Die Zeit ist auf ihrer Seite

Sehr deutliches Gegengewicht zur seichten Liebeskummerlyrik des Latin-Pop: Mit der mexikanischen Band Maná ist die erfolgreichste Vertreterin der „Rock en Español“-Bewegung auf Deutschland-Tour

von DANIEL BAX

Damit hatte niemand gerechnet. Als vor genau einem Jahr Maná einen Club-Gig in Berlin geben wollten, musste aufgrund der unerwartet großen Nachfrage der Auftritt kurzerhand in eine größere Halle verlegt werden. Selbst diese hielt dem Ansturm kaum stand: Der Boden schwankte unter den Freudensprüngen tausender Fans, die die Gelegenheit nutzten, ausgiebig die mexikanische Flagge zu schwenken. Keiner hatte mit den erstaunlich vielen Lateinamerikanern gerechnet, die in Berlin leben und die Chance ergriffen, ihre Idole einmal aus ungewohnter Nähe zu erleben: In Lateinamerika sind Maná so groß wie die Stones. In Deutschland dagegen kennen sie die meisten bislang vor allem durch den Song „Corazón Espinado“, den Maná mit Carlos Santana für dessen Erfolgsalbum „Supernatural“ einspielten.

Maná sind die derzeitigen Bannerträger der „Rock en Español“-Bewegung, die seit den Neunzigerjahren von Argentinien über Spanien bis Mexiko floriert. Und nicht nur dort: „Wenn wir in New York spielen, füllen wir die wichtigsten Arenen bis auf den letzten Platz“, berichtet der Wortführer der Band, Schlagzeuger Alex Gonzales, bei einem Gespräch in einer Berliner Hotelsuite anlässlich des neuen Maná-Albums „Revolución de Amor“. Doch obwohl Maná die erfolgreichste spanischsprachige Rockband der Welt sind, waren sie für US-Musikmagazine wie den Rolling Stone bislang noch kein Thema, geschweige denn eine Titelgeschichte wert. „Wir sind wahrscheinlich die größte Undergroundband aller Zeiten“, scherzt Gonzales deswegen.

Rüstet die Band nun mit ihrem neuen Album „Revolución de Amor“ zum Feldzug der Liebe gen Norden, so wird ihr in den USA der Ruhm noch eine Weile verwehrt bleiben. So lange sie nicht auf Englisch singen, gelten Latino-Stars in den USA prinzipiell nicht als konsensfähig. Selbst Rockbands wie Maná laufen nicht im US-Rockradio, sondern nur auf den Latin-Stationen. Popstars wie Ricky Martin aus Puerto Rico und Shakira aus Kolumbien haben deshalb eigens für den US-Markt englischsprachige Alben aufgenommen.

Werden auch Maná bald auf Englisch singen, weil es der Karriere nützt? „Es gab solche Vorschläge“, gibt Alex Gonzales zu. „Aber wenn wir es machen, sollte unsere Botschaft nicht verloren gehen. Wir wollen unsere Essenz nicht verwässern.“ Den Erfolg von Shakira, der mit ihrem ersten englischsprachigen Album der weltweite Durchbruch gelang, betrachten Maná mit gemischten Gefühlen. „Sie ist eine gute Freundin. Wir wünschen ihr nur das Beste“, sagt Alex Gonzales ausweichend: „Wenn Pablo Neruda oder García Marquez ins Englische übersetzt werden, ist das doch gut – die ganze Welt kann dann ihr Talent sehen.“ Doch Juan Calleros, der Bassist, wirft zögerlich ein, dass ihm Shakiras neues Erscheinungsbild doch eine Spur zu amerikanisch geraten sei.

Ausverkauf an die USA – das ist das Letzte, was sich Maná als gute Mexikaner vorwerfen lassen wollen. Auch wenn ihre zuckrigen Balladen oft nach jenem für die USA typischen Middle-of-the-Road-Rock klingen, verraten ihre Texte einen anderen Anspruch. Mit „Cuando Los Angeles Lloran“ haben sie eine Ode an Chico Mendes verfasst, den ermordeten Umweltaktivisten aus dem brasilianischen Amazonas. Ihr Song „Ana“ erzählt von der ungewollten Schwangerschaft einer Minderjährigen. Und das Ruben-Blades-Cover „Desapariciones“ handelt vom Schicksal „verschwundener“ Oppositioneller. Alles Themen, für die im Norden U2 und Bruce Springsteen stehen, mit denen Maná ganz auf einer Wellenlänge sind. Wie diese unterstützen auch sie Organisationen wie amnesty international, Greenpeace und diverse Frauengruppen. Ihr aktuelles Album hat die Band der Zapatisten-Bewegung gewidmet. „Es gibt genug Bands da draußen, die immer noch Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll predigen“, findet Gonzales. „Wir sind die andere Seite der Medaille“. Er könnte auch sagen: Wir sind die Guten. Mit solchem Sendungsbewusstsein sind Maná in Lateinamerika zu Identifikationsfiguren aufgestiegen, auch weil ihr sanfter Betroffenheitsrock ein deutliches Gegengewicht zur seichten Liebeskummerlyrik des allgegenwärtigen Latin-Pop bildet. Doch auch Maná repräsentieren den Musikgeschmack jener Mittelschichten, der auf einem reinem Kommerzsender wie MTV Latin America ein Forum findet – im Unterschied zur populären Folklore der Unterschichten, zu Salsa, Cumbia oder HipHop.

So dürfte die hispanische Abteilung des Musiksenders einiges dazu beigetragen haben, den Erfolg von Maná über Mexikos Grenzen hinaus zu mehren. „Das Gute an MTV Latin America ist, das man alles sieht, was auf dem Kontinent passiert. Das führt die verschiedenen Szenen zusammen“, sagt Gonzales. Auch in den USA kann man vielerorts Latin-MTV empfangen. „Nach und nach kommen immer mehr Anglos auf den Geschmack“, weiß Alex Gonzales. So übt er sich in Geduld: Die Anerkennung durch den US-Mainstream kommt schon noch. In fünf Jahren wird die Latino-Gemeinde in den USA die größte Minderheit des Landes stellen. Um es mit einem alten Stones-Titel zu sagen: Die Zeit ist auf Manás Seite.

Tourdaten: 3. 6. Berlin, 4. 6. Hamburg, 6. 6. Rock am Ring, 7. 6. Rock im Park