. In einer elfköpfigen Band kann man sich gut verstecken, auch wenn die sich mit Reggae, Dancehall, Dub und legendären Live-Auftritten eine treue Fangemeinde erspielt, zwei Echos gewonnen und Berlin mit „Dickes B“ die Hymne des Sommers 2001 beschert hat. Anfang Juni erscheint ihr zweites Album „Music Monks“.

Interview THOMAS WINKLER

taz: Pierre, wann warst du das letzte Mal hier im Yaam?

Pierre Baigorry: Weiß ich gar nicht mehr. Irgendwann letztes Jahr.

7.000 Menschen wissen es noch: Im September seid ihr hier vor einer vollen Arena aufgetreten.

Ach ja. Hatte ich fast vergessen. (lacht)

Das Konzert war eine große Homecoming-Party, als würde die Stadt ihre Söhne begrüßen, die es in der weiten Welt zu etwas gebracht haben.

Naja. Ein großer Teil des Publikums kam gar nicht aus Berlin. Später haben wir von Bekannten zu hören bekommen, sie seien nicht reingekommen. Irgendwelche Leute aus Wessiland hatten sich schon drei Monate vorher im Internet Karten bestellt. Aber der Berliner meint ja, er geht abends mal kurz gucken und kommt dann schon rein.

Hattet ihr selbst auch das Gefühl, ihr kommt nach Hause?

Wir neigen prinzipiell nicht dazu, uns vor Konzerten einzuscheißen. Wir wissen, wir sind eine gute Liveband. Außerdem hatten wir nie ein gebrochenes Verhältnis zu Berlin. Viele anderen Bands treten nicht gerne in ihrer Heimatstadt auf, weil die alten Kumpels so kritisch sind. Uns ging’s da immer anders: Wir haben das Gefühl, hier besonders wohlwollend und nicht allzu kritisch beäugt zu werden. Das macht natürlich stolz, weil es zeigt, dass sich die Leute hier mit uns identifizieren.

Seid ihr denn noch regelmäßig im Yaam?

Ja klar, jetzt wo es wieder warm wird.

Was bedeutet das Yaam für dich?

Ich bin zwar gern unter Leuten, aber um ehrlich zu sein: In Clubs abzuhängen, in denen es erst um ein Uhr nachts los geht, nervt mich zusehends. Ich werde da selten alt. Hier im Yaam hat man im Sommer alles: Es ist voll, es gibt schöne Frauen und Alkohol und laute Musik, und das tagsüber und im Freien.

Weckt der Ort spezielle Erinnerungen?

Ich habe hier schöne Tage erlebt, aber es gibt nicht diesen speziellen Moment, an den ich mich mein Leben lang zurückerinnern werde. Ich bin einfach gerne hier.

Gab es denn wenigstens ein Basketball-Team von Seeed, das bei Yaam-Turnieren angetreten ist?

Ne, ne, ne, ich kann überhaupt nicht Basketball spielen. Die meisten von uns sind eher unsportlich. Wenn überhaupt, dann spielen wir Fußball.

Gäbe es Seeed ohne das Yaam? Das Benefizkonzert für den Klub 1998 ist als Gründungslegende in eure Biografie eingegangen.

Das war ausgerechnet nicht hier, sondern auf der Insel der Jugend. Aber es stimmt: Der Auftritt war wichtig für uns. Wir haben auch einen Song übers Yaam gemacht. Aber zu sagen, es würde uns nicht geben ohne das Yaam, das kommt mir nur schwer über die Lippen. Das Yaam war prinzipiell wichtig für die Entwicklung der Reggae-Szene der Stadt, weil es einer der ersten Orte war, an dem DJs vor großem Publikum Reggae, Dancehall und Dub gespielt haben. Ich selbst habe hier mal aufgelegt.

Also doch.

Kann schon sein, dass es uns nicht geben würde ohne das Yaam, aber es ist doch so: Die ganze Stadt wäre anders ohne das Yaam. So wie die Stadt auch anders wäre ohne das Tacheles. Eine Stadt braucht solche Orte, die ein bisschen verranzt sind, die billig sind, wo man 2,50 und nicht 10 Mark zahlt für einen Drink. Wo man nicht endmäßig aufgestylt sein muss, um dazuzugehören. Das zeichnet Berlin auch aus, dass es im Vergleich zu anderen Großstädten noch mehr solcher Orte gibt, die dann wieder zurück auf die ganze Stadt wirken. So entsteht ein Lebensgefühl, das dann weitertransportiert wird.

So kam Reggae über Berlin?

Jein. Es gab mehrere Orte, nicht nur das Yaam. Aber es waren nur sehr wenige DJs, die Reggae aufgelegt haben in Clubs und Bars wie Acud, Tanzbar, Escobar und eben Yaam. Ende der 90er schien es, als hätte die Stadt auf die Musik gewartet.

War die Reggae-Szene die erste Subkultur, in der sich tatsächlich ganz Berlin gefunden hat? Davor, vor allem im HipHop, gab es immer feste Grenzen zwischen Ost und West.

Wahr ist auf jeden Fall, dass das Yaam der größte dieser Orte war und hier alle zusammenkamen. Allerdings würde ich sagen, dass sich der Kern der Reggae-Szene eher aus Westberlinern rekrutiert hat.

Über Berlin hinaus bekannt geworden seid ihr schließlich mit „Dickes B“, einer Hymne an die Stadt. Gleich im ersten Song eures neuen Albums heißt es: „Wieder bringt Berlin die Lieder, wenn ihr bereit seid“. Ist Berlin nun endgültig eine Reggae-Stadt?

Solche Songs sind eher Teil der Competition-Kultur. Da geht es um uns, darum, dass wir die Größten sind. Man macht einen auf dicke Hose. Das über die Stadt aufzuziehen ist etwas eleganter.

Mit eurer ethnischen Vielfalt innerhalb der Band repräsentiert ihr auch Berlin. Sind Seeed ein soziales Experiment?

(hähähä) Ne. Die Leute machen da immer ein Ei draus. Wir sind alle Berliner, der eine hatte halt einen afrikanischen Vater, der andere einen aus der Schweiz, meine Mutter ist Französin. Berlin ist eine Großstadt, und im Jahr 2003 leben hier nun mal alle zusammen, ob gelb, grün, rot oder blau. Das mag nicht einfach sein, aber es ist nichts Besonderes mehr.

Könnt ihr schon von Seeed leben?

Nein, nicht alle. Ich kann von Seeed leben, die meisten aber haben ja noch andere Projekte. Momentan geht zwar keiner von uns nebenbei noch ackern, aber bis vor kurzem war das noch so.

Hättest du dir träumen lassen, dass man eine elfköpfige Band in die Gewinnzone bringen kann?

Ich habe wohl einfach nicht drüber nachgedacht. Sonst hätte man es wohl von vornherein sein lassen können. Wenn irgendwer gesagt hätte, ich sei wahnsinnig, einen solchen Apparat auf die Bühne zu stellen, wäre mir das auch egal gewesen. Genau darum ging es ja: mit elf Leuten auf die Bühne zu gehen. Wenn man ernsthaft Musik machen will, wenn man wirklich Musik um der Musik willen machen will, dann fragt man sich nun mal nicht, ob sich das trägt oder nicht.

Wolltest du mal was anderes als Musik machen?

Ich habe Anglistik und Sonderpädogogik studiert. Ich wäre dann Englischlehrer für Blinde und geistig Behinderte geworden. Aber das habe ich abgebrochen, als ich mich entscheiden musste, ob ich Reggae-Star werde oder Lehrer.

Wie ist das Gefühl, Erfolg zu haben gegen alle Wahrscheinlichkeiten?

Manchmal freut man sich einfach, dass man von etwas leben kann, was einem Spaß macht.

Und die Schattenseiten?

In letzter Zeit wird mir immer wieder deutlich: Man kann noch so viel Wert auf Details legen, sich bemühen, dass Artwork und Erscheinung im Fernsehen oder auf der Bühne stimmig mit der Musik sind, schlussendlich scheint es den Leuten egal zu sein. Momentan läuft in Süddeutschland und Österreich ein Reggae-Stück namens „Ab in den Süden“ im Radio, und wir bekommen jetzt oft Anfragen, ob das von uns sei. Das lässt mich wirklich an den Fans und an diesem ganzen Geschäft zweifeln, denn die Nummer ist so doof, dass ich mich erschießen würde, wenn die von mir wäre. Wer nicht hört, dass das nicht von uns ist, der hat was an den Ohren.

„Ende der 90er gab es nur sehr wenige DJs, die Reggae aufgelegt haben. Aber es schien, als hätte die Stadt auf die Musik gewartet“

Die meisten eurer Fans halten euch also für eine Sunshine-Reggae-Kapelle, die an einem schönen Sommertag für gute Laune sorgt?

Das will ich nicht hoffen. Dass wir gute Laune verbreiten, damit habe ich kein Problem. Aber wir versuchen bewusst, bestimmte Klischees zu vermeiden: Wir tragen keine rot-gelb-grünen Klamotten, wir haben keine Dreadlocks, jedenfalls nicht alle.

Bestimmst du dieses Image? Bist du ein Banddiktator?

Ja, teilweise schon.

Hast du das letzte Wort?

Immer.

Gibt das manchmal Ärger?

Ja. (lacht) Aber solange es gut läuft, ist das kein Problem. Außerdem sind wir alle nicht mehr 18, und jedem ist klar, dass man zu elft nicht alles basisdemokratisch regeln kann. So eine große Band ist wie ein schwerfälliger Kahn, den man nur schwer auf Kurs bringt. Das funktioniert nur, wenn am Ende einer das Sagen habe. Ich bin eben der, der Dampf macht, wenn man sich verzettelt hat. Aber: Wenn am Ende ein Produkt steht, das elf Leute gut finden, dann ist schließlich die Chance nicht so schlecht, dass es auch tausend gut finden.

Ist die Legitimation die, dass die Band deine Vision war?

Wenn ich nicht gewesen wäre, dann wäre die Idee vielleicht versandet, aber andererseits stehe ich nicht so im Mittelpunkt, wie es bei anderen Bands der Fall ist. Bei elf Leuten kann man sich ganz gut verstecken.

Die Medien neigen trotzdem dazu, sich auf das Aushängeschild zu kaprizieren.

Klar kommen viele Anfragen, man wolle mit dem sprechen, der da die deutschen Texte singt. Dabei würde ich am liebsten gar nicht mehr auf Deutsch singen.

Aber gerade, dass ihr bewiesen habt, dass Deutsch reggaetauglich ist, macht euch außergewöhnlich.

Das ist mir völlig klar. Das ist ein großer Teil unseres Erfolgsrezepts, auch wenn es kein geplantes Rezept war. Aber wir sehen uns als Band, die auch in Richtung Ausland gehen will.