Das Prinzip Champagner

Michela Wrongs Darstellung des Zaire unter dem Diktator Joseph-Désiré Mobutu darf als Warnung davor gelesen werden, was dem Kongo erneut blühen könnte, falls der Krieg zu Ende geht. Denn die Kleptokratie gedeiht besonders gut in Friedenszeiten

von DOMINIC JOHNSON

An den Abend des 6. April 1994 erinnert sich Michela Wrong genau. Als in Ruanda der Völkermord begann, saß die britische Journalistin in einer Villa in Zaires Hauptstadt Kinshasa und ließ sich vom Chef der Zollbehörde mit Champagner Rosé bewirten. Auf dem Balkon des noch unfertigen Baus riss der „Babydinosaurier“, wie man Emporkömmlinge im Reiche Mobutus nannte, seinen Gästen immer wieder die Gläser weg und schüttete den Sekt über die Brüstung in die Nacht, um neu einzuschenken und zu rufen: „Sie konnten das doch nicht mehr trinken, es perlte ja gar nicht mehr.“ Plötzlich wurde er zum Telefon gerufen und erfuhr: In Ruanda war ein Flugzeug mit den Präsidenten Ruandas und Burundis abgeschossen worden – der Startschuss zum Völkermord. Mobutu, der eigentlich in der gleichen Maschine hätte sitzen sollen, hatte in letzter Minute seine Pläne geändert. Wrong erinnert sich an die Wirkung dieser Nachricht: „Unbeantwortete Fragen murmelnd, löste sich die Gesellschaft auf.“

Der schlecht gespielte Schein eines Luxuslebens, in dem hin und wieder die Wirklichkeit aufblitzt – das war das Zaire Joseph-Désiré Mobutus, 32 Jahre lang Herrscher über eines der reichsten Länder der Welt, das bei Mobutus Abgang eines der ärmsten war. Es war ein Herrschaftssystem, in dem statt einer Ideologie einfach der Appell an die niedersten Instinkte die Politik zusammenhielt. Vielen Kongolesen, die man nach ihren Erinnerungen an die Mobutu-Ära fragt, fällt als Erstes die délation ein – die Verleumdung. Im Staat, der den Begriff der „Kleptokratie“, des Diebstahls als Herrschaftsprinzip prägte, konnte nur derjenige aufsteigen, der seine Freunde verriet, sein Umfeld betrog und seine Kollegen anschwärzte. Angefangen mit Mobutu selbst, der einst an der Seite des Befreiungshelden Lumumba stand, diesen dann ermorden ließ und ihm später ein Denkmal setzte.

In ihrer Darstellung des Prinzips Mobutu geht Michela Wrong, die jahrelang aus dem Kongo für Reuters und BBC berichtete, auf die verheerenden psychischen Wirkungen dieses Systems nur am Rande ein. Sie schildert vor allem die grotesken Auswüchse: das Zugrunderichten des Bergbaus, um dem privaten Schmuggel möglichst große Entfaltungsmöglichkeiten zu gewähren; die Selbstdarstellung des Staates als Selbstbedienungsladen, in dem der Gerissenste gewinnt; die Überlebensmechanismen im Elend; und die seltsamen Blüten, die der Kult des Vorgetäuschten beispielsweise im Modebewusstsein der Jugend trieb.

In Mobutus Zaire war der Schein alles. Die Vollendung des Mobutismus wäre ein Champagner Rosé gewesen, der immer während perlt. Noch in Gbadolite, seiner Urwaldhauptstadt aus leeren Palästen und Plantagen, wollte Mobutu sich und anderen weismachen, nicht er sei schlecht, sondern alle um ihn herum würden ihn und auch sich gegenseitig betrügen, belügen und bestehlen.

Aber das Wetterleuchten der Wirklichkeit holte ihn schließlich ein. Aus den Blitzen von Realität wurde mit den Kriegen, die seinen Sturz herbeiführten, ein bis heute anhaltendes Gewitter. Im Kongokrieg gibt es statt eines Mobutu deren unzählige. Jetzt, wo die Warlords sich anschicken, gemeinsam in Kinshasa eine Regierung zu bilden, fürchten manche Kongolesen die Rückkehr des Mobutismus in neuer Form – nicht als Herrschaft einer Person, sondern als Wiederkehr eines Prinzips, zwar ohne zentrale Figur, aber gerade deshalb für einfache Menschen noch undurchschaubarer und unberechenbarer als vorher.

Wrongs Buch erschien vor drei Jahren auf Englisch. Dennoch ist die deutsche Ausgabe, mit einem neuen Vorwort versehen, heute aktueller denn je. Man sollte sie als Warnung lesen vor dem, was dem Kongo im Fall des Erfolgs des Friedensprozesses droht. Denn der blutigste Krieg der Welt seit dem Zweiten Weltkrieg, mit über 3 Millionen direkten und indirekten Opfern, hat das Leben fast aller Kongolesen auf nackten Überlebenskampf reduziert. Sollte jetzt ein wenig Frieden am kongolesischen Horizont auftauchen, werden viele am Schein der Normalität basteln und hoffen, dass die fortdauernden Blitze von Massakern im Osten des Landes das Bild nicht zu sehr stören. Auch der Verzehr von Champagner Rosé steigert schließlich das Bruttosozialprodukt. „Wenn es regnet“, zitiert Wrong ein kongolesisches Sprichwort, „kann man sich unbekümmert in die Hose pinkeln.“

Michela Wrong: „Auf den Spuren von Mr. Kurtz. Mobutus Aufstieg und Kongos Fall“. Aus dem Englischen von Norbert Hofmann, mit neuem Vorwort. Tiamat Verlag Berlin, 334 Seiten, 19 €