Sterbe lieber ungewöhnlich

Die Energie der lebenden Toten: Mit „28 Days Later“ reanimiert „Trainspotting“-Regisseur Danny Boyle das Genre des Zombiefilms

Zombies sind die Proleten unter den Untoten. Sie sind geschichtslos, triebgesteuert und treten nur in Horden auf. Ihnen fehlt die aristokratische Aura von Vampiren und Mumien – und vor allem deren Sexappeal. Da es ihnen an Individualität mangelt, rufen sie nicht einmal Mitleid wie Frankensteins Monster hervor.

Seit George A. Romero sie 1968 ihrer haitianischen Voodoo-Wurzeln beraubte, sind sie zu filmischen Leerstellen geworden, zu perfekten Platzhaltern des jeweils zeitgenössischen Schreckens: Für Romero waren die kannibalistischen Blutorgien in „Die Nacht der lebenden Toten“ Ausdruck des Horrors des Vietnamkrieges. Zehn Jahre später – der Krieg war vorbei, die Wirtschaft lahmte und Kritik an der Wachstumsgesellschaft formierte sich – schuf er „Dawn of the Dead“, und erneut füllte er die Leerstelle Zombie mit Zeitgeist: Wie ferngesteuert fühlen sich hier die Hirntoten zu einer Shopping Mall hingezogen – ein fast adornitischer Kommentar zu den Verlockungen der Werbung und der Massenkonsumgesellschaft.

1983 trug ausgerechnet Michael Jackson den Zombie als gesellschaftskritische Metapher zu Grabe, indem er sie ironisch für den Mainstream vereinnahmte. Im von John Landis gedrehten Musikvideo zu „Thriller“ erweckt Jackson eine Horde Zombies zum Leben, nur um sie hinter sich im Gleichschritt tanzen zu lassen. Die Untoten sind hier zur witzigen Staffage degradiert. Die Konsumkritik hatte ausgedient, es war die Zeit von Reagan, Thatcher, Kohl und den ersten Yuppies.

Für 20 Jahre verschwanden die Zombies vom kulturellen Radar, überlebten in erster Linie in illegitimen Medien wie Computerspielen und Homevideos. Erst jetzt nimmt Danny Boyle mit „28 Days Later“ die hirntoten Untoten wieder ernst. Boyle ist selbst so etwas wie ein Wiedergänger: Nach „Trainspotting“ als Hoffnung jungen britischen Filmemachens gehandelt, fielen seine mit großen Budgets und Hollywoodschauspielern gedrehten Filme „Lebe lieber ungewöhnlich“ und „The Beach“ nicht nur bei der Kritik durch. Nach zwei ebenfalls bemerkenswerten TV-Arbeiten führt ihn „28 Days Later“ auch auf der großen Leinwand wieder zurück nach England, zu kleinen Budgets und vor allem zu alter Energie.

Die Geschichte beginnt in London. Tierschützer befreien mit einem Virus namens „Rage“ befallene Schimpansen aus einem Versuchslabor. 28 Tage später wacht der Fahrradbote Jim in einem verlassenen Krankenhaus auf. Er geht aus dem Gebäude, die Stadt scheint leer. Bald jedoch muss er sich der ersten Untoten erwehren, er findet aber auch versprengt noch uninfizierte Menschen. Gemeinsam fliehen die letzten Gesunden aus der Stadt Richtung Manchester, wo andere Überlebende herausgefunden haben sollen, wie man die Seuche bekämpft.

Boyle drehte mit digitalen Kameras. Das ermöglichte ihm, mit einem kleinen Budget auszukommen und spektakuläre Aufnahmen vom menschenleeren Londoner West End zu filmen. Die farbverwaschenen, schemenhaften Bilder gemahnen nicht nur an Aufnahmen von Reportern aus Kriegsregionen oder auch von Überwachungskameras und verstärken somit ein Gefühl der Paranoia. Sie dürften überdies auch einige Zuschauer an heimliche Videoabende vor dem elterlichen Fernseher mit unzensierten Versionen italienischer oder spanischer „Dawn of the Dead“-Rip-offs erinnern.

Paranoia ist denn auch das Gefühl, das Boyle und sein Autor Alex Garland mit ihrem Film erzeugen wollten. Paranoia prägt unsere Zeit, wie sie in Interviews immer wieder betonen (ebenso wie ihre Wertschätzung für Romero, der laut Internet-Gerüchten gerade für 20th Century Fox einen vierten Zombiefilm vorbereitet). Diesen wahnhaften Zustand haben sie schon vor dem 11. September 2001 ausgemacht, während der BSE-Panik, als die Nachrichten voll waren mit apokalyptischen Bildern von leeren Feldern und verkohlten Rindern. „28 Days Later“ verbreitet folgerichtig eher ein diffuses Gefühl der Bedrohung. Die Zombies sind hier weniger die fehlgeleiteten Konsumenten aus „Dawn of the Dead“ als eine ungerichtete Kraft wie in „Die Nacht der lebenden Toten“. Am Ende von „28 Days Later“ wird jedoch klar, dass die Untoten nur als Katalysator dienen: Sie führen vor Augen, wie dünn der Firnis der Zivilisiertheit im Angesicht einer Katastrophe ist. Letztlich entpuppen sich die Menschen und nicht die Mutanten als die wahren Monster. SVEN VON REDEN

„28 Days Later“. Regie: Danny Boyle. Mit Cillian Murphy, Naomi Harris, Brendan Gleeson u. a. Niederlande/USA/Großbritannien 2002, 112 Min.