Übersehene Wege

Höhenlinien des Alltäglichen dechiffriert die Ausstellung „Territories“ in der Galerie für Landschaftskunst

Totalitäre Systeme wissen immer alles. Je technischer, desto präziser, desto unsinniger werden die Daten, die ihre Sensoren liefern – wenn nicht eine strenge Riege Leutnants darüber wacht, dass die richtigen Fragen gestellt werden. Dabei wird Information vernichtet; was entsteht, ist Wissen. Wir wissen, dass sich bei den Koordinaten N 40-43.132 und W 73-57.769 ein Schlagloch befindet. Doch: Wer hätte sich das gefragt?

Landschaften, seien sie real, konstruiert oder emotional, sind derzeit in der Ausstellung Territories in der Galerie für Landschaftskunst versammelt. Kuratiert von Denise Markonish, illustriert die Sammlung ein breites Spektrum an Kartierungen, das die Galerie im Rahmen des gemeinsam mit den Kunstverein betreuten Projekts „Hamburg-Kartierung“ zeigt. Mit der Kartierung des Schlaglochs spielt Bob Braine etwa mit dem alles erfassenden Auge des GPS (Global Position System), das von Amerikanischen Militärs entwickelt wurde. Anstatt es mit Geheimverstecken und Einsatzkommandos zu kombinieren, interessiert sich Braine für die alltäglichen Landschaften, die übersehen werden. Zwei weitere Arbeiten spielen ebenfalls mit GPS, doch sie wirken entweder wie der verzweifelte Versuch, die Natur in die Galerie zu holen – etwa William Stones Landtrophäen – oder wie graphische Elemente, die sich mit einer eigentlich interessanten Gegenüberstellung der Pflasterungen an New Yorker Attraktionen arrangiert. Beispiel hierfür sind Brooke Knights Landmarken. Auch Leila Daws geometrischen Studien über die Kassler Karlsaue fehlt es an der Übersetzungskraft, mit der sie sich von der kartographischen Vorlage lösen könnte.

Wege und Wandlungen stehen im Mittelpunkt der Arbeiten von Nina Katchadourian. Sie sammelte ein abgespultes Kassettenband in der Straßen auf und rekonstruierte später die vom Wind geführte Route und das beinah verloren gegangene Musikmaterial. Megan Hurst und Michael Mittelmann wiederum ließen die Besucher ihrer Homepage Karten mit der Computer-Maus zeichnen. Die in einem Atlas gesammelten Texte und Karten erzählen von Heimat, Besuchen und Reisen. Soziologische Alltagsforschung also, die die bunten Antworten auf die Frage „Kann man eine Erinnerung kartographisch darstellen?“ bündelt. Christian T. Schön

Mi–Fr 15–18, Sa 12–14 Uhr, Galerie für Landschaftskunst, Admiralitätstraße 71; bis 26. 7.