Lukratives Treibgut


Die Küstenwache ist nicht in der Lage, den Abschnitt mit seinen vielen Buchten und Inseln zu kontrollieren

aus Santiago de Cuba KNUT HENKEL

Enrique Muñoz kennt sich aus in den Gewässern vor der Küste Kubas. Der kleingewachsene Seemann mit dem grauen Vollbart war viel unterwegs im Karibischen Meer und darüber hinaus. Derzeit arbeitet er im Hafen von Santiago de Cuba und muss froh sein, einen Job an Land bekommen zu haben. Die kubanische Handelsschifffahrt steckt seit einigen Jahren in der Krise, und Seeleute sind nicht mehr gefragt.

Ruhig geht es im Hafen zu. Nur einige Fischerboote sind eingelaufen und das Schnellboot der Küstenwache. Das liegt an einem der verwaisten Kais. Zwei Grenzschützer schrubben das Deck, ein weiterer fettet das schwere Maschinengewehr im vorderen Geschützturm – Routine nach einer Patrouillenfahrt in der Windward Passage. „Die Passage ist eine der beliebten Routen der Drogenschmuggler“, erklärt Enrique.

Von Jamaika werden Pakete mit Marihuana, von Kolumbien Ballen mit Kokain in Richtung USA geschmuggelt. Kuba liegt auf der Route der Schmuggler, die sowohl die kubanischen Gewässer als auch den Luftraum der Insel nutzen. Kleine Flugzeuge, die in geringer Höhe fliegen, um von den Radars nicht erfasst zu werden, werfen die so genannten bultos über dem Meer ab. Dort warten Kuriere in Schnellbooten, die die wasserdicht verpackten Kokain- oder Marihuanapakete bergen. Zumeist übergeben sie die heiße Ware an Matrosen oder auch Kapitäne von Handelschiffen, die sie weiter in die USA transportieren und so ihre Heuer aufbessern.

Aufgabe der kubanischen Patrouillen ist es, das illegale Treiben zu unterbinden. Doch das ist alles andere als einfach. Die Schmuggler sind wesentlich besser ausgerüstet als die Küstenwache mit ihren dreißig Jahre alten sowjetischen Schnellbooten. „28 Knoten laufen die im besten Fall, die Speed Boats der Schmuggler bringen es fast auf das Doppelte“, sagt Enrique und fährt sich durch den sorgfältig gestutzten Bart.

Enrique bezieht seine Informationen direkt von den Grenzschützern, den Tropas Guarda Fronteras. Wenn das Patrouillenboot wegen Spritmangels im Hafen festliegt, vertreiben sich die Grenzschützer die Zeit mit einem Plausch. 4,5 Tonnen Drogen wurden von Küstenwache, Polizei und Militär zwischen Januar und Oktober letzten Jahres sichergestellt, so die Granma, das Organ der kommunistischen Partei, in einem Leitartikel vom 10. Januar.

Doch die Quote ist rückläufig. Während im Jahre 2000 noch 3,1 Tonnen Kokain und 8,8 Tonnen Marihuana beschlagnahmt wurden, waren es 2001 nur noch 1,2 Tonnen Kokain und 6 Tonnen Marihuana. Dies liegt nicht allein an der unzureichenden Ausrüstung des kubanischen Grenzschutzes, dem moderne Radargeräte, Kommunikationsmittel und Schnellboote fehlen, sondern auch daran, dass die Bevölkerung immer weniger angeschwemmte Drogenpakete bei den regionalen Polizei und Militärstationen abliefert. Längst haben „skrupellose Elemente“ (Granma) begonnen, einen schwunghaften Handel mit Marihuana und Kokain zu betreiben. „Leute, die professionell Ausschau nach im Wasser treibenden Paketen halten, gibt es genauso wie Kubaner, die den Stoff ankaufen und ihn in der Hauptstadt und den Touristenregionen der Insel anbieten“, erklärt Enrique. Für rund tausend US-Dollar wird das Kilo Kokain im Osten der Insel angekauft. In Havanna kostet das Gramm hingegen zwischen zehn und dreißig US-Dollar – eine verlockende Gewinnspanne.

Doch es sind beileibe nicht nur die Touristen, die in Kuba Marihuana oder Kokain konsumieren, wie von den kubanischen Offiziellen lange behauptet. Immer öfter werden zumeist jugendliche Kubaner mit Abhängigkeitssymptomen in die Kliniken des Landes eingewiesen, so Elsa Gutiérrez. Die Direktorin einer Spezialklinik für Heranwachsende in Havanna hatte im letzten Jahr drei Fälle zu betreuen, und sie mahnt, das neue Phänomen ernst zu nehmen. Kleine Mengen an Drogen, vor allem Marihuana, sind in Kuba immer wieder aufgetaucht, aber in den letzten Jahren ist das Angebot stabiler geworden und hat sich auf Kokain ausgeweitet. Dealer, die sich auffällig unauffällig an die Nase fassen, kann man am Prado in der Altstadt, am Malecón und vor allem nachts in den Diskotheken antreffen.

Die Gründe dafür sind laut Granma, die zum „Kampf bis zum Tod“ gegen den Drogenhandel aufrief, in der Öffnung der Wirtschaft zu suchen. Die Zulassung des US-Dollars als offizielle Zweitwährung und der zunehmende internationale Tourismus haben zum Entstehen eines Marktes für Drogen beigetragen. Razzien in mehreren Stadtvierteln Havannas haben dies in den letzten Wochen bestätigt. Kokain wurde mehrfach gefunden, so zum Beispiel enthielten die Eier im Kühlschrank einer Wohnung im Zentrum Havannas nicht Eidotter, sondern nahezu reines Kokain.

Mit Hausdurchsuchungen und hohen Strafen versucht die Regierung abzuschrecken. Häuser, in denen Drogen konsumiert oder gefunden werden, können laut dem am 21. Januar unterzeichneten neuen Gesetz Nr. 232 genauso konfisziert werden wie Gebäude, in denen illegale Diskotheken und Videotheken betrieben werden oder der Prostitution nachgegangen wird.

Und das Strafmaß für Drogendelikte wird rigeros ausgeschöpft. So hatte es Generalstaatanwalt Juan Ecalona angekündigt, und schon Mitte Februar folgten die ersten Urteile. Der kolumbianische Drogenschmuggler Rafael Miguel Bustamente Bolaños, der von Kuba aus mit Drogen gehandelt hatte, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, seine beiden Spießgesellen, ein Kolumbianer und ein Staatbürger der Bahamas, zu 23 beziehungsweise 25 Jahren.

Die Verfolgung der Drogenhändler ist die eine Seite, die Betreuung der ersten Abhängigen die andere. Auf die ist das kubanische Gesundheitssystem nur partiell eingestellt. In Kuba gibt es bisher nur einige wenige Spezialisten mit Erfahrung in der Drogentherapie. Die arbeiten jedoch in den internationalen Gesundheitszentren, die den zahlungskräftigen Touristen, wie Argentiniens Exfussballstar Diego Armando Maradona, vorbehalten sind; Maradona checkte im Januar 2000 im Internationalen Klinikum La Pradera ein, um sich von seiner Kokainabhängigkeit kurieren zu lassen.

Für 1.000 Dollar wird das Kilo Kokain im Osten der Insel angekauft, in Havanna kostet das Gramm 30 Dollar

Oberstes Ziel der Kubaner ist es, vorerst den Nachschub an Betäubungsmittel zu unterbinden. Das Gros wird in dem Küstenstreifen zwischen Guantánamo und Camagüey angeschwemmt. Immer dann wenn die Kuriere die Drogenballen nicht erwischen oder sie auf der Flucht vor der Küstenwache zurück ins Meer kippen, landen sie durch die Strömung in diesem Küstenabschnitt.

Die Küstenwache ist nicht in der Lage, den Küstenabschnitt mit seinen vielen Buchten und der Vielzahl von zumeist unbewohnten Inseln effektiv zu kontrollieren. Das gibt auch der kubanische Chef der Antidrogenbehörde, Leutnant Olivero Montalvo Álvarez, unumwunden zu. Montalvo, der relativ regelmäßig mit Kollegen aus den Vereinigten Staaten zusammentrifft, wirbt für eine engere Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern.

Die mahnt auch der ehemalige „Drogenzar“ der Regierung von Bill Clinton, General Barry McCaffrey, an. Mehrfach hat er Kuba besucht und sich von der Ernsthaftigkeit der kubanischen Bemühungen überzeugt. McCaffrey hat sich in den letzten Jahren dafür eingesetzt, den Informationsaustausch zwischen der Küstenwache beider Länder zu intensivieren. Er hat vorgeschlagen, die Tropas Guarda Frontera materiell zu unterstützen und ein offizielles Antidrogenabkommen zu schließen. Doch dagegen laufen die exilkubanischen Abgeordneten im US-Kongress Sturm. Für Ileana Ros-Lethien, kubanischstämmige Kongressabgeordnete aus Florida, wäre ein Drogenkooperationsabkommen der erste Schritt zur Aufhebung des US-Handelsembargos.

So scheiterte McCaffrey mit seinem pragmatischen Vorschlag. Deshalb bleibt es bei der punktuellen Zusammenarbeit der beiden Küstenwachen. Erfolge wie die gemeinsame Beschlagnahme von sieben Tonnen Kokain an Bord des Handelsschiffes „Limerick“ im Jahre 1996 sind die Ausnahme.

Für den kubanischen Grenzschutz bedeutet die neue Kampagne der Regierung vor allem mehr Arbeit. Auch das Schnellboot im Hafen von Santiago de Cuba soll nun öfter auslaufen. Und auch für Enrique hat sich etwas geändert. Die Kontrolle am großen Tor zum Hafen ist schärfer geworden. Aus dem kurzen Blick in den zerschlissenen Rucksack Enriques ist ein detaillierter Check geworden – man weiß ja nie.